Seit ich ganz klein bin, weiß ich, wie launisch mein Gedächtnis ist. Daten, Orte und Namen zu behalten, bedeutete schmerzhafte Anstrengungen für das kleine, fleißige Mädchen, das ich damals war. Doch wenn es um den Bürgerkrieg geht, gerät mein Gedächtnis vollständig in Unordnung und wird ungewöhnlich willkürlich … Sämtliche Ereignisse vermischen sich und fressen sich gegenseitig auf, und die Auswahl an Erinnerungen, die mir bleiben, folgt keinerlei Logik …
Doch von diesem Film habe ich nichts vergessen: BEIRUT AL LIKA (Beirut the Encounter). Und trotz meiner Abneigung gegen jede Form von Nostalgie ging ich – ich weiß nicht, warum – bei YouTube auf die Suche nach diesem Film. Wahrscheinlich, weil ich Borhane vermisse und ebenso diesen „Lebensabschnitt“ – so, wie man sich mit lieben Verwandten zu treffen versucht, indem man ein Fotoalbum hervorholt, vergilbt von der Zeit –, doch vor allem gedrängt von der Schuld des Vergessens und Weglassens, von der Unbeständigkeit des Umherirrens weit fort vom Ausgangspunkt, diesem ganz bestimmten Beirut.
Zwischen damals und heute
Weder die blauen Gitanes-Packungen, noch die Musikkassetten, noch die schwarzen Telefone, noch die Straßen meiner Stadt haben mir das Herz so sehr zusammengeschnürt wie das Wiedersehen mit Nadine (Zeina), die seit Jahrzehnten in Frankreich lebt (so wie ich); mit Haytham (Haydar), der heute in seinem Dorf vollkommen von der Welt abgeschnitten ist; das Wiederhören des großen Ahmad (der das Drehbuch und die Dialoge geschrieben hat), der sich in den Vereinigten Staaten aufhält, und … Borhane, der in Belgien gestorben ist. Dieser Film hat schon angekündigt, was aus unseren Leben werden würde: das verpasste Treffen mit unserer Stadt, unserem Land. Alle Anzeichen waren da, doch wir haben nichts gesehen. Wir glaubten damals, der Film wäre für die Anderen, für alle anderen außer uns, denn wir hatten uns ja bereits getroffen: die erste Generation von interreligiösen Ehen, von engagierten (und politisch organisierten) interreligiösen Begegnungen, von Ungebührlichkeiten und Widerspruch mitten im Bürgerkrieg.
BEIRUT AL LIKA erzählt von den Hindernissen und unglücklichen Umständen, die das Treffen zwischen Zeina, der Christin, und Haydar, dem schiitischen Moslem, sabotieren – zwei „Unschuldigen“ an den von ihren Gemeinschaften begangenen Verbrechen. Der Film konnte dies tun, weil wir selbst sicher waren. Und weil wir eine Botschaft hatten, oder anders ausgedrückt: eine Hoffnung, die Hoffnung, überzeugen und das Massaker auf diese Weise beenden zu können. So, wie auch der Film die Hoffnung hatte, die Schlacht zu gewinnen, durch Auslösen einer großen Traurigkeit angesichts dieser absurden Verschwendung: Zeina und Haydar werden sich nicht treffen. (Wir aber schon, denn es ist ja bereits geschehen; wir sind ja da, zusammen!)
Zu neuem Leben erweckte Bilder
Auf YouTube ist die zweite Hälfte des Films vollkommen unhörbar. Mein Gedächtnis hat das ergänzt. Für die jüngeren Generationen ist es eine sehr gute Nachricht, dass der Film restauriert wird. Heute, im aktuellen Libanon, wo die Katastrophe die Ausmaße einer griechischen Tragödie annimmt, wo Beirut in seiner Agonie der Mechanik des Absurden nur noch zuschaut, lebt dieser bescheiden visionäre Film weiter – Bilder, wiederauferstanden aus dem glücklichen Jahr (1978), welches dem, was man sich geeinigt hatte, naiv den „Zweijährigen Krieg“ zu nennen, der aber fünfzehn Jahre dauerte, und schließlich ewig. BEIRUT AL LIKA heute anzuschauen, mag eine schmerzhafte Gedächtnisübung sein, doch vor allem ist sie unverschuldet aktuell!
Borhane hatte eine Sequenz gedreht, die als Epilog vorgesehen war, dann aber beschlossen, sie nicht in den Film einzubeziehen. Dieser Teil, das hypothetische Finale von BEIRUT AL LIKA, versammelte das gesamte Team in einer Art „Party“, die den Abschluss der Dreharbeiten feiert. Es war natürlich eine falsche Party, eine Art Parodie, die den Mythos des zentralen Themas des Films zerstörte und die zeigte, wie gedankenlos alle Beteiligten waren, wie oberflächlich das sattsam bekannte „nationale Anliegen“, wie vermessen ein patriotisches Gefühl, das alles verurteilte, was die Libanesen daran hinderte, „sich zu treffen“. Das war noch, bevor alle ins Exil gingen, vor KHALASS („Es ist aus“), dem letzten Film von Borhane Alaouié, in dem das Treffen mit Beirut bereits unmöglich geworden war.
Auf dieser Party, zwischen Champagnergläsern und Haschischjoints, haben selbst die am stärksten Betroffenen das unterirdisch brodelnde Magma zwar wie Tiere gespürt, aber nichts gesehen, nichts vorausgesehen von dem, was mit uns geschehen würde!
Hoda Barakat, libanesische Schriftstellerin, veröffentlichte sechs Romane, zwei Theaterstücke sowie mehrere Kolumnen.
Übersetzung: Stefan Pethke