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Im Widerspruch zum ersten Wort des Filmtitels beginnt CONCRETE VALLEY in einem Wald. Anfangs wirkt er menschenleer, besiedelt nur von Bäumen, Buschwerk und unsichtbaren Zikaden, die die Luft mit ihrem gespenstischen Zirpen erfüllen. Dann taucht ein Mann auf, der sich einen Weg durchs Grüne bahnt. Er kommt an einen Wanderpfad, bleibt stehen und starrt in die Gegend. Er scheint nach Orientierungspunkten zu suchen, doch später erfahren wir, dass der Gezeigte – Rashid (Hussam Douhna), die Hauptfigur des Films – nur einen Spaziergang machte; er hatte sich nicht verirrt, sondern nur die Beine vertreten.

Ein paar Fakten vorab: Thorncliffe Park, das Einwandererviertel in Toronto, in dem der Film spielt, ist kein Park im eigentlichen Sinne, trotz zahlreicher Grünanlagen, die auch 11 Quadratkilometer der zerklüfteten, von Rinnsalen und Wegen durchzogenen Don-Valley-Schlucht umfassen. Das Thorncliffe-Park-Areal des Tals ist tatsächlich ein Betonkessel von Wohnblöcken und Parkplätzen oberhalb des Parkway, der sich durch das dichte Waldgebiet schlängelt. Das Gelände wurde in den fünfziger Jahren mit Torontos erster Hochhaussiedlung bebaut. Die heutigen Bewohner sprechen Arabisch, Bengali, Griechisch, Urdu, Paschtunisch, Persisch, Pandschabi, Gujarati, Spanisch, Tagalog und zahlreiche andere Sprachen, darunter natürlich auch Englisch, das Rashid zu lernen versucht.

Alle Fakten, die ich hier anführen könnte, erscheinen mir jedoch weit weniger wichtig als der Eindruck anteilnehmender Ambivalenz, der Antoine Bourges' Film kennzeichnet. CONCRETE VALLEY ist kein soziologisches, politisches oder zeithistorisches Dokument, sondern zeichnet ein eher verhaltenes, kontemplatives Porträt der Personen, die hier eine fragile Kleinfamilie bilden: Vater Rashid, Farah, die Mutter (Amani Ibrahim), und ihr Sohn Ammar (Abdullah Nadaf). Es ist überwiegend Rashids Geschichte, erzählt aus der subjektiv eingefärbten Perspektive eines Mannes, der früher in Syrien Arzt war und erst vor fünf Jahren nach Kanada eingewandert ist.

Ihre Beziehung bestimmt den Handlungsbogen des ganzen Films und könnte fast darüber hinwegtäuschen, dass dessen eigentliches Thema weniger eine Liebesgeschichte als die ständige Sorge ist.

Was wirklich wichtig ist: der Hummerkrebs, den Farah und Ammar auf einem Spaziergang finden; wie Farahs frühere Arbeit als Schauspielerin ihre Vorstellung von der Zukunft prägt; der Einsatz eines Handtuchs, mit dem die Familie den von gebackenen Auberginen ausgelösten Rauchmelder ruhigzustellen versucht; die ausgefallene Warmwasserversorgung in ihrer Wohnung, die ein wiederkehrendes Leitmotiv bildet.

Mit anderen Worten: Details, Details, Details. Genau wie Rashid bei seiner Walderkundung ist der Film ebenso sehr Erzählung wie Miniatur-Porträt – von Menschen, Ort und Zeitpunkt. Vielleicht erklärt sich dadurch jene vage nervöse Anspannung, die den gesamten Film durchzieht und in Szenen ausgedehnten Schweigens und Vor-sich-hin-Starrens erfahrbar wird. Sie wird nirgends deutlicher als in den Szenen zwischen Rashid und Farah, einem Paar, dessen Bindung unter anderem durch zu viel Unausgesprochenes korrodiert. Ihre Beziehung bestimmt den Handlungsbogen des ganzen Films und könnte fast darüber hinwegtäuschen, dass dessen eigentliches Thema weniger eine Liebesgeschichte als die ständige Sorge ist.

Was fangen sie alle mit ihrem Leben an? Und warum? Beziehungsweise, wie Rashid von einem Freund gefragt wird: „Woran glaubst Du?“ „Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll“, erwidert Rashid, dann Schnitt und nächste Szene. Nicht-Antworten, Nebenbemerkungen und ungewisse Pfade zeichnen diesen Film aus, der etablierten Migrationsnarrative meidet. Er erinnert auf unplakative Weise daran, dass Migrant*innen Sehnsüchte jenseits der staatlichen Wunschvorstellungen von multikultureller Gesellschaft in Kanada hegen.

Das vorwärtstreibende, beständige Summen und Brummen des urbanen Lebens überdeckt auch viele Wechselfälle des selbstbestimmten Daseins.

Bourges und Mitautorin Teyama Alkamli haben zwar ein Drehbuch zu CONCRETE VALLEY verfasst, doch die meisten Rollen werden von Laiendarsteller*innen verkörpert. Stilistisch sparsam und beobachtend, mitunter nah am cinema verité, ist der Film so realistisch, das er fast schon unwirklich anmutet. Diese Hyperrealität wird durch einen Soundscape verstärkt, der die Umgebungsgeräusche der Stadt in den Vordergrund hebt. „Das Kino ist der ideale Ort für dieses Hörerlebnis“, sagte Bourges in einem Interview im September 2022. „Auch wenn wir nicht mit Kopfhörern herumlaufen, ist uns nicht unbedingt bewusst, wie viel es um uns herum zu Hören gibt. Ich finde, das ist ein interessanter Gegensatz zwischen Zuschauer*innen und Filmemacher*innen. Als Zuschauer*in kannst du 90 Minuten einfach dasitzen und das Leben auf eine Weise erfahren, die das wirkliche Leben nicht zulässt – visuell, aber auch akustisch.“

Allerdings überdeckt das vorwärtstreibende, beständige Summen und Brummen des urbanen Lebens auch viele Wechselfälle des selbstbestimmten Daseins und die komplexen, mitunter fehlgeleiteten persönlichen Initiativen, die ergriffen werden, um in Zonen eingeschränkter Handlungsfreiheit dennoch eine gewisses Maß an Selbstverwirklichung zu erreichen. Man sieht nie, dass die Akteure von CONCRETE VALLEY Thorncliffe Park verlassen, sie scheinen sich im Gegenteil noch fester dort einbinden zu wollen. Rashid, dessen Machtlosigkeit hier und da thematisiert wird, bietet in seinem Mietshaus unaufgefordert inoffizielle ärztliche Dienste an und behandelt seine Patienten unentgeldlich mit einer, wie er es auf Englisch bezeichnet, „natural therapy“, während Farah sich von der bezahlten Arbeit in einem Drugstore frei nimmt, um ehrenamtlich bei einer Nachbarschaftsinitiative mitzuhelfen. Offenkundig hofft sie auf einen festen Job dort, eine der vielbeschworenen „Möglichkeiten“ im Hinterkopf, doch was sich für sie ergeben könnte, wenn überhaupt etwas, bleibt schleierhaft und ungewiss.

Derweil schwillt das Grundrauschen immer weiter an, wie ein Willkommensballon, der zu Platzen droht, da die Reibereien zwischen Rashid und Farah andauernde und nahezu unentrinnbare Spannungen produzieren. Gegen Ende des Films führt die Andeutung eines (sexuellen) Fehltritts nicht etwa zum erwartenden Bruch, sondern bringt eine vorübergehende Beruhigung mit sich. Nach unfruchtbaren Diskussionen, kleineren Geständnissen und subtilen Sticheleien zwischen den Eheleuten lässt sich der Film Zeit für einen Moment, der von etwas anderem als Ressentiments besetzt ist, einen kurzen und vermutlich letzten Moment milder Spontaneität.

Tiana Reid ist Lehrbeauftragte im Department of English an der York University von Toronto, Canada.

Übersetzung: Clara Drechsler, Harald Hellmann

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