Im letzten Drittel von LA EDAD MEDIA (The Middle Ages), einem tragikomischen Lockdown-Film aus Buenos Aires von Alejo Moguillansky und Luciana Acuña, verliert eine der drei Hauptfiguren die Fasson. Nachdem die Performerin und Theatermacherin mehrere Monate auf engstem Raum mit der Familie verbracht hat, bricht es in einem Zoom-Gespräch aus ihr heraus: Wie und für wen wird sie in der Zukunft Kunst machen? Führt ein Weg zu prä-pandemischen Verhältnissen zurück? Und was, wenn nicht?
Sie spricht damit laut aus, was viele, die sich mit künstlerischen Prozessen und deren Präsentation in der Öffentlichkeit beschäftigen, leise denken. „In mehr als einem Film des Programms werden Fragen zu post-pandemischer Kunst mal spielerisch, mal beobachtend-analytisch aufgegriffen. Und mehr als einmal lässt sich verfolgen, wie die pandemische Gegenwart in den Prozess des Filmemachens selbst eingreift oder ihn sogar von Anfang an bestimmt“, kommentiert Sektionsleiterin Cristina Nord.
Dies heißt nicht, dass die Härten, die Corona mit sich bringt, auf der Leinwand einfach nur verdoppelt würden. Der portugiesische Regisseur Jorge Jácome zum Beispiel schafft in seinem Langfilmdebüt SUPER NATURAL eine verspielt-verträumte Experimentierfläche. Eine Gruppe von Performer*innen – manche von ihnen mit, andere ohne Behinderung – erkundet die Insel Madeira. Die üppige Flora und Fauna, künstliche Intelligenzen und Unterwasserwesen treiben gemeinsam Schabernack. Auch Dane Komljen schickt in AFTERWATER die Figuren in Räume weit ab der Städte, in eine Isolation, in der wie bei Jácome menschliche, tierische und pflanzliche Konturen allmählich verschwimmen.
Natürlich beherrscht die Pandemie nicht alles. Éric Baudelaires Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm, das Diptychon UNE FLEUR À LA BOUCHE (A Flower in the Mouth), sammelt auf einem Blumenmarkt berückend schöne Aufnahmen, bevor er ein Stück von Pirandello in die Gegenwart verlegt. Auch Darezhan Omirbayevs Spielfilm AKYN (Poet) bezieht sich auf Literatur aus vergangener Zeit, hier ist es ein kasachischer Dichter aus dem 19. Jahrhundert, an dem sich der Protagonist zu orientieren versucht. Die vietnamesische Regisseurin Kim Quy Bui wiederum schaut in ihrem Spielfilm MIỀN KÝ ỨC (Memoryland) dörflichen und städtischen Bestattungsritualen zu.
Mit EUROPE legt der Berliner Regisseur Philip Scheffner zum ersten Mal einen Spielfilm vor, der der Fiktionalisierung zum Trotz eng mit der dokumentarisch-essayistischen Arbeit verbunden bleibt. Geht es darin um eine Algerierin in Frankreich, beschäftigt sich Lina Rodriguez in MIS DOS VOCES (My Two Voices) auf behutsame Weise mit den Erfahrungen, die Frauen aus Kolumbien, Mittelamerika und Mexiko in Kanada sammeln. Erin und Travis Wilkerson erkunden in einer essayistischen Tour de Force namens NUCLEAR FAMILY die zivile und militärische Nutzung der Atomenergie in den USA; dabei finden sie nicht nur viele abgesperrte Gebiete in der Wüste, sondern auch Antworten auf die Frage, wie man heute Filme politisch drehen kann. Schließlich präsentiert James Benning, oft und gern gesehener Gast des Forums, seinen jüngsten Film THE UNITED STATES OF AMERICA als Weltpremiere. In gewohnt langen, statischen Einstellungen und mit einem überraschenden Kunstgriff erkundet er die USA und erreicht eine Metaebene, die aus dem Film auch einen Parcours durch sein eigenes Œuvre macht.
Bisher sind die folgenden zehn Titel bestätigt, das komplette Programm wird Mitte Januar 2022 veröffentlicht:
AFTERWATER
Deutschland / Spanien / Republik Korea / Serbien
von Dane Komljen
mit Jonasz Hapka, Signe Westberg, Boban Kaludjer
Weltpremiere
AKYN (Poet)
Kasachstan
von Darezhan Omirbayev
mit Yerdos Kanayev, Serik Salkinbayev, Klara Kabylgazina
Europäische Premiere
LA EDAD MEDIA (The Middle Ages)
Argentinien
von Alejo Moguillansky, Luciana Acuña
mit Cleo Moguillansky, Luciana Acuña, Alejo Moguillansky
Weltpremiere
EUROPE
Deutschland / Frankreich
von Philip Scheffner
mit Rhim Ibrir, Thierry Cantin, Didier Cuillierier
Weltpremiere
UNE FLEUR À LA BOUCHE (A Flower in the Mouth)
Frankreich / Deutschland / Republik Korea
von Éric Baudelaire
mit Oxmo Puccino, Dali Benssalah
Weltpremiere
MIỀN KÝ ỨC (Memoryland)
Vietnam / Deutschland
von Kim Quy Bui
mit Mong Giao Vu, Thi Thu Trang Nguyen, Van Thai Nguyen
Europäische Premiere
MIS DOS VOCES (My Two Voices)
Kanada
von Lina Rodriguez
mit Ana Garay Kostic, Marinela Piedrahita, Claudia Montoya
Weltpremiere, dokumentarische Form
NUCLEAR FAMILY
USA / Singapur
von Erin Wilkerson, Travis Wilkerson
mit Travis Wilkerson, Erin Wilkerson, Matilda Wilkerson
Europäische Premiere, dokumentarische Form
SUPER NATURAL
Portugal
von Jorge Jácome
mit Alexis Fernandes, Bárbara Matos, Celestine Ngantonga Ndzana
Weltpremiere
THE UNITED STATES OF AMERICA
USA
von James Benning
Weltpremiere
Pressekontakt:
Alena Martens
presse@arsenal-berlin.de