2014, als Russland die Donbass Region annektierte, war Marko gerade einmal 14 Jahre alt. Der hybride Krieg zwischen der Ukraine und der russischen paramilitärischen Volksmiliz schwelte schon Jahre und kulminierte im Februar 2022 in der Invasion Russlands in der Ukraine. Zu diesem Zeitpunkt war der Donbass bereits vollständig unter russischer Kontrolle.
Marko wuchs als schwuler Teenager in einem Umfeld voller homophober Propaganda auf. Jedes Mal, wenn er einen Kontrollpunkt passierte, musste er befürchten, wegen seiner sexuellen Orientierung entdeckt, getötet, zum Militär eingezogen oder zum Ausheben von Schützengräben gezwungen zu werden. In diesem Klima, in dem Europa spöttisch „Gayropa“ genannt wird, hätte ihn ein Coming-out das Leben kosten können. Hinzu kam, dass seine behinderte Mutter alkoholabhängig wurde und er sich seit seinem zwölften Lebensjahr um sie kümmern musste. All das weckte in ihm den Wunsch, den Donbass zu verlassen. Dies waren die ersten Dinge, die mich an Marko faszinierten.
Mit 15 Jahren nahm er sein Leben selbst in die Hand, passierte die Kontrollpunkte, um einen ukrainischen Pass zu beantragen (in den besetzten Gebieten werden nur LNR-Pässe ausgestellt). Er reiste nach Asien, wo er seinen ersten Modeljob annahm. 2018 besuchte er von dort aus erneut den Donbass, was sich als lebensbedrohlich herausstellte. Markos Mutter, seine wichtigste Bezugsperson, starb an den Folgen einer unbehandelten Covid-Infektion.
Seit 2018 kann Marko nicht mehr nach Hause zurückkehren. Seine Wohnung in den besetzten Gebieten bleibt versiegelt und verlassen, bombardiert von den anhaltenden Kampfhandlungen. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine waren es junge Männer aus dem Donbass, wie Marko, die zwangsrekrutiert und an der Front als „Kanonenfutter“ eingesetzt wurden und sich für Russland opfern mussten. Um seine Wohnung zu erben, müsste Marko nach Russland einreisen, wo er sofort eingezogen und in den Krieg gegen seine eigenen Leute geschickt werden würde. Erfolgt die Überschreibung nicht rechtzeitig, wird seine Wohnung höchstwahrscheinlich von den Behörden beschlagnahmt und im Rahmen einer groß angelegten Kolonisierungskampagne in den besetzten Gebieten der Ukraine an russische Immobilienunternehmen verkauft.
Die Grenzen zwischen Wiedererlangung und Verlust verschwimmen, wenn die Technologie ein trügerisches Gefühl der Rückkehr erzeugt, letztlich aber nur die Konfrontation mit dem Verlorenen vertieft.
Die immersive Erfahrung des Films knüpft an das theologische Konzept der Entrückung an, das eine umfassenden Ortsveränderung beschreibt – sei es physisch, emotional oder spirituell. In diesem Fall manifestiert sich die Entrückung auf mehreren Ebenen: Man entflieht der Realität oder dem Schrecken, indem man sich in der Vorstellung an einen anderen Ort versetzt. Auch die Vertreibung ist in gewisser Weise eine Form der Entrückung – eine erzwungene Loslösung von Zuhause und Identität. Doch der Versuch, diesen verlorenen Ort digital aufzusuchen und zurückzuerobern, um im Virtuellen Heilung zu finden, führt zu einer weiteren, fast perversen Form der Entrückung. Die Grenzen zwischen Wiedererlangung und Verlust verschwimmen, wenn die Technologie ein trügerisches Gefühl der Rückkehr erzeugt, letztlich aber nur die Konfrontation mit dem Verlorenen vertieft.
Die Musik für RAPTURE II – PORTAL wurde von dem ukrainischen Komponisten Heinali (Oleh Shpudeiko) komponiert. Heinali interpretiert alte Musik mit einem modularen Synthesizer neu, verbindet darin Themen der Vorsehung und der Kontingenz und lässt so Vergangenheit und Gegenwart, Technologie und das Heilige miteinander verschmelzen.
Alisa Berger