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Notizen zum Film

EXTRA LIFE (AND DECAY) ist eine Suche nach Nähe, nach Gastfreundschaft auf allen Ebenen. Der Film ist gleichzeitig ein intimes Manifest der totalen Verweigerung und das Projekt einer kollektiven Rebellion von Gefährten gegen Strukturen der Herrschaft/Autorität (über Land, über Körper) – Strukturen, die uns Sorge, Unterstützung, Solidarität und die Möglichkeit verweigern, tiefgehende Verbindungen zu schaffen und aufrechtzuerhalten.

Der Film erinnert uns daran, dass wir als Individuen unterstützende, kollektive Körper brauchen, um zu überleben, und dass wir selbst aus einer Vielzahl lebender Organismen bestehen.

Im Fokus auf Affinitäten zwischen verschiedenen Lebewesen macht EXTRA LIFE (AND DECAY) den Prozess der Fragmentierung sichtbar, der das Politische gegenwärtig beherrscht. Der Film erinnert uns daran, dass wir als Individuen unterstützende, kollektive Körper brauchen, um zu überleben, und dass wir selbst aus einer Vielzahl lebender Organismen bestehen.

Die Erzähler*in verwendet die Pronomen she (elle) und they (elles), um die ineinander verwobenen Existenzen von menschlichen und nichtmenschlichen Gemeinschaften und Individuen zu entfalten, die in der Arbeitswelt mit Ausbeutung konfrontiert sind. Diese beiden Räume des Kampfes – der Wald und die öffentliche Kinderbetreuung, die von neoliberaler „Vereinfachung“ und „Fragmentierung“ bedroht sind – wurden Teil meiner Erfahrung mit der Elternschaft, die mit der Pandemie und dem Beginn dieses Projekts zusammenfiel.

Von ihren Gemeinschaften, Lebensgrundlagen und Unterstützungsnetzwerken isoliert, erweisen sich sowohl Kernfamilien als auch bewirtschaftete Waldparzellen als tödliche Strukturen.

Während she (elle) sich aus Fragmenten persönlicher Erfahrungen und multipler Perspektiven zusammensetzt, tritt they (elles) als kollektiver Körper menschlicher und nicht-menschlicher Wesen, als kollektives Bewusstsein, in Erscheinung. Die vielfältigen Zeugnisse, zusammengetragen aus persönlichen Reflektionen, wissenschaftlichen Beobachtungen, gesammelten und ausgetauschten Worten, verlangen nach einer Wiederbelebung der Gemeingüter und Strategien des Widerstands. Die neoliberalen Programme der Fragmentierung und Vereinfachung (wissenschaftliche/politische Begriffe, die für das Management von Landschaften, Wäldern und Kinderbetreuung verwendet werden) sind für vulnerable menschliche und nicht-menschliche Gruppen zunehmend zur Belastung geworden – insbesondere während der Pandemie.

Das kapitalistische Konzept der Kernfamilie als das Normmodell einer Konsumeinheit, und die Erfindung des sogenannten „Normalbaums“ in der Forstwirtschaft als messbare Standardeinheit der Holzproduktion – beide werden von der gleichen Logik der Lebensoptimierung angetrieben. Von ihren Gemeinschaften, Lebensgrundlagen und Unterstützungsnetzwerken isoliert, erweisen sich sowohl Kernfamilien als auch bewirtschaftete Waldparzellen als tödliche Strukturen.

Film- und Bildproduktion

Der Film sucht durch seine Protagonist*innen eine Erfahrung der Interdependenzen/der Vielheit zu manifestieren, aber auch im Prozess der Filmproduktion kollaborative Strukturen zu etablieren. In der Filmrecherche führten wir kollektive Bildexperimente durch und dachten über die Affinitäten nach, die eine artenreiche Gruppe von Lebewesen auf dem Millevaches-Plateau im Zentrum Frankreichs verbindet. Wir konzentrierten uns auf ein Netzwerk von Beziehungen zwischen einigen wenigen Arten, die durch die intensive Douglasien-Monokultur der Forstwirtschaft in der Region bedroht sind.

Diese Verwandtschaftsbeziehungen stellen Gastfreundschaft und gegenseitige Abhängigkeit in den Mittelpunkt dessen, was wir heute Interspezies-Diplomatie nennen.

Dieses untrennbare Netzwerk entfaltet ineinander verschachtelte Gastfreundschaften und Welten: Die Buche beherbergt den Zunderschwamm, der wiederum den Käfer Boletophagus reticulatus bei sich aufnimmt, der wiederum Kolonien von Acaridennymphen trägt. Eine Flechtenart, die auf der Buche wächst, dient als Bioindikator für die Luftqualität. Der Zunderpilz schwächt die Buche und ermöglicht es dem Schwarzspecht, sein Nest zu bauen, wovon wiederum die Zwergohreule, der Marder und andere profitieren. Die Schwächung der Buche führt zu ihrer Zersetzung und ihrem Absterben, wobei Nekromasse entsteht, die als Verdauungsprozess zum Nachwachsen des Waldes und zur Bodenregeneration beiträgt.

Diese Verwandtschaftsbeziehungen stellen Gastfreundschaft und gegenseitige Abhängigkeit in den Mittelpunkt dessen, was wir heute Interspezies-Diplomatie nennen. Die Bilder des Waldes und das Audio-/Videomaterial, das wir als Gruppe produziert haben, zielten darauf ab, das „unentwirrbare Netz von Verwandtschaften“ („Origin of Species”, Charles Darwin) zu beleuchten. Es war eine Suche nach Alternativen zur Autorität des Bildes, wobei wir Konzepte der Lesbarkeit, Qualität, Rahmung und der Kontrolle in Frage stellten, die der westlichen Wissenschaftssprache inhärent sind und mit der die Herrschaft über die Umgebung gefestigt wird.

Es geht darum, Verbindungen und Gastfreundschaft wiederherzustellen.

Indem wir Bilder produzierten, die unscharf, dezentriert, in ständiger Bewegung, vergrößert und mit verschiedenen Filmgeräten aufgenommen wurden, ermöglichten wir eine Erfahrung der Nähe und Durchlässigkeit zu anderen und unserer Umgebung. Dabei folgten wir dem Begehren, den festgelegten Bezugspunkten von Messung, Qualität und Kontrolle im digitalen Bewegtbild zu entkommen.

Später im Jahr organisierten wir mit den Kolleg*innen, die an der Filmrecherche beteiligt waren, eine kollektive Lesung meines Drehbuchs. Das war der letzte Teil des Films. Diese Momente kollektiver Arbeit in den verschiedenen Phasen der Filmherstellung, die sowohl in der Erzählung als auch in der Produktion selbst zum Ausdruck kommen, bilden das wichtigste Element dieses Projekts. Es geht darum, Verbindungen und Gastfreundschaft wiederherzustellen.

Stéphanie Lagarde

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