Im Laufe eines Jahrzehnts, bis zu ihrem Tod 1999, hat die schottische Filmemacherin und Schriftstellerin Margaret Tait mehr als 30 Kurzfilme und einen Langfilm gedreht, die sie nahezu alle selbst finanzierte. Nach ihren Studienjahren und Reisen im Ausland kehrte Tait in den fünfziger Jahren nach Schottland zurück, wo sie für den Rest ihres Lebens blieb und arbeitete. Ihre „filmischen Gedichte“, wie sie selbst sie nannte, zeigten immer wieder die Menschen und die Landschaft der Orkneyinseln, ihrem Geburts- und späteren Wohnort, der ihr gesamtes Werk maßgeblich prägte.
Tait war der Auffassung, wenn man ein Objekt nicht aus den Augen ließe, würde es seine wahre Natur zu erkennen geben, und nutzte ihre Kamera, um einzufangen, was dem menschlichen Auge entging. Sie war fasziniert vom Verstreichen der Zeit, den sich verändernden Lichtverhältnissen, vom Öffnen und Schließen der Blüten, Dingen, die so nur eine Kamera sichtbar macht. Taits Filme, zuerst in Edinburgh, dann auf Orkney entstanden, sind niemals romantisch, obwohl man sich angesichts der Bilder von Meer und Terrain dem Zauber der Umgebung kaum entziehen kann. Bei ihrer Methode stehen jedoch Bilder von der einheimischen Industrie neben solchen von Umweltverschmutzung und Müll, ihre Stadtansichten verändern sich ständig, hier werden Gebäude hochgezogen, dort abgerissen. Nostalgie hat hier keinen Platz, es existiert keine Sehnsucht nach dem verklärten Damals als Gegenpol zu einer Welt im steten Wandel, der Fokus liegt auf dem Verlauf der Zeit und den damit einhergehenden Veränderungen. Die Inspiration für Luke Flowers BEING IN A PLACE (PORTRAIT OF MARGRET TAIT) ist HEARTLANDSCAPE, ein nicht realisiertes Projekt Taits, dessen Finanzierung ihr nie gelungen war. Fowler und Taits Witwer Alex Pirie entdeckten Pläne und Briefe, die sich mit diesem Projekt befassen in der Orkney Library & Archive. Als Langfilm über Orkney angelegt, war das Konzept deutlich zu avantgardistisch, um Geldgeber wie Channel 4 zu gewinnen, daher waren ihre Vorschläge abgelehnt worden. So betrachtet ist Fowlers Film weniger eine Biografie Taits, sondern eher eine Verkörperung ihres Werks, ihrer Art des Sehens.
Tait hatte wenig Interesse am reinen Dokumentarfilm, und dank Fowlers para-dokumentarischem Stil gerät dieser Film eher zu einer poetischen Zwiesprache denn zur reinen Biographie.
Fowlers Ausgangsmaterial besteht aus Funden aus einem „ephemeren Archiv“, Nebenprodukten, Vorstudien, originalen Tonaufnahmen und Testkopien von ihren anderen Filmen, dazu Material aus Margaret Williams Dokumentation MARGARET TAIT: FILM MAKER von 1983. Fowler, der seine Präsenz als Autor mit einarbeitet, nimmt die Ideen zu HEARTLANDSCAPE auf und führt sie fort. Er dokumentiert, wie sich Taits Orkney seit ihrem Tod verändert hat. Er tritt nicht nur selbst in Taits fiktivem Film auf, er bringt auch die Künstlerin darin unter. Taits Gegenwart ist auch in ihren eigenen Filmen stets spürbar gewesen, doch immer nur als flüchtiger Eindruck: etwa in einem Spiegel oder durch den Schatten, den ihr Körper auf das Gras zu ihren Füßen wirft; hier kommen ihre Nachbar*innen zu Wort und kehren die Dynamik um, indem sie von Tait als Mitglied ihrer Gemeinschaft und über die Rezeption ihrer Filme vor Ort erzählen.
Dies ist nicht Fowlers erste Arbeit mit Tait. Schon sein Kurzfilm HOUSES (FOR MARGARET) von 2019 montiert Filmmaterial von ihrem Haus und Garten mit Doppelbelichtungen von Seiten aus ihren Notizbüchern und Filmplänen. In beiden Filmen richtet Fowler sein Augenmerk auf die genauen Details in Taits Leben. Wir sehen, was sie gesehen hat, ihr Zuhause und ihren Garten, wir sehen, wie sie endlose Stunden in ihre Filme investiert hat, Notizbuch über Notizbuch voll mit Ideen zum Film. Tait hätte gesagt, sie bediene sich einfach dessen, was gerade griffbereit sei, doch hier regiert eindeutig ein strenges Auswahlverfahren, wenngleich stets offen für Improvisation und Abstraktion. Fowler ist klar, dass das Leben einer Künstlerin – ein Lebenswerk – nicht in einem einzelnen abgeschlossenen Film erfasst werden kann. Das gilt umso mehr für eine Künstlerin wie Tait, deren unaufhörliches, unabhängiges Schaffen ohne die enge Verflochtenheit mit Poesie und Ort undenkbar ist. Sie selbst hatte wenig Interesse am reinen Dokumentarfilm, und auch Fowlers Film ist aufgrund seines para-dokumentarischen Blicks eher poetische Kollaboration als handelsübliche Biografie. Für Fowler lebt Tait in ihren handschriftlichen Aufzeichnungen, in der Landschaft ringsum und in den Aufnahmen von ihrer Stimme fort.
Bedauerlicherweise sind Tait und ihr nie realisierter Film HEARTLANDSCAPE nur ein Beispiel aus der langen Geschichte von Filmemacherinnen, die ihr Werk nicht vollenden oder einem breiteren Publikum zugänglich machen konnten. Man denke an Maya Deren, die in New York starb, während in der ganzen Stadt Flyer kursierten, die zur Hilfe bei der Finanzierung ihres nächsten Films aufriefen, oder an Jocelyne Saabs Dokumentarfilme über palästinensische Flüchtlinge, die vom Fernsehen nicht gesendet wurden. Immerhin erscheint Fowlers Film zu einem interessanten Zeitpunkt, an dem auch Filmemacherinnen eigene Projekte neu aufgreifen oder die anderer weiterführen. So erweckte 2018 Sandi Tans SHIRKERS einen Dokumentarfilm zu neuem Leben, den sie als Teenager mit Freundinnen in Singapur gedreht hatte, ehe das gesamte Material mitsamt einem vermeintlichen Förderer verschwand. Im selben Jahr wandte sich Barbara Hammer, die gesundheitlich stark abbaute, mit der Bitte an Debora Stratman, aus Hammers bislang ungenutztem Material einen Film zu machen. Der so entstandene VIPER (FOR BARBARA), in dem auch Texte und Tonaufnahme von Maya Deren Eingang gefunden haben, ist Hommage wie Anrufung zugleich. Für Tait war die Kamera eine Erweiterung ihrer selbst; indem er einen Film über Tait dreht, der ihr filmisches Schaffen aufgreift und fortschreibt, gelingt Fowler das bewegende Porträt einer einzigartigen (Film)Dichterin.
Madeleine Wall ist Filmkritikerin und lebt in Toronto.
Übersetzung: Clara Drechsler, Harald Hellmann