EL JUICIO (The Trial) zeigt eines der wichtigsten Ereignisse im Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit in der jüngeren Geschichte der argentinischen Demokratie: den strafrechtlichen Prozess von 1985 gegen die neun Mitglieder der drei Militärjunten, die das Land zwischen 1976 und 1983 regiert hatten und die für das Verschwindenlassen von zehntausenden Menschen verantwortlich waren. Es war der erste in Lateinamerika vor einem zivilen Gericht geführte Strafprozess gegen ein ehemaliges diktatorisches Militärregime. Der Weg dahin war schwierig.
Nach dem Ende der Diktatur im Dezember 1983 erließ der neue, demokratisch gewählte Präsident Raúl Alfonsín das Dekret Nr. 158, das die strafrechtliche Verfolgung der Mitglieder der Militärjuntas anordnete. Zu diesem Zeitpunkt verfügte das Militär noch über erhebliche Macht, daher wurden nur die hochrangigen Offiziere, die die kriminellen Handlungen angeordnet hatten, vor Gericht gestellt. Ausgenommen von der Strafverfolgung waren dagegen die vielen rangniederen Soldaten und Polizisten, die behaupteten, lediglich Befehle befolgt zu haben.
Ursprünglich sollte die Strafverfolgung vom Obersten Rat der Streitkräfte – einem Militärgericht, das sich aus ehemaligen Offizieren zusammensetzte – durchgeführt werden. Nach monatelangem Hinhalten stellte sich der Rat jedoch auf die Seite der Täter und sprach sie aufgrund angeblich unzureichender Beweise frei. Das Militärgericht war zudem sehr feindselig gegenüber den Opfern eingestellt. Der einschüchternde Charakter der Befragungen hemmte die Zeug*innen, zumal die Gerichtsmitglieder selbst Täter oder zumindest deren Komplizen gewesen sein konnten. Die Zuständigkeit wurde schließlich vom Militär- auf ein Zivilgericht übertragen. Damit begann am 22. April 1985 der Strafprozess, der in EL JUICIO gezeigt wird. In den fünf Monaten des Gerichtsverfahrens wurden 709 Fälle behandelt. Über 800 Zeug*innen haben ihre Aussagen abgegeben. Am 9. Dezember verkündete das Gericht die Urteile.
EL JUICIO zeigt in 18 Kapiteln, die über 500 Stunden Videoaufzeichnungen des Prozesses auf knapp drei Stunden komprimieren, wie die Verhandlungen vor Gericht wichtige Aspekte der staatlichen Repression offenlegten. In dem Urteil stellten die Richter fest, dass die Diktatur einen systematischen und organisierten Verfolgungs- und Vernichtungsplan verfolgte, der in ganz Argentinien mit der Absicht durchgeführt wurde, die Gesellschaft wirtschaftlich und ideologisch zu reorganisieren.
Um dieses Ziel umzusetzen wurden rund 500 im ganzen Land verteilte geheime Haft- und Folterzentren aufgebaut. Dorthin entführten die Militärs und Polizeikräfte alle Menschen, die sie als Gegner*innen des Regimes betrachteten. Der sogenannte „antisubversive Krieg“ des Militärs strebte zum einen das Ende staatlicher Interventions- und Umverteilungspolitik an und zum anderen die Vernichtung der sozialen und politischen Kräfte, die diese Politik unterstützten. Obwohl zehntausende Opfer dieses Plans bis heute verschwunden bleiben, haben viele andere überlebt. Dank ihrer Aussagen sind sowohl der damalige Prozess gegen die Juntas als auch die heutigen Strafprozesse im Land möglich.
Der Prozess gegen die Militärjuntas hatte immense Bedeutung für die Opfer und die argentinische Gesellschaft insgesamt. Der Junta-Prozess unterlag jedoch verschiedenen rechtlichen und politischen Beschränkungen, die verhinderten, dass er einen stärkeren Wiedergutmachungscharakter für die Opfer hatte. Dazu gehörte die erwähnte Tatsache, dass nur neun militärische Verantwortliche strafrechtlich verfolgt wurden, was zu Enttäuschungen führte. Viele der Täter waren noch in den Streitkräften tätig und setzten ihre Karriere fort, als wäre nichts geschehen. Was dazu führte, dass die Opfer sich weiterhin gefährdet fühlten.
Drohungen von der Anklagebank
Auch wenn EL JUICIO den Gerichtssaal nie verlässt, bietet er einen umfassenden Einblick in das vorherrschende politische und soziale Klima der ersten Jahre nach der Diktatur. Der ständige Spott, die zynischen Kommentare der Verteidiger und die dauernden Drohungen, die während des Prozesses von verschiedenen Akteuren auf Seiten der Militärs ausgesprochen wurden, sind in mehreren Szenen zu sehen. So prangern etwa in Kapitel 6 selbst die Staatsanwälte an, während der Prozessanhörungen Drohungen erhalten zu haben. Die Militärs und ihre Anwälte versuchten, ihre Verbrechen mit dem Argument zu rechtfertigen, dass sich die Diktatur in einem unkonventionellen Krieg gegen Terrorist*innen befand. Dieses Narrativ – das sogar bis heute im Diskurs vieler Militärs präsent ist – stellt sie als Kriegshelden dar, die durch den Prozess selbst zu Opfern wurden (siehe Kapitel 2).
EL JUICIO bietet auf der anderen Seite einen umfassenden Überblick über verschiedene Aspekte der Repression durch die Diktatur – wobei Kapitel 1 verdeutlicht, dass die Menschenrechtsverletzungen bereits vor dem Staatsstreich im Jahr 1976 begonnen hatten. Sehr klar wird im Laufe des Films, wie die Diktatur verschiedene Gruppen verfolgte, die als „Subversive“ bezeichnet wurden: Kapitel 4 behandelt beispielsweise Studierende, Kapitel 5 den antisemitischen Charakter der Diktatur und die Verfolgung von Jüd*innen, Kapitel 9 die politische und gewerkschaftliche Opposition. Zudem wird auf die Bedeutung ziviler Akteure wie beispielweise der katholischen Kirche (Kapitel 5), der Handelskammer (Kapitel 6) und der Justiz (Kapitel 12) als Stützen für die Diktatur hingewiesen. Auch wenn die Vertreter*innen dieser Institutionen behaupten, dass ihnen die begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht bekannt waren.
In Kapitel 7 berichten bekannte Journalisten von der Zensur der Presse, um das Verschwindenlassen von Menschen zu vertuschen. Betroffene erzählen, wie verschiedene staatliche Institutionen bestritten, ihre Angehörigen entführt oder festgenommen zu haben. Diese Aussagen stehen in Kontrast zu Aussagen der Verteidigeranwälte, die während des Prozesses behaupteten, die Verschwundenen seien noch im Ausland.
Nach dem Prozess
Nach dem Prozess wurden weitere Klagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen andere Mitglieder der Streitkräfte und der Polizei eingereicht. Daraufhin wurde eine Vielzahl von Strafverfahren eingeleitet. Doch durch die Verabschiedung zweier so genannter „Straffreiheitsgesetze“ im Jahr 1986 und 1987 war eine strafrechtliche Verfolgung weiterer Verantwortlicher nicht mehr möglich. Und die bereits Verurteilten kamen schon nach kurzer Zeit wieder frei.
Obwohl die Forderungen der Opfer und der Menschenrechtsorganisationen nach Aufklärung und Gerechtigkeit anhielten, kam erst mit der Wahl von Néstor Kirchner 2003 wieder Hoffnung auf. Während seiner Regierungszeit wurden die Straffreiheitsgesetze zunächst vom Parlament aufgehoben und dann vom Obersten Gerichtshof für nichtig erklärt. Danach wurden die Strafverfahren auf das gesamte Spektrum der Verbrechen ausgeweitet. Seitdem sind mehrere Angehörige der Sicherheitskräfte wegen Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land vor Gericht gestellt worden. Von 2006 bis 2022 wurden mehr als 1000 Personen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Der Prozess gegen die Juntas war trotz seiner Grenzen ein wichtiger Präzedenzfall für die aktuellen Prozesse. Und obwohl diese weiterhin mit vielen Hindernissen und Herausforderungen konfrontiert sind, haben sie auch große Fortschritte gebracht und bedeuten eine sehr wichtige Anerkennung für die Opfer und ihren jahrelangen Kampf für Gerechtigkeit, Wahrheit und Demokratie. Diese ganz sicher weiterhin verbesserungswürdige Demokratie wird dieses Jahr einen runden Geburtstag feiern – 40 Jahre nach dem Ende der blutigsten Diktatur, die das Land je hatte.
Rosario Figari Layús ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Friedensforschung an der Justus Liebig Universität Gießen und Autorin mehrerer Bücher zum Thema Menschenrechte in Lateinamerika.