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Barbara Wurm: Stefan Hayn, wir freuen uns sehr, dich im Forum begrüßen zu dürfen mit deinem neuesten Malerei-Film. Ist es tatsächlich auch dein erster Film, den du mit einem Smartphone gedreht hast? 

Stefan Hayn: Ich habe so ein Telefon noch nicht so lange. Und ja, dass ich es so benutzt habe, ist wirklich das erste Mal. Es gibt zwei Malerei-Kinofilme, wie ich es genannt habe, vor diesem Film. Einer heißt MALEREI HEUTE, den Anja-Christin Remmert und ich zusammen mit Bernadette Paaßen und Klaus Barm 2004 gedreht haben. Und dann den Film S T R A U B, der sich auf das Werk von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub bezieht. Diese Filme sind beide auf 35-Millimeter-Filmmaterial gedreht, und der offene malerische Prozess hat vor der filmischen Aufnahme stattgefunden. Jetzt hier sind es meist keine alla prima-Bilder, also Bilder, die auf einen Rutsch entstehen, sondern ich male am selben Ort immer weiter an einem Bild. Beim Weitermalen wird immer auch ein Teil der vorherigen Session zerstört. Als ich ab 2021 dieses Telefon hatte, habe ich es eigentlich nur benutzt, um bestimmte Malzustände der Bilder festzuhalten. Und da ich fotografierte Malerei eher schwieriger anzuschauen finde, habe ich irgendwann angefangen, kurze Videoclips zu drehen. Von denen gab es dann nach und nach immer mehr. Erst im letzten Sommer habe ich diese Reihe von Clips einmal nacheinander angeschaut und beschlossen, einen Film daraus zu schneiden. 

Christiane Büchner: Man sieht im Film sowohl Aquarell- als auch Ölbilder. Wie hast du dich jeweils für die eine oder andere Maltechnik entschieden? 

SH: Mit Ölfarbe zu malen ist ein komplizierterer Prozess. Es ist giftig. Das Malmittel stinkt. Ich breite draußen immer eine Folie aus, damit ich den Grund nicht vergifte. Aquarellmalerei ist vom Prozess her unkomplizierter. 

CB: Mir ist aufgefallen, dass du zu Hause aquarellierst. Deine Töchter kennen diese Situation und lassen sich davon nicht stören bei dem, was sie gerade tun, während du sie aquarellierst. Aber es gibt dann diese Szene, in der du deine Mutter draußen auf der Terrasse mit Öl malst, und im Grunde wird sie so zu einer Art Monument. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen dem Jüdischen Museum oder der Karl Marx-Büste, die du in Öl malst, und deiner Mama? 

SH: Es gibt von allen Ölporträts, nicht nur von ihr. Das Bild, das du meinst, hat vielleicht etwas Monumentales, weil es ein Hochformat ist. Die anderen sind Querformate. In dem Film hat sie bestimmt eine Rolle wie Mitte des 19. Jahrhunderts „Le Patron“ bei Cézanne, der im Sessel sitzt und Zeitung liest. Und hier ist sie es. Also wenn du es so meinst, hat es vielleicht so etwas. Und dann sind es auch ganz banale Unterschiede. Also ein Haus muss ich nicht fragen: „Wie lange bleibst du noch sitzen, und wie viel Zeit schenkst du mir?“ Es gibt ja sehr schöne Filme, zum Beispiel von Jake Auerbach, dem Sohn von Frank Auerbach, oder dem Enkel von Alice Neel, wo es um diese Frage geht: Was heißt es, in einer Familie zu sein, in der einer oder eine malt, und wo man gefragt wird: „Darf ich dich malen?“ Wie lange macht man das mit? Wie oft macht man das mit und warum? Von Auerbach gibt es auch einen Film zu Lucian Freud, in dem die Töchter von Lucian Freud vorkommen, die sehr viel gemalt worden sind – das ist ja schon etwas sehr Spezielles. Und es ist natürlich etwas sehr anderes als rauszugehen und eine Landschaft oder eine Stadtlandschaft zu malen. Aber es geht in beiden Fällen um das Sehen und um die Flüchtigkeit dessen, was ich sehe, dass sich immer eine neue Schicht darüberlegt und etwas auch zerstört und letztendlich etwas dabei herauskommt, was diese verschiedenen Schichten in sich hat. Der Film zeigt diese unterschiedlichen Zustände. Was mich an den Handyaufnahmen wirklich erstaunt hat, war, dass sie die jahreszeitlich unterschiedlichen Lichtstimmungen enorm genau wiedergeben. 

BW: Es gibt viele Doppelungen in diesem Film. Die Gegenüberstellung von privat und öffentlich, von Berlin und Franken. Es gibt die Doppelung von Handyfoto oder Filmeinstellung und da drin meistens deine Malerei. Stadtansichten, Familienansichten. War das deine konzeptionelle Ursprungsidee oder hat sich das erst entwickelt? 

SH: Es war nicht so gedacht, und vielleicht trifft der Begriff Doppelung es auch nicht genau. Es geht in diesen Gegenüberstellungen immer um eine Frage, die heute sehr virulent ist: Wo ist die Differenz, und wo ist die Verbindung? Vielleicht geht es darum sogar mehr als um etwas Konzeptuelles. Ich würde auch behaupten, dass der Film, oder die bildnerische Arbeit, in die ich die Malerei einschließe, ein Stück weit versucht, sich gegen etwas sehr gewieft Konzeptuelles zu wenden. Der Film versucht, da wieder Luft reinzulassen ins Konzept, in diesen Konzeptualismus. Wir sind – und so sagte es auch Pierre Bourdieu in seinen Manet-Vorlesungen – in der Bilderwelt bei einem Neoakademismus wieder angekommen, also einer Form von Akademismus, der als Avantgarde-Akademismus daherkommt und dabei oft an die Salonmalerei im 19. Jahrhundert erinnert. Der Film versucht mit seiner speziellen Kollision von malerischen Prozessen und den Bildern, die dieses smarte Gerät liefert, etwas anderes. 

CB: Ich hatte den Eindruck, dass es immer um ein im Austausch sein geht und um die Zeit, die man da reinsteckt. Vielleicht kannst du etwas zu den Wegen sagen, die du gegangen bist. 

SH: Ich beschreibe es mal im Vergleich mit den Erfahrungen von 1998 bis 2004, die geschildert werden im Film MALEREI HEUTE, wo ich Wahl- und Werbeplakate im Freien aquarelliert habe. Der frühere Film erzählt von vielen Begegnungen, die zum Teil freundlich waren, aber manchmal auch sehr aggressiv, bis hin zu einem Polizeieinsatz. Der große Unterschied zu den Erfahrungen jetzt ist, dass Smartphones damals in dieser Form noch nicht existiert haben, während jetzt sehr viel und in den allermeisten Fällen ungefragt sofort dieses Gerät gezückt wird und gefilmt oder fotografiert wird. Und das macht schon etwas. Es ist jedes Mal auch eine Störung der enorm konzentrierten Situation: Drei Stunden an so einem Ölbild da draußen zu arbeiten, es gegen den Wind zu halten und bildnerisch auch ein Stück weiterkommen zu wollen in dem, was man da sieht. Gleichzeitig habe ich diese Situation mit der Reibung draußen auch gesucht. Bei dem Straub-Huillet Film hatte ich aus der Erinnerung im Atelier gemalt, wo man nicht gestört wird. Das ist eine komplett andere Situation. 

BW: Wie hast du die Orte, Straßen, Gebäude ausgewählt und nach welchem Prinzip? 

SH: Es sind zum einen private Räume in Franken und in Berlin und zum anderen bestimmte Orte in der Stadt. Es sind Orte, die einfach etwas mit dem Jetzt zu tun haben. Ich habe auch öffentliche Gebäude gemalt, an denen bestimmte Flaggen gehisst worden sind. Und es sind Orte, wo es mich hingezogen hat, weil mich bestimmte Fragen umtreiben und weil es etwas anderes ist vor Ort, als wenn man nur darüber in der Zeitung liest, sondern dort etwas erlebt und erfährt. 

BW: Und hast du dann dort auch etwas Neues erfahren oder etwas anderes erfahren? Hat es sich enttheoretisiert? Wie verhält sich dein Film zu deiner politischen Haltung? Ist dein Medium, oder die Medien, genau die richtige Ausdrucksform für das, was du selber auch als politische Haltung verkörperst? 

SH: Ja, ich habe schon Erfahrungen gemacht vor Ort, die in der Malerei und im Film drinstecken. Vor zwei Wochen habe ich einen Vortrag „Zur Bildkrise des 7. Oktobers“ von Till Gathmann gehört. Er hat antisemitische Bilder und Karikaturen aus den dreißiger Jahren untersucht und sagt, dass in diesen antisemitischen Karikaturen immer die Überschreitung zur Tat angelegt sei. Er kommt dann in seiner Analyse der antisemitischen Bilder auch auf dieses Video, das am 7. Oktober direkt viral gegangen ist, wie man sagt, in dem bewaffnete Männer auf der Ladefläche eines davonfahrenden Autos stehen über dem Körper einer getöteten Frau, auf den andere Männer spucken, und sagt: „Das antisemitische Bild war dokumentarisch geworden.“ Das heißt, es ist nicht mehr nur, dass das Bild zur Handlung auffordert, sondern dass die Tat geschehen ist, und das Bild dies den Leuten zeigt, hier, schaut her, es ist passiert, und wir sind stolz drauf. Und das ist wirklich einer der Punkte, die bedacht werden sollten bei den Fragen: Was ist heute ein politisches Bild oder ein politischer Film im emanzipatorischen Sinn? Wie ist diese Verbindung von Bildermachen und Politik zu denken? Und dabei darf meiner Meinung nach auf keinen Fall der psychoanalytische Aspekt herausgelassen werden, also der Blick auch auf die tieferen moves beim Machen und Veröffentlichen von Bildern, auch solchen, die emanzipatorisch gemeint sind. Ich zitiere noch mal Jean-Marie Straub, der gesagt hat, er stehe als der, der Bilder macht, mit leeren Händen da. Und da meint er nicht irgendwie die Bezahlung, sondern bei dem Ganzen steht der Kunstbegriff, auch der Politikbegriff zur Diskussion. Und da sind viele Vereinfachungen und Verwirrungen in den letzten Jahren passiert meiner Meinung nach. Welche Sprecherposition ist die richtige? Was besagt sie? Das ist alles im Moment zu Recht eine Riesendiskussion. Und wenn ich jetzt wieder auf den Film zurückkomme – der Film geht ja damit los, dass ziemlich am Anfang gleich ein Christbaum zu sehen ist, also auf simple Weise die abendländisch christliche Tradition im Wohnzimmer steht. Und das ist, denke ich, sehr wichtig in Bezug auf die Sprecherposition, darauf, wie sich der Film aufblättert und wo er sich hinbewegt. Ich denke, dass der Film versucht, einen Raum zu bauen, in dem bestimmte Dinge spürbar werden, ohne dass sie explizit benannt, begrifflich festgeschrieben werden. Einen Raum, in dem Menschen sich etwas anschauen können und darüber nachdenken können und Empfindungen haben. Mein Ziel ist ja nicht, dass sich die Leute etwas anschauen, was sie dann zu einer Handlung treibt. Es ist höchstgefährlich zu denken, Bilder seien umso besser, je mehr sie die Zuschauer dazu bringen, zu handeln. Es geht darum, so genau wie möglich einen bildnerisch-akustischen Raum herzustellen, der vielen unterschiedlichen Leuten Platz lässt, ihre persönlichen Erfahrungen und Gefühle zu denen, die die Bilder erkennen lassen oder bei ihnen auslösen, in Beziehung zu setzen. 

CB: Ich glaube, genau deshalb hat uns dein Film so gut gefallen. Ich wollte dich nach dem Maler Auerbach fragen, dessen Name am Ende auftaucht. 

SH: In dem Jahr, in dem der Film entstanden ist, sind ein paar Menschen gestorben, mit denen ich persönlich ein Stück Lebenszeit geteilt habe. Mit Auerbach nicht. Aber ich habe vor allem auch durch die Filme, die sein Sohn gedreht hat, seine Malerei genauer entdeckt. Auerbach ist ein sehr starker Maler, der hier wenig präsent ist, wie viele Malerinnen und Maler aus dem angloamerikanischen Raum, denen das Sehen sehr wichtig ist. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Fairfield Porter, den hier nur wenige kennen, mit Jane Freilicher. Auch mit den Stadtlandschaften von Konrad Knebel, dem Knut Elstermann ein sehr schönes Buch gewidmet hat. Die Kunstgeschichtsschreibung ist oft verengend. Auerbach ist als Kind von seinen Eltern nach London gerettet worden, sie selbst sind von Berlin aus deportiert worden. Und das steckt in seiner Malerei. Er ist in diesem Jahr gestorben, und er hat sehr, sehr tolle Bilder gemalt, die hier wenig gezeigt werden. 

BW: Nochmal zurück zu der Auswahl der Orte. Es gibt ja nicht nur das Jüdische Museum und das Holocaustdenkmal. Da ist auch das Haus der deutschen Wirtschaft mit dem Vielfalt-Banner, die Amerika-Gedenkbibliothek. Hast du in Kategorien gedacht, die in der Zusammenschau dein Berlinbild ergeben, oder gab es andere Gründe für die Wahl der Orte? 

SH: Es ist nicht repräsentativ. Es ist wie alles an dem Film sehr persönlich, und es ist, wie es Vlado Kristl gesagt hat: „Die Malerei muss gesellschaftlich und persönlich unrepräsentativ sein. Unerlaubt. Nicht erklärbar. Sie darf sich nicht in Abstraktionen fügen, an deren Horizont es finster ist.“ Der Film ist hochpersönlich und nicht repräsentativ. Es braucht vieles, es braucht eine Arbeitsroutine. Das merkt man ja an dem Film. Und es ist anstrengend, da in der Früh immer wieder mit dem ganzen Material und den Gerätschaften loszugehen und das zu machen. Aber das gehört dazu, damit ein Bild ein Gewicht oder eine Kraft bekommt, die stimmt. 

BW: Wenn du sagst, „es stimmt“, was ist das eigentlich für dich, wenn es stimmt? 

SH: Das überlasse ich dem Zuschauer, der Zuschauerin, die das ja alles wirklich beobachten können und vielleicht manchmal denken: „Oh, jetzt hat er hier noch weitergemacht, hätte er das mal besser gelassen.“ Es hat vorher vielleicht mehr gestimmt. Das ist ganz einfach bei dem Film, man kann den Prozess punktuell nachvollziehen. Ich will ja nicht festschreiben, was stimmt, sondern ich will, dass man diese Gratwanderung verstehen kann: Doch noch mal hinzugehen und noch ein paar Pinselstriche zu machen, wie bei dem Bild vom Jüdischen Museum, wo dann dieser Rasen plötzlich total gelb ist. 

CB: Wie hat der Film in der Montage seine Form gefunden? 

SH: Der Film ist im Vergleich zu anderen Filmen, die ich oder wir gemacht haben, sehr schnell geschnitten worden, in ein paar Wochen. Und ich habe währenddessen lange versucht, möglichst nichts zu erzählen und nur zu schauen, was das Material selbst erzählt. Bei MALEREI HEUTE war es so, dass wir vorab lange am Text gearbeitet haben und auch das Sprechen lange geübt haben: Wer spricht was wie? Hier habe ich beim Schneiden versucht, knapp und kurz etwas zu sagen, wenn nötig, und es einfach reingesprochen in das Handymikrofon. Das war ein ganz anderer Duktus als vorher ein Drehbuch zu erstellen, Texte genau zu planen, zu platzieren und das dann alles in dem aufwendigen 35-Millimeter-Prozess zusammenzusetzen. Es ist schon speziell, wenn man so ein Telefon in der Hosentasche hat. Ich war so konzentriert in diesem malerischen Sehen. Auch wenn man Malerei anschaut und wirklich konzentriert ist und dann auf die Straße geht, es ist, als ob man plötzlich besser sieht, bestimmte Sachen schärfer werden. Es war erstaunlich zu sehen, wie das alles im Material enthalten ist. Ich musste den Platz gar nicht in der Montage herstellen, sondern das Handymaterial schien Platz zu lassen für Zuschauer*innen, auch durch seinen Rhythmus, um sich vielleicht erinnern zu können an eigene Erfahrungen mit der Familie oder mit bestimmten Situationen in diesem vergangenen Jahr. 

BW: Der Film zeigt auch, dass nicht die Technik das Problem ist, sondern das Dispositiv, das damit einhergeht. Nämlich, dass die Bilder überhaupt nur noch dazu da sind, ausgewertet zu werden. Und zwar nicht nur als das, was sie sind, also als Ausdruck, sondern, dass wir als Betrachter dieser Bilder nur noch dazu da sind, ausgewertet zu werden. Es ist sozusagen eine radikale Entsubjektivierung. Und dass jedes Bild bei dir diesem Trend so komplett entgegenwirkt, die soziale Möglichkeit des Mediums herausstellt. Dadurch strahlt dein Film für mich eine politisch zentrale Haltung aus. 

SH: Vielen Dank. Da habe ich mich drüber gefreut über diese Pointierung mit „Sozialmedium“ in deiner Kurzbeschreibung des Films. Weil das nicht in die Richtung eines Kulturpessimismus geht, sondern etwas Subversives aufscheint, wenn man die Möglichkeit einer anderen Lesart dieses besetzten Begriffs benennt.

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