Carolin Weidner: Philipp, PALLIATIVSTATION ist einer deiner ersten Dokumentarfilme, aber ich bin darauf gestoßen, dass du vor einigen Jahren ein Theaterensemble ausführlich dokumentarisch begleitet hast. War diese Herangehensweise gewissermaßen auch eine Vorbereitung auf PALLIATIVSTATION?
Philipp Döring: Ich fange vielleicht noch ein bisschen früher an. Ich habe in Ludwigsburg Spielfilm studiert und dort einen Kurzfilm als Diplomfilm vorgelegt. Daraufhin sind noch einige andere Kurzfilme entstanden und es gab zwei, drei Projekte, für die auch die Drehbuchförderung stand, aber deren Finanzierung letztlich nicht funktioniert hat. Das ist ein frustrierender Prozess, denn irgendwann muss man ja Geld verdienen. In Ludwigsburg wurde in meinem letzten Jahr eine Schauspiel- oder Theaterakademie gegründet, was unüblich ist. Dort habe ich Luk Perceval kennengelernt, künstlerischer Direktor, und ihn gefragt, ob ich den Probenprozess dokumentarisch begleiten darf. Später hatte er ein Projekt bei der Ruhrtriennale mit seinem Thalia Ensemble, davon habe ich eine Art „Making Of“ gemacht. Das fand ich super, weil ich die Arbeitsatmosphäre am Theater sehr mag und mich völlig frei bewegen konnte. Hier habe ich gelernt, wie man dokumentarisch arbeitet. Diese Filme hat im Grunde nie jemand gesehen. Was ich aber verstanden habe, ist, dass ich ganz allein arbeiten kann. Ich war kurz davor, das künstlerische Filmemachen an den Nagel zu hängen. Aber ich wollte wenigstens einmal noch etwas Richtiges machen, und zwar unter den Prämissen, dass es dokumentarisch ist, ich es allein umsetzen kann und es sich wieder um ein beschränktes Setting handelt. Beim Filmen des Ensembles ist mir zudem aufgefallen, dass mich die Zusammenarbeit eines Teams interessiert.
CW: Wie ging es dann weiter, wie bist du auf dein Sujet gestoßen?
PD: Auf persönlicher Ebene war gerade ein Onkel von mir gestorben. Er war sehr lang krank, hatte schwer Krebs und es wurden ihm nur noch ein paar Wochen gegeben, aber irgendwie ist er nicht gestorben. Bis zuletzt war er fröhlich, obwohl er sicherlich große Schmerzen hatte. Er hat sogar seine eigene Beerdigung durchgeplant. Die Art, wie er mit seinem Sterben umging, hat mich sehr beeindruckt. Gleichzeitig habe ich gespürt, dass es ein sehr angstbesetztes Thema für mich ist. Daraufhin habe ich begonnen, mir Palliativstationen in Berlin anzusehen.
CW: Es war also gar nicht klar, dass die Wahl auf das Franziskus-Krankenhaus fallen würde?
PD: Genau, es war eine lange Geschichte. Die Idee ist vor knapp zehn Jahren entstanden. Damals bin ich, wie man das in Berlin macht, erstmal zur Charité gegangen. Bei den Palliativstationen ist es so, dass es oft eine Person gibt, die alles zusammenhält und lenkt. Das muss auch kein Arzt sein, manchmal ist es eine Psychologin. Trotzdem gibt es häufig Chaos, alle sind überarbeitet. Die Palliativstation im Franziskus-Krankenhaus war, als ich das erste Mal dort war, sehr klein. Sie hatten nur sechs Betten, da dachte ich, das ist einfach zu klein. Dann war ich in Havelhöhe, wo wir uns eigentlich schon mit dem Oberarzt einig waren, aber als es um den Vertrag ging, hat die Krankenhausleitung interveniert. Im Emil-von-Behring-Krankenhaus war es ähnlich. Ich habe mir dann noch mal das Franziskus angesehen, die in der Zwischenzeit expandiert und auch umgezogen waren. Hier sind wir uns einig geworden. Einen Monat, bevor es losgehen sollte, kam Corona, woraufhin sich alles erneut um drei Jahre verschoben hat. Aber sie sind dabeigeblieben und ich auch, und dann konnte es losgehen.
Die Offenheit vieler Ärzte hat wahrscheinlich auch etwas damit zu tun, dass Palliativmediziner zumindest in Deutschland in Ärztekreisen nur halb ernst genommen werden. Sie wollen ihre Gedanken bekannter machen.
CW: Wie hast du der Station dein Vorhaben beschrieben? Gab es Bedenken?
PD: Chefarzt Dr. Hardinghaus, der auch im Film einige Male vorkommt, ist Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands und sehr politisch. Die Vermittlung des palliativen Gedankens ist ihm sehr wichtig und er war auch sehr offen für das Projekt. Ich habe ihm gesagt, dass ich keinen Film über sterbende Patient*innen machen möchte, sondern wirklich zeigen will, wie die Arbeit auf Station ist. Wie funktioniert Palliativmedizin? Sie haben dann auch gemerkt, dass ich mich einfach für das interessiere, was sie dort tun. Ein paar Monate zuvor war ein Fernsehteam im Franziskus-Krankenhaus, die waren zwei, drei Tage dort. Das hat dann dazu geführt, dass gerade im Bereich der Pflege einige abgesprungen sind, denn so wollten sie es nicht noch einmal erleben. Die Offenheit vieler Ärzte hat wahrscheinlich auch etwas damit zu tun, dass Palliativmediziner zumindest in Deutschland in Ärztekreisen nur halb ernst genommen werden. Sie wollen sich Gehör verschaffen und ihre Gedanken bekannter machen.
CW: Wie lange hast du gedreht und wie hast du dich vorbereitet?
PD: Ich hatte 6 bis 8 Wochen veranschlagt und es waren dann auch zwei Monate. Mental habe ich versucht, offen zu sein. Ich wusste von meiner Recherche auf den verschiedenen Palliativstationen ungefähr, was mich erwartet. Was ich nicht wusste, war, wie die Patient*innen auf die Kamera reagieren. Da habe ich einfach gehofft, dass es gut gehen wird. Ansonsten war so viel Vorbereitung gar nicht möglich. Mir ging es vor allem um das richtige Mindset.
CW: Viele Szenen, die wir in deinem Film sehen, beinhalten sehr intime Gesprächssituationen, es sind zum Teil auch sehr lange Aufnahmen. Wir waren wirklich beeindruckt. Wie bist du vorgegangen?
PD: Wir haben in den ersten Tagen mit dem Oberarzt, der auch mit Abstand am meisten zu sehen ist, ein Prozedere entwickelt. Das hat sehr gut funktioniert und wir haben es im Grunde bis zum Ende beibehalten. Wenn ein Patient neu ankommt, findet normalerweise am gleichen Tag ein längeres Anamnesegespräch statt, ein erstes Aufnahmegespräch, und da bin ich eigentlich immer mitgegangen, jedoch ohne Kamera. Ich trug einen Kittel und saß wie ein Hospitant daneben. Am Ende des Gesprächs wurde gesagt, dass ich einen Film über die Station mache. Das war enorm wichtig, denn zu dem Zeitpunkt hatte sich bereits viel Vertrauen aufgebaut. Anschließend wurde gefragt, ob es in Ordnung sei, von mir gefilmt zu werden, und versichert, dass dies natürlich keinen Einfluss auf die Behandlung haben würde. Für zwei von drei Patient*innen war das okay.
Vertrauen ist da ein wichtiges Wort – wenn eine Vertrauensbasis zwischen den Patient*innen und dem Team existiert, und deutlich wird, dass zwischen mir und dem Team ebenfalls eine Vertrauensbasis besteht, dann bringt das sehr viel Ruhe.
CW: Mich interessiert die Arbeit mit der Kamera. Fiel es den Patient*innen leicht, sie auszublenden, oder mussten sie sich erst an sie gewöhnen? Es handelt sich ja zunächst um einen Fremdkörper im Raum.
PD: Ich glaube, dadurch, dass das Team von der Station sich nicht groß hat stören lassen, haben sich die Patient*innen auch nicht stören lassen. Natürlich mussten sich alle ein bisschen gewöhnen, das ist klar. Aber es ging schon ganz gut. Ehrlich gesagt war ich selbst ein bisschen überrascht, wie gut es ging.
CW: Hast du eine Erklärung dafür?
PD: Vertrauen ist da ein wichtiges Wort – wenn eine Vertrauensbasis zwischen den Patient*innen und dem Team existiert, und deutlich wird, dass zwischen mir und dem Team ebenfalls eine Vertrauensbasis besteht, dann bringt das sehr viel Ruhe. Ich stehe auch nur am Rand und bin leise, bewege mich nicht viel. Außerdem gibt es wichtige Dinge zu besprechen, ich falle dann wahrscheinlich aus der Wahrnehmung. Ich habe versucht, ein selbstverständliches, vielleicht sogar langweiliges Anhängsel der Station zu sein.
CW: Und hinsichtlich der Angehörigen? Auch von ihnen sind einige zu sehen.
PD: Eigentlich war das vergleichbar. Es geht um Vertrauen und Transparenz. Ich erinnere mich auch an einen Moment, in dem die Frau eines Patienten in Tränen ausgebrochen ist. Annette, die Stationsleitung der Pflege, hat mir daraufhin ein Zeichen gegeben, zu gehen, was ich natürlich sofort getan habe. Auch das gehört zur Vertrauensbasis.
Christiane Büchner: Vielleicht was zur Dauer, also diese vier Stunden. Hier geht es ja eigentlich um wenig verbliebene Zeit, Lebenszeit. Dein Film nimmt sich aber viel Lebenszeit von den Zuschauer*innen. Wie ist das entstanden?
PD: Ich hatte das Gefühl, dass das Thema eine gewisse Länge verlangt. Die Szenen und Gespräche sind lang, es geht auch darum, auszuhalten und zu lernen, mit so einer Situation umzugehen. In einem der Gespräche am Ende, wo sich die Frau mit ihrem Partner auf dem Dach befindet, da wusste ich einfach, dass die Szene lang sein muss, dass man nichts kürzen braucht. Der erste Rohschnitt war zehn Stunden lang und den habe nur ich geguckt. Der zweite dann immerhin noch sechs Stunden. Das ist der Vorteil, wenn es keinen Sender, keine Geldgeber und keinen Produzenten gibt und dich die Kinoauswertung auch nicht interessiert. Dann hat man keine Längenbeschränkung.
CB: Für mich hat dein Film auch sehr davon gehandelt, was es bedeutet, dem Tod nicht vorauszueilen. Also jemanden, der eigentlich hoffnungslos krank ist, nicht schon für tot zu erklären, sondern diese Zeit, die dann bleibt, zu beleben. Wie bist du da eingestiegen? Was hat sich über die zwei Monate verändert, was du gesehen und wahrgenommen hast?
PD: Ich bin mit viel Respekt für die Arbeitenden dort angekommen und der ist im Verlauf eigentlich noch größer geworden. Wie die Menschen auf der Station es schaffen, während ihrer Arbeit voll präsent zu sein und trotzdem einen Alltag darin finden. Wie sie auch eine gewisse Distanz bewahren müssen, wenn sie wieder nach Hause gehen zu ihren Familien oder in ihr anderes Leben. Sie müssen Tag für Tag aufs Neue Abschied nehmen. Dieser Wechsel war mir in seiner Krassheit vorher nicht bewusst.
Ich fand den Umgang auf Station unglaublich positiv, lebensbejahend und bestärkend. Die Grundstimmung ist eben anders als in einem Krankenhaus.
CW: Du zeigst das Team im Austausch untereinander, aber hat es auch die Möglichkeit gegeben, etwa eine Supervision zu filmen?
PD: Das war einer der Termine, wo sie keine Kamera dabeihaben wollten.
CW: Und hast du dich parallel zum Dreh professionell mit Leuten über deine Erfahrungen ausgetauscht? Einfach zur Verarbeitung und Unterstützung?
PD: Nein. Ich wusste auch nicht genau, wie ist es, wenn ich mich dem wirklich so dauerhaft aussetze. Aber ich fand den Umgang auf Station unglaublich positiv, lebensbejahend und bestärkend. Die Grundstimmung ist eben anders als in einem Krankenhaus, wo ein Durchlauf herrscht und sich viele Patienten nicht gesehen fühlen. Man hat das Gefühl, da entsteht was und es ist sinnstiftend. Den Menschen wird wirklich geholfen. Deswegen war es für mich eine sehr positive Erfahrung.
CW: Ich habe den Eindruck, das überträgt sich beim Ansehen deines Films. Viele von uns hatten aus unterschiedlichen Gründen ein wenig Angst vor PALLIATIVSTATION, gleichzeitig hat sich rasch ein besonderes, eben gar nicht niederschmetterndes Gefühl eingestellt. Wahrscheinlich ist es das, was du gerade gesagt hast, dass man doch etwas Sinnstiftendem, eigentlich Gutem beiwohnt.
PD: Ja, ich denke noch mal an die Szene auf dem Dach. Das ist alles furchtbar für diesen Patienten, aber er findet einen Weg, damit umzugehen. Es ist eine Binsenweisheit, aber man muss irgendwann sterben. Das zu verstehen und die Zeit, die einem bleibt, so zu gestalten, wie es die Situation einem ermöglicht, ist bedeutsam.