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Irina Bondas: Ich würde gern mit einer Frage zur Beziehung von Dokumentation und Fiktion in eurem Film anfangen. Euer Film ist ein inszenierter Spielfilm, gleichzeitig gibt es diese Community wirklich. Was ist das für eine Community oder was ist das für eine Bewegung? 

Miri Ian Gossing: Ich glaube, das Spannende an dem Film ist, dass doch ein relativ großer Anteil dokumentarischer Natur ist – auch wenn man das unserem Film im Nachhinein nicht mehr so ansieht, aufgrund der formalen Entscheidungen, die wir getroffen haben. Generell glauben wir eigentlich nicht mehr an die Trennung dieser Genres und finden es spannend Grenzen zu überkommen und eben diese Fragen zu stellen. Wir hatten zu Beginn des Filmes das Glück, das Wim Wenders Stipendium bekommen zu haben und konnten die Arbeit an dem Film so mit einer zweimonatigen Recherche beginnen. Wir hatten ganz grob einige Orte im Kopf, seit wir herausgefunden hatten, dass es eine große Merfolk-Subkultur in den USA gibt. Auf dieser Reise haben wir Una kennengelernt und viele der Locations überall in den USA besucht. Ich denke, man spürt dem Film noch an, dass Orte oft einen Ausgangspunkt in unserer künstlerischen Arbeit bilden. Es gibt eigentlich keinen Ort in unserem Film, den es nicht auch jenseits des Films gibt, außer vielleicht das Filmset-Labor am Anfang. Selbst der „Blue Room“ ist ein wirklich existierendes UV-Wellnesscenter, auch wenn es wie von einem anderen Planeten wirkt. 

Fabian Tietke: Verstehe ich das richtig, dass ihr über Una dann die restlichen Merfolk kennengelernt habt? 

Lina Sieckmann: Richtig. Das hat dem Thema noch mal eine andere Dimension gegeben. Una und der Merfolk Pod sind eine Gruppe in Portland, an der wir dann kleben geblieben sind, weil wir gemerkt haben, dass es diese ganzen kulturellen Phänomene und Orte zwar auch woanders gibt, aber dass bei dieser speziellen Gruppe einfach noch mehr dranhängt, was uns künstlerisch interessiert hat. 

MG: Mich hat fasziniert, dass diese Gruppe, in der alle so unterschiedlich sind, trotzdem so zueinander gehört und dass sie ihre verschiedenen Themen und Kräfte vereinen. Zugleich haben wir schnell gespürt, dass alle einen tieferen, weitergehenden Zugang zu dieser mythologischen Figur ihrer „Mersona“ haben und es nicht als Cosplay oder Verkleidung verstehen. Jede Person hatte so eine eigene Agency innerhalb der Community. Besonders spannend fanden wir, dass sie neben dem gemeinsamen Performen eben auch aktivistisch verbunden sind. Uns haben diese verschiedenen Dimensionen interessiert, auch weil wir uns selber mit Aktivismus und posthumanistischer Theorie beschäftigen. Und auf einmal sind da diese Personen und die „verkörpern“ das einfach. Das ist natürlich immer noch viel spannender, als das nur theoretisch zu denken. 

Wir denken das Kino erstmal vom Bild her und nicht von der Geschichte. Uns interessiert in erster Linie: was können eigentlich Bilder miteinander erzeugen? 

FT: Um die naheliegendste Frage zu stellen: SIRENS CALL ist euer erster Langfilm. Wie war der Übergang? 

LS: Das war schon komplett anders als bei den Kurzfilmen. Wir haben in unseren Kurzfilmen – zumindest auf der sichtbaren Bildebene – ja bisher wenig mit Menschen gearbeitet. Es gab die Räume, es gab die Inszenierung und es gab eine Off-Stimme, die sich aus verschiedenen Originalquellen zusammengesetzt hat. Das war das Spannungsfeld, sodass die Filme sich häufig als so was wie die Erinnerung einer unzuverlässigen Erzählstimme aufgebaut haben. Bei SIRENS CALL war es nun aber eine ganze Gruppe von „Merfolk“. Wir haben sehr lange Zeit vor Ort verbracht und über die sechs Jahre Beziehungen aufgebaut, die die gemeinsame Arbeit am Film so erst ermöglicht haben. Außerdem braucht ein Langfilm natürlich auch eine gewisse dramaturgische Form über zwei Stunden. Das war schon eher neu für uns. Was will man erzählen? Will man überhaupt irgendwas erzählen? Oder will man einen Prozess sichtbar machen, oder verschiedene Pole, anhand derer sich dann im Verlauf etwas entfaltet? 

MG: Wir haben zuerst einen gewissen Druck verspürt. Bei einem Langfilm gibt es die Erwartungshaltung, dass er irgendwo hinführen muss. Aber dann habe ich mir gesagt, nee, das wollen und müssen wir nicht erfüllen. Wir denken das jetzt einfach weiter als zehn Kurzfilme, um den Druck rauszunehmen und Möglichkeiten zu eröffnen, selber neue Formen zu finden. Und jetzt ist dieser Ansatz tatsächlich irgendwie noch leicht erhalten geblieben. Es gibt da das kleine Überbleibsel: die Kapitelstruktur, anhand derer wir uns selbst Gedankenstützen gegeben haben, die uns durch den Film leiten. Für uns war das erleichternd, sich da von der dramaturgischen Strenge des narrativen Kinos zu befreien. Wir haben formal viel neues ausprobiert: In manchen Momenten trauen wir uns in eine Partysituation mit 18 Menschen, da einfach reinzugehen, und dann inszenieren wir auch mal einen Dialog innerhalb von klassischen Standards. Ich glaube, dass auch unendlich viele Aspekte unserer alten Arbeiten mit rein fließen. Es gibt viele sehr langsame Sequenzen, mit Voiceover und reiner Umgebung. Wir kommen beide aus der bildenden Kunst und haben einen Hintergrund in der Fotografie, deswegen denken wir das Kino erstmal vom Bild her und nicht von der Narration. Uns interessiert das transzendentale Kino und das Slow Cinema, aber eben auch vereint mit Momenten von Pop und einer Lust am Stil-Brechen. Wir fragen uns: Was können eigentlich Bilder miteinander erzeugen? Wie kann man auf einer rein visuellen Ebene erzählen? 

IB: Um noch einmal aufs Verhältnis von Dokumentarischem und Fiktionalem zurückzukommen: Wenn ich an den Roadtrip der Protagonistin und die vielen Rituale auf dem Weg denke, stellt sich mir die Frage, wie viel daran ist eigentlich gescriptet, erfunden von euch? Wie viel ist da schon vorgegeben durch die Bewegung oder durch diese Protagonistin? Also wie habt ihr das gemeinsam erarbeitet oder eben nicht? 

MG: Uns interessiert genau dieses Verhältnis von Finden und Erfinden, von Dokumentarischem und Fiktivem. Für mich gibt es drei Figuren in dem Film: Einmal Gina als Mensch, ihre „Mersona“ Una und dann die fiktive Sirenen-Figur, die wir hinzugefügt haben, also die, die anfangs auf die Reise geht. Der Ausgangspunkt ist dokumentarisch und hat sich dann immer weiter in Richtung Fiktion entwickelt, woran der Austausch mit Una sehr großen Anteil hatte. Interessanterweise hat manchmal sogar der Film Bezug auf ihr reales Leben genommen. Ich meinte irgendwann zu ihr: „Manchmal redest du, als wärst du ein atlantisches Orakel. Vielleicht machen wir ja mal so eine Orakel-Szene über die Zukunft der Erde. Was denkst du?“ Und dann sagt sie: „Ja, ich habe während der Pandemie angefangen, Orakel-Lesungen zu machen.“ Also es gab Momente, wo das Leben und der Film ineinandergegriffen haben, auch dadurch, dass es am Ende ein 8-jähriger Prozess war, den wir gemeinsam erlebt haben. Während dieser Zeit haben wir jedes Jahr mehrere Monate in Portland gelebt. Das eigentliche Filmen war ohnehin ein langsamer Prozess, auch weil wir viel auf 16mm gedreht haben. 

Wir sind beide eigentlich sehr theoretische Personen und haben im Vorfeld immer ganz viele Konzepte und Überlegungen im Hinterkopf. Aber wenn wir drehen, versuchen wir das loszulassen und eher auf einer intuitiven Suche zu sein. 

LS: Das Verhältnis von Authentizität und Fiktion hat uns ja auch schon in früheren Arbeiten beschäftigt und es war spannend, ausgerechnet auf Gina/Una zu treffen, weil sie ja im Prinzip auch eine Art Performancekünstlerin ist. Also in ihrer Figur das Thema der Inszenierung schon angelegt ist. Als wir sie das erste Mal 2017 in Portland getroffen haben, sagte sie zu uns: „That’s when I’m in costume“ und meinte damit ihr Menschenoutfit, das sie auch im Alltag in ihrem Job als Gefängnispsychologin trägt. Wir fanden diesen Selbstentwurf, den sie lebt – etwas anderes zu sein als ein Mensch – einfach sehr interessant. Es war klar, dass es uns nicht darum gehen würde, irgendwie zu psychologisieren, sondern wir wollten mit dieser Selbstbehauptung mitgehen, uns darauf einlassen. MG: Wir sind beide eigentlich sehr theoretische Personen und haben im Vorfeld immer ganz viele Konzepte und Überlegungen im Hinterkopf. Aber wenn wir drehen, versuchen wir das loszulassen und eher auf einer intuitiven Suche zu sein. Einen emotionalen Zugang zu finden, präsent zu sein. Dafür leben wir uns dann konzeptuell im Schnitt aus und versuchen wieder im gesammelten Material eine neue Struktur zu finden. Das war bei diesem Film sehr herausfordernd. Wir hatten 72 Stunden Material und wir haben 18 Monate geschnitten, um die inhärente Struktur herauszukehren, sodass der Film nicht völlig auseinanderfällt, und gleichzeitig noch eine mäandernde Bewegung hat. 

FT: Könnt ihr zu dem Prozess, aus dem Material eine Struktur herauszuarbeiten, noch ein bisschen mehr sagen? Gab es da Zwischenschritte? 

MG: Am Anfang stand ein Moment des Sammelns und sich Einlassens auf diese Sichtweise der Welt. Generell interessiert uns in unseren Filmen oft das, was über ein Individualschicksal hinausgeht und uns alle verbindet, wo es vielleicht auch um eine Metapher, ein Bild für etwas oder eine tieferliegende, universelle Thematik geht. Im ersten Jahr waren wir einfach sehr offen, im zweiten hatten wir schon eine klarere Vorstellung, was noch passieren könnte und im dritten haben wir überlegt, was haben wir schon gedreht und was könnten wir dem noch hinzufügen. Im letzten Schritt haben wir dann im Schneideraum alle Materialien angeschaut und uns assoziative Wege gebaut, von einem Moment zum nächsten. Eine ungefähre Vision, wohin es gehen soll, schwingt natürlich trotzdem von Anfang an mit. Ein Wechselspiel zwischen Kontrolle und Loslassen. LS: Der Film basiert ja auf einem Spannungsverhältnis zwischen Echtheit, Dokumentarfilm und Fiktion. Ein purer Dokumentarfilm wäre uns zu wenig gewesen und reine Fiktion auch. Eine Zeit lang war der Fiktionsanteil – weil wir erst mal damit beschäftigt waren, eine Art Dramaturgie herauszuschälen – relativ hoch. Uns war aber von vornherein klar, dass es den dokumentarischen Ursprung und Gegenpol einfach ganz deutlich braucht und wir uns auch selbst positionieren wollten. Man sieht ja ganz am Anfang diese Szene mit dem Laborsetting, also der Film als Versuchsanordnung, das schien uns ein gutes Mittel, um offenzulegen, dass das Ganze eher als eine Befragung und Versuchsanordnung gedacht ist und dass auch zwischen dem, der fragt, und demjenigen, der antwortet, ein gewisses Verhältnis ist, was sich ja auch über die Zeit so entwickelt hat. 

Es ist eher eine gefühlte, situative, assoziative…vielleicht auch intuitive Wahrheit, der wir dann gefolgt sind. 

MG: Und was sind überhaupt unsere Ansprüche an diese Kategorien? Fiktion und real und dokumentarisch und Spielfilm? Wie funktionieren die und was nutzen die eigentlich für Mittel? Und das vielleicht auch zu dekonstruieren oder einen queeren Blick darauf zu haben – wir wollten keine Dramaturgieform wählen, die mit dem klassischen ekstatischen Höhepunkt arbeitet, sondern die Hybridität auch in der Form ernst nehmen. Wir haben überlegt, wie wir einen Film bauen können, der sich auch in Wellen bewegt und immer wieder eine andere Perspektive auf das gleiche Thema wählt. Mit einer Protagonistin, die quasi vier verschiedene Genres durchläuft. Es fängt ja als Science-Fiction-Film an, es wird zu einem Roadmovie, dann wird es zu einer Dokumentation über eine Subkultur und am Ende könnte man es fast als Melodrama bezeichnen. Es gibt diese japanische Dramaturgie „kishōtenketsu“, die man zum Beispiel auch von Studio-Ghibli-Filmen kennt, wo es in der Erzählweise keine Notwendigkeit und keine Kausalität gibt, also auf das eine muss das andere folgen und jeder Weg muss erklärt werden, sondern es ist eher so eine gefühlte, situative, assoziative…vielleicht auch intuitive Wahrheit, der wir dann so gefolgt sind. 

IB: Warum ausgerechnet diese vier Genres? Ist das etwas, was euch durch die Entwicklung vorgegeben wurde oder war das auch etwas, was ihr von vornherein mit reinbringen wolltet? 

MG: Es ist immer beides. Wir machen uns sehr klar Gedanken vorher, was könnte eine Struktur sein, die wir spannend finden. Ob wir das erreichen können, ist dann ja noch mal die andere Frage. Man muss bedenken, wir haben das alles hauptsächlich mit vier bis sechs Personen gedreht. Also es gibt kein riesiges Lichtteam, es gibt kein 30-Personen-Set. Wir sind an allen Orten in diesem kleinen Team unterwegs gewesen, haben über 6 Monate zusammen gelebt und gedreht. Es ist mit einem super-low-budget entstanden, das heißt viele Dinge sind auch dem Moment geschuldet, dass wir dadurch dann so eine sehr freie oder auch experimentelle Art und Weise hatten zu arbeiten. Zitat: In dem ganzen Thema steckt natürlich auch der Wunsch etwas zu sein, sich irgendwo unterzubringen, an Grenzen zu stoßen. 

LS: Es gibt an vielen Stellen ja auch immer so ein paar off-Momente. Mir ist es selber nochmal besonders stark aufgefallen, als wir mit dem Sounddesigner an diesen Stellen gearbeitet haben. Es gibt da häufig noch einen Moment von Selbstironie und Humor. In dem ganzen Thema steckt natürlich auch der Wunsch etwas zu sein, sich irgendwo unterzubringen, an Grenzen zu stoßen. Ich glaube, es ist immer auch ein bisschen die Behauptung von Form oder Genre, die uns reizt, und das wird dann nicht so ganz eingelöst. Und Science-Fiction oder die Alien-Metapher zu zitieren, hat sich da für uns einfach angeboten. 

MG: Wir fanden es auch spannend, dass man da ohnehin nicht rauskommt. Genres finden wir spannend, gerade auch auf die amerikanische Gesellschaft bezogen, weil uns auffiel, das emotionale Realität und Erinnerung hier oft eh schon irgendwie fiktionalisiert werden. Menschen sprechen dort manchmal in einer bestimmten Art und Weise, und wie sie etwas sagen, erinnert mich oft an Film und wie dies ein bestimmtes Gefühl auslösen soll. Das Filmgedächtnis spricht da mit, aus ihren Erzählungen und Erinnerungen. Wir selber sind ja in einem kleinen Dorf in Deutschland aufgewachsen und sehr stark mit amerikanischen Filmen sozialisiert, weil wir Fernsehkinder in den 90ern waren. Und deshalb ist das auch in unserem Unbewussten natürlich mit drin und beeinflusst. 

FT: Ich würde da gerne kurz einhaken. Ihr sprecht ja zurecht sehr viel über die Menschen, aber was ich zum Beispiel auch ganz toll finde an dem Film, sind die Interieurs. Wie sehr habt ihr da Set Design betrieben? 

MG: Kein Kostüm und keine Örtlichkeit sind inszeniert, sondern vorgefunden. 

LS: Die Wohnung ist auch die echte Wohnung von Una. Das war auch ein riesiger Glücksfall für uns, genauso wie die Kleidung und Maske, wir mussten uns da um gar nichts kümmern. 

MG: Ihr Haus, in dem sie wohnt, liegt auf Hayden Island. Das ist ein relativ rougher Teil von Portland, außerhalb der Stadt. 

IB: In der Mitte eures Films gibt es ja diese lange Sequenz der Merfolks, die sich vom übrigen Film absetzt und in der diese Community und jede einzelne Person zelebriert wird und zum Scheinen kommt. Ich musste bei dieser Szene sehr stark an Konzepte wie Posthumanismus denken und verschiedene Autorinnen wie Octavia Butler, Le Guin und Donna Haraway denken. Gibt es für euch in dieser Community eine Art utopischen Entwurf einer Gesellschaft zu entdecken – einer Gesellschaft der Zukunft in dieser apokalyptischen, postapokalyptischen Welt? 

Damit wir nicht immer nur in einem Modus von Kritik bleiben, sondern auch versuchen, uns Fragen zu stellen – nach Wahlfamilien, nach positiven und utopischen Gesellschaftsentwürfen, wie man anders denken, leben, lieben, was auch immer kann. 

MG: Tatsächlich würde ich es genau so sagen. Ich würde schon sagen, dass es eine Suche danach gibt. In unserem Film gibt es die Frage danach, wie wir – individuell und kollektiv – leben wollen, aber auch, wie wir überhaupt noch überleben können, in dieser ökologischen und politischen Situation der Welt. Der Film wirft ja auch sehr existenzielle und schmerzhafte Themen auf. Wir haben versucht, die Gesellschaft und die Zeit, in der wir leben, durch einen fast konstanten Stream von Medieninput wiederzugeben, der jeden Versuch von Una, sich „sicher zu fühlen“, durchdringt. Der läuft ja auch in Realität immer parallel zum Leben ab und knallt damit aufeinander. Ich finde eben diesen ambivalenten Blick ganz, ganz wichtig, damit wir nicht immer nur in einem Modus von Kritik bleiben, sondern auch versuchen, uns Fragen zu stellen nach Wahlfamilien, nach positiven und utopischen Gesellschaftsentwürfen, wie man anders denken, leben, lieben, was auch immer kann. 

LS: Für viele ist das ja auch ein emanzipatorischer Moment. Es gibt eine wachsende soziale Ungleichheit, die realen Verhältnisse sind für viele unserer Freund*innen und Bekannten in den USA eine große Belastung – wer kein Netz hat, wird von der Gesellschaft nicht aufgefangen. Wir haben das ja jetzt über lange Zeit nah mitbekommen und man hat auch das Gefühl, dass es immer schlimmer wird. Auch das war etwas, was uns an Una fasziniert hat: Es gibt dort nochmal viel stärker die Idee und Notwendigkeit von Community Building, das steckt da mit drin und hat einen tief solidarischen, emanzipatorischen Gedanken, der sehr beeindruckend für uns war. 

IB: Vor allem, wenn man bedenkt, dass ihr 2017 angefangen habt, an dem Film zu arbeiten, zu der Amtszeit des ehemaligen US-Präsidenten, der demnächst wieder Präsident wird... 

MG: Das sind alles Dinge, die sich mit da reingeschrieben haben, auch diese extreme Zeit der Wahlen jetzt in den USA 2020 und 2024. Diese Zeit ist im Film ja in dokumentarischen Bildern von den Protesten vor Ort zu sehen. Ich denke jetzt, wo der Film abgeschlossen ist, auch immer wieder über kollektive politische Traumata als Momente der „Alienation“ nach, also wie fühlt sich eigentlich ein Wesen in einem traumatisierten Körper und wie schreibt sich eine unterdrückerische Gesellschaft in unsere Körper ein? Themen wie Immunität und der Umgang mit Krankheit. Warum haben wir als Gesellschaft diese Faszination für Mythen, Fabelwesen, für Aliens, Mermaids? Wie die Merfolk immer wieder ihre Form wandeln und trotz Unterdrückung und schwerster Lebensumstände darin irgendwie fluide, aktivistisch, lebendig und spielerisch bleiben, bezeugt für mich auch sehr stark die utopischen Potentiale von Queerness und Trans sein in der Welt. Das ist etwas, was ich selber als sehr, sehr berührend und empowernd wahrgenommen habe. 

IB: Das heißt, wir können demnächst viel von ihnen lernen oder eigentlich jetzt schon. 

MG: Ja, auch jetzt schon. Ich habe das Gefühl, dass auf jeden Fall viele der Themen, die von den Merfolk angesprochen werden, uns noch länger beschäftigen werden. In diesem Sinne: Staying with the trouble!

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