Ganz im Sinne der verstorbenen Filmemacherin und Dichterin Margaret Tait (1918-1999) geht es in BEING IN A PLACE (A PORTRAIT OF MARGARET TAIT) nicht allein um sie, sondern ebenso sehr um ihr geliebtes Orkney, wo sie den größten Teil ihres Lebens verbrachte und ihre Filme drehte. Sie beschrieb ihre Vorgehensweise einmal (in einer von Federico García Lorca entlehnten Formulierung) als „stalking the image“, was für sie in erster Linie bedeutete, alles, das in einer Einstellung zu sehen war, mit gleicher Genauigkeit zu beobachten. Auch ihre Filmporträts leben von der Gleichstellung der Person und des Orts, der sie umgibt. In einem Text zu LAND MAKAR (1981), dem Film über ihre Nachbarin, die Kleinbäuerin Mary Graham Sinclair, beschreibt Tait ihn als eine Art erweitertes Porträt „gestaltet in farblich unterschiedlichen Filmsequenzen, die sich wie einzelne Leinwände aneinanderreihen“. Sie zeigen Sinclair im Verhältnis zu ihrer Bauernkate in West Aith, zu den umliegenden Feldern und den Tieren auf ihrem Land, die dort „einander gleichgestellt lebten“. Tait ließ sich nicht darauf festlegen, ob es sich bei ihrem Film letztlich um ein Porträt von Sinclair oder der orkadischen Landschaft handelte; sie betonte, beide seien gleich maßgeblich und untrennbar und verdienten daher das gleiche Maß an Aufmerksamkeit.
BEING IN A PLACE (A PORTRAIT OF MARGARET TAIT) betrachtet Tait durch verschiedene Objektive, beleuchtet ihr Werk anhand ihrer Beziehung zu dem Land, auf dem sie lebte, und ihres umfangreichen Archivs. Der Film stützt sich auf ihre schriftlichen Dokumente, Briefe, Journale, Produktionsnotizen und Tonaufnahmen, die heute im Orkney Library and Archive aufbewahrt werden. Außerdem bedient er sich erst kürzlich entdeckten und restaurierten Filmmaterials, zu dem unter anderem Muster, Testaufnahmen, Schnittabfälle, Alternativfassungen abgeschlossener Filmprojekte gehören, die sich zufällig im Gartenschuppen von Cruan fanden, dem Haus, in dem Tate mit ihrem Ehemann Alex Pirie lebte. Der Hauptteil von Taits Filmarchiv ist zwar bei der National Library of Scotland‘s Moving Image Archive verfügbar, doch dessen Politik, nur fertiggestellte Arbeiten der Künstlerin in die Sammlung aufzunehmen, verhinderte den Ankauf des frisch-digitalisierten neuen Materials. Das „ephemere Archiv“ befindet sich heute in Obhut der Tait-Spezialistin Professor Sarah Neely, die diesen Film mitproduziert hat. Es wäre zu hoffen, dass die Verwendung in BEING IN A PLACE (A PORTRAIT OF MARGARET TAIT) diesem Material die Beachtung verschafft, die es verdient.
In der Produktionsphase des Films machte die Familie, die heute Taits früheres Zuhause bewohnt, eine weitere Entdeckung – eine wahre Fundgrube an Filmmustern, die einer 1983 von Margaret Williams für Channel 4 gedrehten Dokumentation entstammten. Zu ihren Lebzeiten wurden drei Fernsehprofile von Tait gedreht, die ihr alle nicht gefielen. Einiges von diesem Material – unter anderem Tait im Gespräch mit der Künstlerin und Kuratorin Tamara Krikorian – ist zwar in dieses Projekt eingegangen, aber eben nicht mit dem Anspruch, ein letztgültiges Porträt zu liefern. Stattdessen kommt der von Tait selbst bevorzugte, eher dezentrale Blick zur Anwendung, bei dem das Material in einen breiteren Kontext betrachtet wird.
Tait selbst gab an, sie habe sich nur zu dem Porträt für Channel 4 bereiterklärt, weil sie hoffte, den Sender für einige Filmideen, an denen sie arbeitete, interessieren zu können. Unglücklicherweise ergab sich nie etwas daraus, und es blieb bei einigen unbeendeten Drehvorlagen. Die Entdeckung einer dieser halbfertigen Drehvorlagen war ein weiterer Katalysator für BEING IN A PLACE (A PORTRAIT OF MARGARET TAIT). Das Exposee für einen abendfüllenden Dokumentarfilm unter dem Arbeitstitel HEARTLAND: VISIONS OF EPHEMERALITY AND PERMANENCE war 1983 eigentlich für Channel 4 gedacht gewesen, aber das Projekt wurde nie umgesetzt. Die „Herzlandschaft von Orkney“ war ihr Name für die Landstriche, die sie bei der täglichen Fahrt zur Arbeit durchquerte, von ihrem Haus in Aith zu ihrem Studio, einer ehemaligen Kirche, in Rendall. Am Weg liegen Aussichten über Rousay, weitere Orkney-Inseln und weit hinaus auf den Atlantik und Hoy. Was Tait am meisten faszinierte, war der Abwechslungsreichtum des Terrains von wilden Torfmooren über prähistorische Siedlungen und Anzeichen der Modernisierung bis zu – natürlich – den Menschen, die auf dem Land leben und arbeiten. In vieler Hinsicht kann man diese „Herzlandschaft“ als Mikrokosmos von Mainland Orkney lesen.
BEING IN A PLACE (A PORTRAIT OF MARGARET TAIT) folgt, buchstäblich wie metaphorisch, ihren Spuren, bringt die Vergangenheit in Dialog mit der Gegenwart, denkt Tait als Teil der weiten Landschaft von Orkney und bietet die Möglichkeit zu einer akustischen und visuellen Erkundung dieses Orts, der ihr so viel bedeutete.
Luke Fowler
Margaret Tait war eine von Schottlands enigmatischsten Filmschaffenden. Sie starb 1999 im Alter von 80 Jahren auf Orkney, dem Ort ihrer Geburt. 2018 wurde ihr 100-jähriger Geburtstag mit einer Reihe weltweiter Veranstaltungen und Ausstellungen begangen, die ihr Werk einem breiteren Publikum nahebringen sollte (MT100). Tait drehte in ihrem Leben einen Langfilm (BLUE BLACK PERMANENT, 1992), war jedoch am bekanntesten für ihre kurzen 16mm-Gedichtfilme (beziehungsweise Filmgedichte). Es überrascht also nicht, dass sie auch selbst Gedichte und Prosa verfasste und veröffentlichte. Von ihr erschienen drei Gedichtbände, ein Band mit Kurzgeschichten und ein Kinderbuch. Nach einem Studium bei Roberto Rosselini am Centro Sperimentale di Cinematografia in Rom (1950-52) kehrte sie nach Schottland zurück. Sie ließ sich zunächst in Edinburgh nieder, baute ein eigenes Filmstudio auf, Ancona Films, und leitete das Rose Street Poetry Festival, das sie in engen Kontakt mit Dichtern wie John Grierson, Hugh MacDiarmid, Sorley Maclean und Norman MacCaig brachte. Ende der Sechziger kehrte sie nach Orkney zurück, das Drehort und Thema der meisten ihrer Filme wurde.
Übersetzung: Clara Drechsler, Harald Hellmann