Als ich erfuhr, dass Med Hondo einen neuen Film dreht, habe ich ihn sogleich am Set besucht, um ein Interview mit ihm zu führen. Filmliebhabern muss ich ihn nicht vorstellen, denn der mauretanische Filmemacher wird überall von jenen geschätzt und begleitet, die das Kino lieben. Er wird geschätzt für die Qualität seiner Bilder und für die interessanten Themen, die er bearbeitet. Med Hondo fehlt es weder an Ernsthaftigkeit, noch an Humor.
Moune de Rivel: Entschuldigen Sie, Med, dass ich Sie bei Ihrer Arbeit störe, aber ich konnte Sie anders nicht erreichen.
Med Hondo: Es war richtig von Ihnen herzukommen, Moune. Ich weiß nie, wann mein Arbeitstag zu Ende ist. Manchmal verlasse ich das Schnittstudio erst um drei Uhr morgens und komme sehr früh wieder.
Erzählen Sie uns von Daniel Boukmans Theaterstück „Les négriers“ (wörtliche Übersetzung: „Die Sklavenhändler“), das Sie als WEST INDIES nach Ihrem eigenen Drehbuch fürs Kino adaptiert und inszeniert haben. Im Augenblick führen Sie die Mischung für diesen Film durch. Was bedeutet das: „Mischung“?
MH: Wie? Sie wissen nicht, was die Mischung ist, Moune? Das ist das Zusammenmischen der Töne, der Geräusche und der Musik mit dem Bild. Das ist die Schlussetappe, in der alles auf einen Filmstreifen kopiert wird.
Nicht alle kennen sich mit den Kinotechniken aus, daher die Frage.
MH: Es müsste die Rolle des Fernsehens sein, solche Dinge zu erklären. Für das afrikanische Publikum, an das Sie sich wenden, Moune, ist es grundlegend zu wissen, was das Kino ist, was das Bild ist und welchen Anteil diese Völker daran haben und wie das afrikanische Kino ein Mittel sein kann, ihre Geschichte zu vermitteln, ihre soziale, kulturelle und politische Identität.
Wenn man dann, durch Erziehung der verschiedenen nationalen Publikumsgruppen, sagen kann: „Film wird so und so gemacht“ – umso besser. Aber man müsste bereits einen eigenen Standpunkt haben zum jeweiligen Filmschaffen und dessen Zukunft.
Med Hondo, was stellt das Kino für Sie dar?
MH: Abstrakt gesprochen und insofern es sich nicht um einen Mythos in der historischen Wirklichkeit handelt, gehört das Kino allen. Und ich misstraue ihm.
Sie misstrauen ihm? Aus welchem Grund?
MH: Es heißt, Kino sei international. Ich könnte diesen Satz für eine Tatsache halten. Doch wenn ich etwas mehr darüber nachdenke, dann wird mir bewusst, dass es keineswegs besonders international ist. In diesem Kino ist die Geschichte, die mich als Afrikaner interessiert fast vollständig abwesend – die Geschichte meines Landes Mauretanien, die Geschichte meines Kontinents Afrika und in einem weiteren Sinn die Geschichte der Schwarzen ganz allgemein. Es ist wichtig, so genau wie möglich über diese Menschen zu informieren. Das Kino liefert das für alle am besten wahrnehmbare Bild, und dort, gerade dort, kommen wir überhaupt nicht vor. Wenn ein afrikanischer Regisseur oder ein Regisseur von den Antillen einen Film gedreht hat, ist dieser selten in seinem Heimatland zu sehen und vor allem überhaupt nicht im Westen. Das ist eine Ungleichheit der Chancen und eine Ungleichheit des Austauschs.
„Es heißt, Kino sei international. Ich könnte diesen Satz für eine Tatsache halten. Doch wenn ich etwas mehr darüber nachdenke, dann wird mir bewusst, dass es keineswegs besonders international ist“
Med Hondo, glauben Sie, dass alle afrikanischen Filmemacher mit diesem Problem zu kämpfen haben?
MH: Allerdings! Und ausgehend von dieser Realität stellt sich die Frage: Was für Filme soll ein Filmemacher aus der Dritten Welt machen? Und was für Filme kann er machen? Selbst diejenigen, die keine „Problemfilme“ machen wollen – Krimis, Liebesgeschichten usw. –, um eine Chance zu bekommen, ins Programm aufgenommen zu werden, bei sich zu Hause und auf dem Weltmarkt, selbst diese Leute finden nicht die nötigen Produktions- und Verbreitungsmittel.
Aus welchen Gründen finden sie nicht die notwendige Unterstützung?
MH: Weil diejenigen, die das Monopol auf Produktion und Verbreitung innehaben, seien es Europäer, Amerikaner oder andere, die Filme an unserer Stelle machen. Weshalb sollten sie uns Geld dafür geben, dass wir sie drehen?
Dennoch ist es unerlässlich, dass sich das authentische afrikanische Kino im Kontext seiner künstlerischen und kommerziellen Realität weiterentwickelt. Es gibt ein Publikum, welches diesen Stil von Filmen mag, welches Anstrengungen unternimmt, um sie zu sehen, in Filmclubs oder Programmkinos.
MH: Filmliebhaber ja, die sind für andere offen. Doch unser Kino wird sich nicht durchsetzen, weil ein paar afrikanische Filme in kleinen Kinosälen vorgeführt werden. Selbstverständlich erkenne ich das Verdienst derjenigen an, die sie ins Programm ihrer Kinos aufnehmen. Aber das löst nicht unser Problem. Verstehen Sie, Moune, die Filme, die nach Afrika kommen, werden in allen Kinosälen vorgeführt. Warum sind unsere Filme immer nur in kleinen Sälen zu sehen? Im Quartier Latin oder im Viertel von Clichy leben viele Afrikaner und viele Menschen von den Antillen. Die würde es ja vielleicht interessieren, unsere Filme zu sehen.
Es wäre wünschenswert, dass man uns einen Verbund von mehreren Kinos anvertraut, in einer Hauptstadt wie Paris.
Med Hondo, Sie sind Mauritanier?
MH: Ja, Moune, und Sie fragen sich, warum ich einen Film über die Geschichte der Antillen und der Karibischen Inseln mache?
Das wäre interessant zu wissen …
MH: Weil es heutzutage keine Menschen von den Antillen und keine Afrikaner gibt, die behaupten könnten, sie hätten keine gemeinsamen Vorfahren. Das ist der Ausgangspunkt, von dem aus sich die Geschichte von WEST INDIES aufdrängt.
Kennen Sie die Antillen?
MH: Ich lebe seit mehreren Jahren in Frankreich. Ich habe einige Menschen von den Antillen kennengelernt. Und ich habe entdeckt, dass die Antillen eine veritable historische Vergangenheit haben. Diese Leute, deren Herkunft multinational ist, die von mehreren Ethnien abstammen, mit verschiedenen Sprachen und Dialekten, haben ein Idiom erfunden, das sie in der gesamten Karibik verbreitet haben, um sich besser verständigen zu können, das Kreol. Sie haben sich gewehrt, um ihre Eigenart zu bewahren.
In welcher historischen Epoche spielt WEST INDIES?
MH: In vier Jahrhunderten und ausgehend von einer karibischen Insel. Das könnte Martinique sein oder Guadeloupe oder eine andere Insel.
Hatten Sie Schwierigkeiten, schwarze Darsteller zu finden?
MH: Es gibt exzellente schwarze Künstler, Schauspieler, Sänger und andere, das war nicht das Problem bei den Dreharbeiten. Mein Problem war, finanzielle Mittel zu finden. Das hat mich fünf oder sagen wir sieben Jahre Anstrengungen gekostet, trotz der Unterstützung durch das algerische Fernsehen. Es fiel mir schwer, die wichtigsten Interessierten, Afrikaner und Menschen von den Antillen, davon zu überzeugen, diese Art von Film zu produzieren.
Med, Ihr Film befindet sich jetzt in der Endfertigungsphase. Ich hoffe, Sie werden den Zuschauerzuspruch erfahren, den Sie sich für ein authentisches afrikanisches Kino wünschen.
Diese Begegnung mit Med Hondo überzeugt mich einmal mehr von der Ernsthaftigkeit, dem Talent und den menschlichen Werten dieses afrikanischen Filmemachers, der uns in eine noch zu entdeckende Welt mitnehmen wird. Ich wünsche mir aus vollem Herzen, dass sich die Türen für afrikanische Filmemacher weit öffnen, damit diese sich an ein zahlenmäßig größeres Publikum wenden können, denn in Afrika und der Dritten Welt fehlt es nicht an Talenten.
Moune de Rivel (1918-2014) war Musikerin, Sängerin, Schauspielerin und Malerin.
Übersetzung: Stefan Pethke
Quelle:
Moune de Rivel: „Un Mauritanien tourne l’histoire des Antilles. Med Hondo parle de son film”, in: Bingo319, 1979, S. 35–36.
Literatur:
Marie-Hélène Gutberlet, Brigitta Kuster (Hg.): „1970–2018 Interviews with Med Hondo – A Cinema on the Run“, Berlin: Archive books, 2020.
Marie-Hélène Gutberlet, Brigitta Kuster (Hg.): „Das Kino von Med Hondo – Deutsche und französische Originaltexte, 1970–2020“, Berlin: Archive books, 2020. Gratisdownload.