Andrei Tănăsescu: Man hat das Gefühl, dass MAMMALIA aus der Spannung zwischen der Realität und dem Unterbewussten entstanden ist. Woher stammt die Idee zu diesem Film?
Sebastian Mihăilescu: Wir fühlen nicht nur eine Sache nach der anderen. Das Leben ist chaotisch. Und ich glaube, Filme sollten das widerspiegeln. Als Regisseur tue ich, was immer nötig ist, um dieses Chaos zugleich abzubilden und zu kontrollieren. Ich mache Filme, die hin und her schwanken zwischen Beschränkung, Ordnung und Symmetrie auf der einen Seite und Obsessivität, sprunghaftem Verhalten und fehlender Kontrolle auf der anderen.
Meine Inspiration stammt zum Teil aus dem Werk von Baudrillard, der von Hyperrealität und Simulakren spricht. Es geht um die Idee, dass alles so sehr simuliert ist, dass es nichts Reales mehr gibt. Auch wenn das ein wenig übertrieben ist, interessiert mich das. Ich untersuche, wie wir die Dinge, die nicht real sind, nutzen können, um die Welt zu erforschen und zu verstehen. Ich wollte einen Film machen, der sich wie ein Traum anfühlt. Ich wollte Realismus und Naturalismus umschiffen und in einer abstrakten Zone ankommen, die die Struktur des täglichen Lebens einfängt, indem sie bedeutungsvolle Ereignisse herunterspielt. Ich wollte ein hyperreales Gefühl schaffen, ein körperliches Kino. Ich wollte eine Art Märchen erzählen, aber mit einem minimalistischen Ansatz. Ich hoffe, dass dies die Zuschauer*innen herausfordert und sie dazu einlädt, sich stärker zu beteiligen und sich der aktiven und passiven voyeuristischen Mechanismen bewusst zu werden, die die Kinoerfahrung beeinflussen.
Ihre Zusammenarbeit mit dem Autor und Regisseur Andrei Epure erstreckt sich mittlerweile über fast ein Jahrzehnt. Wie würden Sie diese künstlerische Verbindung beschreiben und wie haben Sie beide das Drehbuch für MAMMALIA entwickelt?
SM: Andrei ist ein guter Freund und wir arbeiten tatsächlich schon sehr lange zusammen. Obwohl wir zahlreiche Entwürfe brauchten, war es ein sehr organischer Prozess. Ich habe mich in den letzten Jahren verändert, und das Drehbuch hat sich ebenfalls verändert. Und während dieses Prozesses wurde mir klar, dass ich mich von Automatismen, Regeln und Meinungen befreien wollte, denen eine starke Basis fehlt. Ich wollte zum Ursprung zurückkehren, zu dem, was mich dazu gebracht hat, diesen Beruf zu ergreifen, zur Quelle meiner Spontaneität, zur Freude am Tun. Ich sehnte mich nach einer unvollendeten Idee, so viel Freiheit wie möglich zu haben, mich von nichts anderem als meinen Überzeugungen, meinen Obsessionen oder auch meinen eigenen Limitierungen tragen zu lassen.
Also habe ich das Drehbuch verdichtet, es collagenhaft, magazinartig gemacht und mit Referenzen auf Malerei und Fotografie gefüllt, die mich persönlich auf eine Weise angesprochen haben, wie es Worte nicht gekonnt hätten. Nur die absolut notwendigen Dialogfragmente sind übriggeblieben, der Rest ist spontan entstanden.
Ich mische Schauspieler*innen immer mit Nicht-Profis. Professionelle Schauspieler*innen wenden bestimmte Techniken an, die sie meiner Meinung nach daran hindern, vor der Kamera so präsent zu sein wie ein Nicht-Profi. Und da jede*r auf einem anderen Gebiet begabt ist, sollte man Schauspieler*innen nie auf die gleiche Weise führen wie einen Nicht-Profi. Diese Mischung gab dem Film einen bewusst langsamen Rhythmus.
Sie haben in Ihrer gesamten Filmografie mit der Filmsprache experimentiert und sich von standardisierten Formen fiktionalen Erzählens im Kino hin zu einem freieren Ausdruck bewegt, wobei MAMMALIA wie ein bedeutender Sprung in dieser natürlichen Entwicklung wirkt. Welche künstlerische Absicht steckt hinter diesem Film, auch hinter der Verwendung von 16mm?
SM: Ich bin ein gescheiterter Maler, und ich denke, dass die Malerei eine Schlüsselrolle für meinen Filmstil spielt. Ich interessiere mich sehr für Oberflächen und Materialität, und auch für die Idee des Rahmens und der Komposition.
Dies ist ein Film über eine Reise, die Reise ist der eigentliche Film. Es geht nicht um das Ziel – es geht um die Reise. Und um die Existenz und die Banalität des täglichen Lebens. Ich wollte, dass der Film eine sehr taktile Qualität hat. Aber zugleich musste ich sehr strategisch mit meiner begrenzten Zeit und meinen Ressourcen umgehen. Zusammen mit Barbu Bălășoiu, dem Kameramann, haben wir diesen sehr reduzierten Look entwickelt.
Der Film befasst sich mit der falschen Art und Weise, in der wir heutzutage Männlichkeit immer in Verbindung mit Leistung setzen und definieren. Wenn hohe Leistung und Produktivität fehlen, bringt das Scham und Entmännlichung mit sich.
SM: Ich liebe die Materialität und die Körnung von 16mm. Ich wollte, dass der Film eine ganz bestimmte Textur hat, eine traumgleiche Qualität. Alles bei ihm dreht sich für mich um den Körper. Der Körper in Raum und Zeit. Der Körper im Verhältnis zu anderen Körpern. Der Körper in seiner Umgebung. Der Körper als Ort von Lust und Schmerz. Der Körper als Ort von Macht und Verletzlichkeit. Ich interessiere mich dafür, wie er sich bewegt und wie er bewegt wird. Ich interessiere mich dafür, wie der Körper betrachtet wird und wie er andere ansieht. Ich interessiere mich für die körperliche Dimension der menschlichen Erfahrung.
Der Film behandelt zwar wichtige Themen (zentral ist die Krise der geschlechtlichen Identität), aber er tut dies mit Humor und (ritueller) Performativität. Können Sie etwas sagen über den unterliegenden Kommentar zur sozialen Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit und den spielerischen Charakter des Films, in den er eingebettet ist?
SM: Der Film befasst sich mit der falschen Art und Weise, in der wir heutzutage Männlichkeit immer in Verbindung mit Leistung setzen und definieren. Wenn hohe Leistung und Produktivität fehlen, bringt das Scham und Entmännlichung mit sich. Sensibilität wird als eine Form von Schwäche gesehen, Verlegenheit als beschämend.
Der Film befasst sich auch mit der Störung männlicher Hegemonie, die durch feministische Diskurse hervorgerufen wird, und zeigt, wie sich die Neudefinition der Geschlechterrollen direkt auf den männlichen Körper auswirkt.
MAMMALIA kommentiert die soziale Konstruiertheit von Weiblichkeit und Männlichkeit in zweierlei Hinsicht. Erstens persifliert er die Art und Weise, wie die klassischen binären Geschlechterrollen gesellschaftlich oft starr definiert sind. Zweitens wird die performative Natur der Geschlechtsidentität hervorgehoben. Indem das zentrale Thema – die Krise der geschlechtlichen Identität – in einen komödiantischen Kontext eingebettet wird, unterstreicht der Film die Art und Weise, in der jede*r von uns durch die Übernahme seiner Geschlechterrolle zu verzerrten Diskursen beiträgt und Geschlechterkonflikte verstärkt.
Der Film setzt sich auch mit vorgefassten Meinungen über Weiblichkeit auseinander und wie wir Frauen fälschlicherweise wahrnehmen. Wir verwechseln ihre Fähigkeit, neues Leben in die Welt zu setzen, mit einer eindeutigen, gesunden Bestimmung, die Männer nie haben können. Der Film befasst sich mit gegenderten Machtspielen, Gemeinschaften und Spannungen, einschließlich der unterschiedlichen Art und Weise, in der wir Männern und Frauen Vorwürfe machen, sowie mit der daraus resultierenden Scham und Schuld.
Das Sounddesign wirkt wie ein organisches Element der Welt von MAMMALIA – ebenso wie die Originalmusik des renommierten polnischen Musikers Piotr Kurek. Können Sie deren „Präsenz“ im Film näher erläutern?
SM: Das Sounddesign schafft eine einzigartige und eindringliche Hörerfahrung, die dazu beiträgt, die fantastische Welt des Films zum Leben zu erwecken. Die Originalmusik von Piotr Kurek verstärkt die emotionale Wirkung des Films und steigert das Drama und die Komik.
Können Sie etwas über die Wahl der Drehorte und das Set-Design erzählen?
SM: Die oft surrealen und traumhaften Schauplätze tragen dazu bei, ein Gefühl der Andersartigkeit und Fremdartigkeit zu erzeugen. Ich habe mich dabei von einer Reihe von Dingen inspirieren lassen, darunter meine eigenen Träume, Kindheitserinnerungen und Kunstwerke. Ich wollte verschiedenartige Orte; Orte, die zu eigenständigen Charakteren werden; Orte, die in meinem Unterbewusstsein existieren; unterschwellige Räume, in die ich hineingehen kann.
Das Set-Design, das von Anca Lazăr und mir schlicht und minimal gehalten wurde, trägt wesentlich zur surrealen Atmosphäre des Films bei. Diese Entscheidungen haben uns geholfen, eine einzigartige und fantastische Welt zu schaffen, die gleichzeitig vertraut und fremd ist. Ancas fabelhaftes Team hat mir geholfen, meine Vision zum Leben zu erwecken, und ich bin sehr dankbar für all ihre harte Arbeit und ihr Engagement.
Interview: Andrei Tănăsescu ist Filmkurator und lebt in Toronto und Bukarest.
Übersetzung: Sven von Reden