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Diesem Regisseur kann man dabei zusehen, wie er seine Fragen findet, aus dem Moment heraus agiert. Mehran Tamadon betreibt eine eigene Form des Aktionskinos. Er begibt sich in Situationen mit offenem Ausgang, setzt sich selbst als Subjekt des Diskurses ins Bild. Er sucht und untersucht dabei seine Heimat: „Ich bin ein in Paris lebender Iraner.“

Mit 12 Jahren zieht Tamadon mit seinen Eltern in die französische Hauptstadt, studiert dort später Architektur. Für vier Jahre geht er zurück nach Teheran, arbeitet als Architekt und beginnt, sich mit der Kamera an seiner Umgebung zu reiben. Tamadons dokumentarische Filmarbeiten eröffnen Denk- und Gesprächsräume und beobachten das innere Getriebe des iranischen Regimes, die totalitären Methoden, die es zur eigenen Aufrechterhaltung verwendet. So stellt er sich in seinem neuen Film JAIL KEH KHODA NIST (Where God is Not) der Folter in iranischen Gefängnissen. Opfer kommen zu Wort, der Regisseur selbst steht mit seiner Kamera eher am Bildrand, abwartend, manchmal behutsam nachfragend.

In seinem ersten Langfilm BASSIDJI (2009) gleitet die Kamera über ein Schlachtfeld des Iran-Irakkrieges, man vernimmt rhythmisches Wehklagen von Männern über ihre gefallenen Kameraden. Es scheint, als würden sie sich auch selbst beweinen, weil sie nicht den Heldentod im Namen des Glaubens gestorben sind. Sie beten, um ihre Opferbereitschaft und Tapferkeit zu bekunden.

Über drei Jahre hinweg bewegt sich Tamadon in der Welt dieser Männer, freiwillige Angehörige einer paramilitärischen Miliz, die sich auch als Sittenwächter sehen und betätigen. Er begleitet zwei der Bassidjis bei ihren Fahrten auf Motorrollern durch die Straßen Teherans, auf denen sie die strenge Einhaltung islamischer Regeln kontrollieren. Tamadon konfrontiert sie mit seiner eigenen Lebensweise, verwickelt sie in Gespräche über unverheiratetes Zusammenleben, Toleranz, Gleichberechtigung, Atheismus. Je beharrlicher er ihre rigide Weltanschauung hinterfragt, desto deutlicher spürt man die unsichtbare Mauer, die sie um sich herum errichten. Unmissverständlich geben sie zu verstehen, dass der Filmemacher mit seinem „westlichen“ Lebensstil ein Fremdkörper in dem Land sei, das er als seine Heimat begreift.

Mit seinem nächsten Film IRANIEN (2014) versucht Tamadon wieder ein Tor zu öffnen. Fanden die Diskussionen in BASSIDJI noch auf offener Straße statt, lädt er nun vier schiitische Geistliche ins Landhaus seiner Familie ein. Er möchte einen Ort bieten, an dem sich die unterschiedlichsten Gesellschaftsideen unter einem Dach versammeln.

Wie in traditionellen Haushalten üblich, isst und diskutiert man auf dem Boden. Die Grenzen des Austausches manifestieren sich bereits im Bild. Tamadon sitzt vier Männern gegenüber, die eine Art Block bilden. Die Geistlichen geben sich gelassen, sind routinierte Rhetoriker. Unermüdlich sucht Tamadon nach einem dialogischen Einfallstor, findet sich jedoch stets in der Verteidigungsposition wieder: „Deine Religion ist Säkularismus.“

Die vier Geistlichen lachen und essen mit Tamadon, humorvoll fängt dieser die Spannungen in seiner Simulation einer pluralistischen Gesellschaft auf. Doch in manchen Momenten droht das fast schon surrealistisch anmutende Kammerspiel in einen offenen Eklat zu münden. Nach den Dreharbeiten wird der Regisseur endgültig in seine Grenzen gewiesen: Mehran Tamadon bekommt den Pass abgenommen, bei zahlreichen Verhören wird ihm nahegelegt, den Iran für immer zu verlassen.

 

Tamadons vorherige Filme waren der hoffnungsvolle Versuch, mit Repräsentanten des sogenannten Gottesstaates ins Gespräch zu kommen. Jetzt entblößt er aus der Ferne ein Regime, das für sein Fortbestehen auch die Religion verrät.

Nun verschafft er sich von Frankreich aus Zutritt zu verriegelten Räumen. Schauplatz seines neuen Films JAIL KEH KHODA NIST sind Lagerhallen, Garagen und Keller, die zu Erinnerungsorten werden. In einer ehemalige Fabriketage baut er mit einer ebenfalls in Frankreich lebenden Exiliranerin die Zelle eines Gefängnisses nach. Zusammengepfercht mit bis zu 18 weiteren Insassinnen musste sie dort auf wenigen Quadratmetern hausen. Ihre Schleier funktionierten die Frauen in Hängematten um. Für einen Moment hält die einstige Gefangene inne, vor ihrem geistigen Auge entstehen weitere Bilder. Manche scheint sie für sich behalten zu wollen, über andere beginnt sie zu sprechen.

Mit Kabeln, Bettgestellen und anderen Gegenständen stellt ein ehemaliger Häftling die Folterpraktiken in iranischen Gefängnissen nach. Erschütternd ist die Routine seiner Handgriffe, die präzise Beschreibung der Schmerzen durch Fesselmethoden und Peitschenhiebe

„Eins, zwei, drei – nur drei Schritte brauchte es, um den dunklen Raum zu durchqueren“, sagt ein weiterer Gesprächspartner über die Isolationshaft. „Du musst versuchen, Kontrolle über die Mauern zu gewinnen.“ Mit jedem Schritt, den er in dem Pariser Keller geht, stellt er sich dem Trauma der sechs Monate währenden Isolationshaft. Das Verfahren des Reenactments setzt eine schmerzvolle Vergegenwärtigung in Gang, man erahnt den Beginn einer Trauerarbeit.

Tamadons vorherige Filme waren der hoffnungsvolle Versuch, mit Repräsentanten des sogenannten Gottesstaates ins Gespräch zu kommen. Jetzt entblößt er aus der Ferne ein Regime, das für sein Fortbestehen auch die Religion verrät. In JAIL KEH KHODA NIST ist eine bittere Form der Utopie eingeschrieben: Die Idee, dass zumindest einer der Männer, die demütigen, verhören, foltern, die zur Falschaussage oder zur Kollaboration zwingen, seinen Taten auf der Leinwand begegnet. Damit auch dieser gottverlassene Film zum Teil des Dialoges wird, den Mehran Tamadon unbeirrbar sucht.

Anke Leweke ist Filmkritikerin und Kuratorin.

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