Direkt zum Seiteninhalt springen

Ende März 1976 putschten die Streitkräfte und General Videla wurde zum Diktator Argentiniens. Sieben Jahre später, nach dem Malwinen-Krieg, erlangte Argentinien mit dem Sieg von Dr. Alfonsín in freien Wahlen seine Demokratie zurück. 1985 wurden die ehemaligen Diktatoren im „Prozess der Juntas“ für ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

Wie in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Prozess in seiner Gesamtheit gefilmt. 90 Tage lang wurden die Berichte über das Grauen gehört. Und ein letztes Urteil gefällt: Nunca más (Nie wieder).

Diese 90 Tage, die der Prozess dauerte, wurden vollständig im U-matic-Videoformat aufgezeichnet. Es gibt 530 Stunden praktisch unbekanntes Filmmaterial, das aufgrund der politischen Umstände in Argentinien nie aufgearbeitet wurde und nie ein großes Publikum erreicht hat.

Ich begann 2012 mit der Suche nach dem Filmmaterial. Es war ein schwieriger Weg, ich hatte das Gefühl, dass das Material noch „heiß“ war. Das Nationalarchiv und das öffentlich-rechtliche Fernsehen verweigerten mir jede Art von Zusammenarbeit. Erst 2019 erhielt ich dank der Menschenrechtsorganisation Memoria Abierta, die die Archive der Bundesjustizkammer verwaltet, alle notwendigen Genehmigungen, um daraus einen Film zu machen. EL JUICIO (The Trial) entstand vollständig und ausschließlich aus dem U-matic-Material, das während des Prozesses aufgenommen wurde.

Im August 2019 haben wir begonnen, die 530 Stunden Archivmaterial zu sichten. Neun Monate haben wir gebraucht, um das Material zu erfassen, zu katalogisieren und zu indexieren. Wir haben mehrere Dokumente erstellt: einen vollständigen Index mit zeitcodierten Themen und Tags (ein Google-Sheet mit über 55.000 Zeilen), ein AVID-Projekt mit tausenden von Zeitmarken für die Montage und über tausend Seiten mit handschriftlichen Regie-Anmerkungen. Damit hatten wir die notwendigen Werkzeuge, um so viele Stunden audiovisuelles Archiv in einem Film zu verarbeiten.

Der Gerichtsprozess, der jahrzehntelang totgeschwiegen worden war, kam plötzlich ans Licht. Während wir am dokumentarischen Ansatz für die Aufarbeitung dieser Geschichte arbeiteten, erfuhren wir, dass ein fiktionales Projekt in Vorbereitung war, das sich mit demselben Thema befasst und zum Film ARGENTINA, 1985 wurde.

Die Opfer sagen trotz des Risikos aus: Obwohl die Militärs nicht mehr an der Regierung sind, drohen sie weiter.

Der Prozess gegen die Juntas der letzten Diktatur war der Beginn einer Suche nach Gerechtigkeit, die bis heute andauert. Er ist die Grundlagen, auf der diese Suche über mehr als 35 Jahre hinweg andauert.

Dies ist kein Dokument der Vergangenheit, sondern ein Anfangspunkt.

Mit Hilfe der mehr als 800 Zeug*innen, die ausgesagt haben, haben wir begonnen, etwas über die Unterdrückung und die Verbrechen zu erfahren, die von den Militärregierungen zwischen 1976 und 1983 begangen wurden.

In den Stimmen der Verteidiger hören wir die politischen und ideologischen Positionen derjenigen, die eine Diktatur unterstützten, die 30.000 Menschen als vermisst und verschwunden zurückließ.

Die Spannung im Gerichtssaal überträgt sich auf die Diskussionen zwischen Staatsanwalt Strassera und den Verteidigern. Es werden alle möglichen Tricks angewandt, um das Urteil zu verhindern oder anzufechten. Die zuschauende Öffentlichkeit beteiligt sich emotional und wird von den Richtern nachdrücklich zum Schweigen aufgefordert.

Im Gerichtssaal fühlt sich unsere Demokratie jung und zerbrechlich an. Die Stimmung ist latent gewalttätig. Die Angeklagten verhalten sich wie die „Besitzer“ Argentiniens. Die Gesten, Blicke und die Sprechweise der Verteidiger und des Militärs lassen Vergeltungsmaßnahmen der Streitkräfte befürchten. Trotz aller Widrigkeiten versucht das Gericht seine Arbeit zu machen und den Staatsterror abzuurteilen, der einige Jahre zuvor von den anwesenden Offizieren geplant und befohlen wurde. Die Richter arbeiten ohne Garantien für ihre Sicherheit. Auch nicht der Staatsanwalt oder die Zeugen.

Die Opfer sagen trotz des Risikos aus: Obwohl die Militärs nicht mehr an der Regierung sind, drohen sie weiter. Die Oberbefehlshaber von Heer, Marine und Luftwaffe haben ihre Macht noch nicht verloren.

Sich in dieses Archiv zu begeben, bedeutet, sich in die dunkelsten Tiefen der Geschichte der Argentinier vorzuwagen, die ein Ausschnitt der Geschichte der Menschheit ist.

Ulises de la Orden

Übersetzung: Sven von Reden

ZURÜCK ZUM FILM

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur