1969 steigen Thelonious Monk und seine Frau Nellie aus einem Flugzeug in Orly, das Pariser Fernsehen erwartet sie bereits. Thelonious Monk war 1969 eine Berühmtheit in Paris, aber eigentlich schon eine von gestern. Er war ein Gott der Rive-Gauche-Bop-Begeisterung der fünfziger Jahre, die ihrerseits erst gegen 1951, als Blue Note die in den Vierzigern aufgenommenen Singles zum ersten Mal gesammelt auf einem Album veröffentlichte („Genius of Modern Music“), diesen Prototypen des „Black eccentric modernist genius“ kennenlernen konnte. Ende der Fünfziger ließ Roger Vadim ihn Musik für seine LIAISONS DANGEREUSES (1959) aufnehmen.
Sein letztes Album zum Zeitpunkt dieses Besuches heißt „Underground“ und wird von Columbia Records, die damals ihren Rock-Katalog unter diesem Begriff vermarkteten, mit einem anekdotenhaften Cover irgendwo zwischen Norman Rockwell und klassischen „Hörzu“-Titelseiten versehen, welches Monk als detailreich ausstaffierten französischen Resistance-Kämpfer inszeniert, der Klavier spielt, während ein gefesselter Nazi in Uniform hinter ihm abgelegt wurde. Das Material ist aber wieder nicht ganz taufrisch, der wichtigste Komponist des Bebop komponiert kaum noch. Monk, der, wie auch das Fernsehprogramm den alten Kunstmythos wieder runterbeten wird, „seiner Zeit voraus“ war, hatte weder an der Free-Jazz-Bewegung noch am neuen politischen Schwarzen Radikalismus der Sechziger einen Anteil.
Verspätungen und Verschiebungen sind auch Themen von Alain Gomis‘ REWIND & PLAY, einer einstündigen Rekomposition von zwei Stunden Fernsehmaterial, das damals rund um Monks Parisaufenthalt entstand und für eine 30minütige Musiksendung zusammengeschnitten wurde: Thelonious Monk spielt fünf Solo-Stücke, drei davon hat er schon in den Vierzigern veröffentlicht, eines 1958 und das fünfte ist ein Standard, den er aber ebenfalls schon in den Vierzigern im Programm hatte: „Nice Work If You Can Get It“. In Gomis‘ Remix kann man sehen, dass Monk dieses Stück erst am Ende widerstrebend angeht, nachdem der Moderator ihn bittet, jetzt nochmal was Flottes zu spielen, offenbar weil die anderen Stücke eher balladenhaft und nachdenklich ausgefallen waren.
Dazu erzählt er dem Publikum, dass Monk schon in den späten Dreißigern seinen Stil fertig hatte, dann dauert es, bis erst Harlem es begreift, dann die Welt, dann die erste Plattenfirma, dann die zweite. Und so geht es tatsächlich weiter: Ein dritte Firma folgt, dann Frankreich und schließlich ist er 1964 auf dem Cover von „Time Magazine“ – also weltberühmt. Doch nun schreibt er kaum noch, flieht in Auftritte, Tourneen, Geldverdienen, er hat angeblich psychische Probleme. Seine enge Freundin und Förderin, die Baronesse Nica de Königswarter zitiert eine deutsche Tageszeitung, derzufolge Monk nicht nur der größte Komponist des Jazz, sondern überhaupt der größte Komponist seit Bartók sei. Doch die Welt sieht ihn lieber als Pianist mit schrillen Kopfbedeckungen – obwohl: diese Kopfbedeckungen waren schon toll, Sun Ra konnte sich eine Scheibe von Monks Bop-Chic abschneiden.
Monk ist müde und hat erkennbar keine Lust, die Abenteuer seiner Kompositionen auch als Mensch zu verkörpern, seine vielbeschriebene Exzentrik hat eher einen Rückzugs- und Entzugscharakter
REWIND & PLAY ist im Allgemeinen ein Film über die Gewalt, die warenförmige Stereotype den Künstler*innen antun, die von ihnen leben, selbst wenn sie für sich einen noch relativ günstigen Kompromiss ausgehandelt haben – Monk ist müde und hat erkennbar keine Lust, die Abenteuer seiner Kompositionen auch als Mensch zu verkörpern, seine vielbeschriebene Exzentrik hat eher einen Rückzugs- und Entzugscharakter. Er ist nicht extrovertiert, er sträubt sich empfindsam.
Es ist im Besonderen ein Film über die Gewalt, die das alte staatliche oder nationwide ausgestrahlte Fernsehen den Einzeltatsachen der Welt anzutun pflegte, wenn es versuchte sein ewiges Problem zu lösen: einen Sachverhalt, eine Kunst, eine Person, eine Erfahrung vermeintlich ALLEN nahebringen zu müssen – ALLE, nur denkbar als dumpfe Abstraktion, die damals noch nicht Quote hieß, aber schon meinte. Opfer dieses normativen Gewitters ist nicht nur Monk, der über menschelnde Anekdoten aus seinem Privatleben aufs Normalmaß gebracht werden soll, sondern es regnet auch auf den Moderator Henri Renaud, der in Gomis Film zu sehen ist, wie er einzelne Sätze und Einstellungen immer wieder aufnehmen lässt; nicht wirklich, weil etwas nicht stimmte, sondern weil einfach alles nicht stimmt, ihm peinlich ist. Renaud, ein amtlicher französischer Pianist, der unter anderem mit Clifford Brown und Lee Konitz gespielt hat, verdient sich als Moderator etwas dazu. Er kennt Monk persönlich und fremdelt doch immer mehr, während Monk schließlich auch nichts anderes als die Flucht in die Einsilbigkeit bleibt.
Schließlich ist es auch ein Film über die besondere Gewalt gegen afroamerikanische Künstler, die stärker als andere gezwungen sind, sich mit Stereotypen zu arrangieren. Monk ist auch dessen erkennbar müde, wenn Renaud, der freundlich gesonnen und höchstwahrscheinlich kein Rassist ist, ein erwartetes und sattsam bekanntes Narrativ vervollständigend darum bittet, von seiner (ehemaligen) Armut und den beengten Wohnverhältnissen in Harlem zu erzählen. Man könnte sich dazu komparatistisch den Film CECIL TAYLOR À PARIS ansehen, den 1965 sehr viel ambitioniertere französische Jazz-Journalisten für die Serie „Les grandes répétitions“ gedreht haben, eine Serie, die der Neuen Musik gewidmet war und dabei einen Jazzmusiker der Ehre wert fand, inkludiert zu werden. Taylor, eine Generation jünger als Monk und dessen größter Fan, wehrt sich hier souverän gegen alle Zuschreibungen und spricht so die ganze Zeit aus, was Monk nur noch durch müde und verständnislose, selten amüsierte und manchmal nur traurige Mimik zum Ausdruck bringt.
Diedrich Diederichsen ist freier Autor und Professor an der Akademie der bildenden Künste Wien.