Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie lebhaft wir, Med Hondo und ich, unsere intellektuellen Errungenschaften debattierten. Wir waren jung damals, kaum zwanzig Jahre alt, und kämpferisch. Ich hatte meine ersten zaghaften Versuche als Dramatikerin unternommen, und Med Hondo ging der Schauspielerei nach, einer in meinen Augen magischen Kunst.
Sein Film WEST INDIES – LES NÈGRES MARRONS DE LA LIBERTÉ (West Indies) geht auf ein Stück des aus Martinique stammenden Autors Daniel Boukman zurück und ist ein Aufschrei gegen alles, was uns in Ketten legt und unserer Freiheit beraubt. Der von fieberhafter Musik getragene Film erzählt vom Schicksal der Bewohner*innen der Französischen Antillen und wurde im Rahmen einer Hommage an Med Hondo, die im Oktober 2021 im Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers (MUCEM) in Marseille zu sehen war, als politische Musical-Komödie bezeichnet. Wiederholt ist im Film von der sogenannten BUMIDOM die Rede, der französischen Migrationsbehörde für die Überseegebiete, die aus den Antillaner*innen ein Volk der Hausdiener machen wolle; und Guadeloupe und Martinique werden als Zuckerinseln bezeichnet, deren Bewohner*innen für den Zucker im Kaffee ihrer Sklavenhalter sorgen. Der Film macht sich über die Abschaffung der Sklaverei verächtlich, die paradoxerweise der Klasse der Plantagenbesitzer zugutekam und aus einstigen Sklav*innen Bürger*innen zweiter Klasse machte. Der Humor des Films und die Gewalt, die in ihm dargestellt wird, haben etwas Befreiendes an sich. Aus ihnen spricht Med Hondos jugendlicher Idealismus.
Ich erinnere mich auch noch gut daran, dass Med Hondo Einwände gegen das Konzept einer Négritude hatte, so wie ich auch. Er hielt sie für einen von Menschen afro-karibischer Herkunft erschaffenen Mythos, der unser Unterworfensein unter das Diktat des Kolonialismus, der bereits so viel zerstört hatte, nur weiter verfestigen würde. Wir debattierten auch die Sprachenfrage. Med Hondo war der Auffassung, wir sollten die Sprache der Bewohner*innen der karibischen Inseln sprechen, das Kreolische also, das von den Eliten auf den Französischen Antillen verfolgt wurde. Wir waren davon überzeugt, dass Wörter, dass Sprache über den Kolonialismus triumphieren würden, dass Literatur eine Wunderwaffe war, mit der wir einst all unsere Feinde besiegen würden.
Med Hondo, der nicht mehr unter uns ist, würde mir in Folgendem sicher zustimmen: Die Probleme von damals bestehen nach wie vor
Die koloniale Welt bildete in unseren Augen eine Einheit. Unterschiede zwischen Afrika und den Französischen Antillen weigerten wir uns anzuerkennen. Hier wie dort hatten die Menschen ihr Land, ihre Sprache und ihre Götter verloren – all dies galt es zurückzuerobern. Literatur, die eine befriedete Welt und ein besseres Leben für alle wollte, musste sich genau dies zum Ziel setzen.
Was lässt sich nach all den Jahren über diesen Film sagen? Med Hondo, der nicht mehr unter uns ist, würde mir in Folgendem sicher zustimmen: Die Probleme von damals bestehen nach wie vor. Den politischen Status der Französischen Antillen, die 1946 zu einem französischen Überseegebiet erklärt wurden, stellt gegenwärtig niemand in Frage. Guadeloupe und Martinique werden als Urlaubsparadies beworben. Aber für die Menschen, die auf diesen Inseln leben, interessiert sich niemand. Es sei denn, es kommt zu Hurricanes, Erdbeben oder Vulkanausbrüchen. Im Zuge der jüngsten Proteste auf Guadeloupe und Martinique hat der französische Minister für die Überseegebiete den Antillaner*innen „Autonomie“ angeboten – ein Begriff, der viele offenbar abgeschreckt hat, Gewerkschaften und Regionalpolitiker*innen eingeschlossen. Eines der drängendsten Themen innerhalb der frankophonen Welt ist die Stellung der Frau. Und die Bedeutung der Religion. Es gibt Menschen, die davon überzeugt sind, Frankreich stehe im Begriff, sich zu islamisieren. Und dann wäre da noch das Schicksal der Migrant*innen, die auf der Suche nach einem besseren Leben ihre Heimatländer verlassen und auf dem Weg nach Europa zu Tode kommen.
Andere Zeiten, andere Bräuche.
Maryse Condé ist eine gefeierte Schriftstellerin und emeritierte Professorin für französische und frankophone Literatur der Columbia University, New York.
Übersetzung: Gregor Runge