Max Linz verbindet in seinen Filmen linke Theorie und bewusst albernen Humor – damit ist er nicht allein im jungen deutschen Kino.
Max Linz ist ein Filmemacher, der sich für Systemgrenzen interessiert. Im System, das er bespielt, in dem er sich bewegt, vielleicht bewegen muss, wenn er sich überhaupt bewegen will, also dem System des Films, des deutschen Films, des geförderten deutschen Films, ist er nicht zuhause. Seine Filme sind darum Filme über Systeme, sie sind systemkritische Filme, die mit dieser Kritik in Teilen des Systems (Filmfestivals, Filmkritik) viel Anklang finden: Gerade diesen Zusammenhang von Kritik und Anklang beschreiben die ersten Filme von Linz sarkastisch präzise. Seine Webserie DAS OBERHAUSENER GEFÜHL (2012) war eine Auftragsarbeit, zum Jubiläum des Oberhausener Manifests – die allerdings sarkastisch über die deutsche Filmförderung reflektierte.
Im Langfilmdebüt ICH WILL MICH NICHT KÜNSTLICH AUFREGEN (2014) steht nicht der Film, sondern stehen die Kunst und ihr Betrieb, und damit nicht zuletzt ihre Ökonomie, im Zentrum. Auftritt Asta Andersen (Sarah Ralfs), Kuratorin, die eine Ausstellung plant, in der es um Kino, Kunst, Politik gehen soll. Der zweite Film WEITERMACHEN SANSSOUCI (2019) begibt sich in die Gegenwart des Systems der deutschen Universität, geprägt von der Jagd nach Geldmitteln, die Projekte ermöglichen und befristete Stellen, geprägt von einer atemlosen Atmosphäre der fortgesetzten Evaluationen. Und im jüngsten Film L'ÉTAT ET MOI geht es ums Recht, das Rechtssystem und sein prozesshaftes, Wirklichkeit unter Gesetze subsumierendes Funktionieren. Max Linz tut jedoch, was er immer tut: Er führt vor, wie dem System etwas in die Quere gerät, in diesem Fall sind es seine eigenen politischen und historischen Voraussetzungen. Glatt funktionieren kann es nur, indem es diese verdeckt. L'ÉTAT ET MOI legt sie offen, durch strukturelle Verwirrung: Auftritt Hans List (Sophie Rois), Komponist/Kommunist aus dem 19. Jahrhundert, Kämpfer für die Pariser Kommune, der Vergangenheit entsprungener Doppelgänger des Rechts, genauer der Richterin Josephine Praetorius-Camusot (Sophie Rois).
Linz' Filme sind von Theorie und Reflexion geprägt, ostentativ werden Bücher gelesen, Texte zitiert, Anspielungen gemacht. Die Inszenierung ist bewusst artifiziell, die gezogenen Register sind unterschiedlich, sehr genau komponierte Tableaus dominieren, Realismus im landläufigen Sinn ist kein Mittel der Wahl.
Max Linz ist ein politischer, ein linker Filmemacher, der erst in Berlin Filmwissenschaft und dann, ebenfalls in Berlin, an der DFFB das Filmemachen studiert hat. Er hat als Autor von filmtheoretischen, filmkritischen, filmpolitischen Texten begonnen. Ein schreibender Regisseur ist er geblieben, das filmische Werk wird von theoretischen, kämpferischen, aktivistischen und reflektierenden Texten flankiert – so hat er etwa die Entstehungsbedingungen der Webserie DAS OBERHAUSENER GEFÜHL in seinem Text „Liebe Deutschland“ sogleich sehr kritisch reflektiert. Seine Filme sind von Theorie und Reflexion geprägt, ostentativ werden Bücher gelesen, Texte zitiert, Anspielungen gemacht. Die Inszenierung ist bewusst artifiziell, die gezogenen Register sind unterschiedlich, sehr genau komponierte Tableaus dominieren, Realismus im landläufigen Sinn ist kein Mittel der Wahl. Es gibt Bezüge zum Archiv der deutschen Filmgeschichte – Tradition wäre als Begriff womöglich zu affirmativ –, weniger zur sogenannten Berliner Schule (Angela Schanelec, Christian Petzold, Thomas Arslan etc.) als zu expliziter politischen und ausdrücklich realismusaversen Regisseuren wie Alexander Kluge, Harun Farocki, Heinz Emigholz oder auch Christoph Schlingensief – und, noch fundamentaler, als Vater aller Verfremdungseffekte, zu Bertolt Brecht.
Max Linz' Filme sind, nach dem Gesagten vielleicht etwas überraschend: Komödien. Wenngleich natürlich: Theorie-Komödien, Diskurs-Hanswurstiaden. Komik ist in ihnen Motor wie Folge fortgesetzter Verwirrung und Verwechslung. Es gibt den Slapstick, in L'ÉTAT ET MOI verkörpert durch das ständige Gestolper der Assistenzfigur des Yushi Lewis (Jeremy Mockridge). Auch die Worte kommen sich ins Gehege: So wird die absichtlich plumpe Pointe des Missverstehens von „Komponist“ als „Kommunist“ in L'ÉTAT ET MOI zu Tode geritten – und in dieser Übersteigerung metakomisch bis selbstreflexiv. Das Doppelgänger-Motiv stammt aus dem Inventar des Komödien-Archivs und wird auch genau so, nämlich ohne Rücksicht auf Plausibilisierung, behandelt.
Absurd ist oft bereits, was nahe an einer möglichen Wirklichkeit bleibt, der komödiantisch eingeschlagene Weg ad absurdum ist ein Steigerungspfad: Während in WEITERMACHEN SANSSOUCI der wissenschaftliche Vortrag zum Thema „Nudging“ den Rahmen des Denkbaren zunächst nicht verlässt, geht die Reaktion des Publikums über die Parodie noch hinaus. Es bricht in Gesang aus, in eine Variante des christlichen Weichspüler-Hits „Danke“ („Danke für diesen Vortrag“), womit auch gleich noch ein Motiv aus Christoph Marthalers legendärem Theaterstück „Murx den Europäer!“ angespielt ist. Musik ist auch darüber hinaus ein wichtiges Mittel des Kinos von Linz. In L'ÉTAT ET MOI schon auf der Handlungsebene, da die Inszenierung einer Oper (in der Berliner Staatsoper) eine nicht unwichtige Rolle spielt. Zugleich ist der plötzliche Umschlag von szenischer Prosa in Musik aber immer auch ein Verfremdungseffekt, der den versteinerten Verhältnissen eine andere Form von Sichtbarkeit gibt.
Groß ist die Affinität von Max Linz zum Theater, allerdings nicht zu einem Theater der einfühlenden Darstellung, sondern vor allem zur Berliner Volksbühne unter der Intendanz von Frank Castorf, an der Marthalers Stück mehr als ein Jahrzehnt lang lief. Es ist das Politische mindestens so sehr wie das Postdramatische, das Linz an den Regisseuren und Stilen dieser Theorie und Praxis des Theaters interessiert. In den ersten Filmen von Max Linz war der Einfluss des Volksbühnen-Regisseurs (und seit dem vergangenen Jahr auch dortigen Intendanten) René Pollesch und seinen Theorie- und Diskurskomödien deutlich spürbar, in L'ÉTAT ET MOI tritt er etwas zurück. Die Besetzung macht diese Einflüsse prominent sichtbar: Sophie Rois ist der vielleicht größte Star, den die Volksbühne hervorgebracht hat; Bernhard Schütz war Teil des Ensembles, Frank Büttner hatte Auftritte bei Castorf, Kerstin Grassmann in Filmen und Inszenierungen von Christoph Schlingensief, beide jedoch als nicht professionelle Darsteller*innen.
Der Mix der Stile, ausgebildete Schauspielerin neben Laien, beherrschte und ungelenke Körper, ein breites Spektrum des Bewegens und Sprechens: Das alles spielt eine wichtige Rolle für den Film, macht ihn durch die oft rigide Mise en Scène zum artifiziellen, aber gerade dadurch auch programmatisch offenen Raum. Es ist zudem etwas, aber nicht das einzige, das die Filme von Max Linz mit denen von Julian Radlmaier verbindet. Beide sind Jahrgang 1984, beide zunächst Filmwissenschaftler, beide DFFB-Absolventen, auch Radlmaier hat in seinem Debüt (mit dem sprechenden, auch sprechend ironischen Titel) SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES (2017) und dann noch einmal forciert in BLUTSAUGER (2021 in der Encounters-Reihe der Berlinale gezeigt) die Darstellungs- und Sprechstile in wildem Nebeneinander belassen. Der Bühnen- und Filmstar Lilith Stangenberg trifft auf den dezidierten Nicht-Schauspieler und Regisseur Alexandre Koberidze, ebenfalls DFFB-Absolvent, dessen WAS SEHEN WIR, WENN WIR ZUM HIMMEL SEHEN (2021) letztes Jahr viel beachtet im Wettbewerb der Berlinale lief.
Auch Koberidze bricht in seinem Werk mit den Vorgaben des herkömmlichen Realismus, stellt aber das Erzählen selbst ins Zentrum, märchennäher, deutlich weniger schroff artifiziell. Sehr viel eher ist Susanne Heinrich zu den neuen Berliner Brechtianer*innen von der DFFB zu rechnen, Jahrgang 1985, die allerdings von der Literatur (sie hat mehrere Bände mit Erzählungen und Romanen veröffentlicht) zum Filmemachen kam. Ihr Spielfilmdebüt DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN (2019) ist eine feministische Komödie, die Theorie und Spielfilmhandlung in artifiziellem Stil miteinander verbindet. Heinrich hat sich in den Kämpfen um die Ausrichtung der DFFB – in denen es um die Frage nach der Widerständigkeit gegenüber dem real existierenden Film-, Fernseh-, Serienbetrieb ging – mehr noch als Linz und Radlmaier auch öffentlich engagiert. Alle drei sind sie auf der Suche nach einer filmischen Ästhetik, die linke Theorie mit einer emanzipatorischen Praxis der Filmpolitik, und das heißt nicht zuletzt der Ausbildung von Filmemacher*innen, aber auch mit kollektive(re)n Formen des Filmemachens verbindet.
Ekkehard Knörer, geb. 1971, Kritiker, Mitherausgeber der Zeitschriften „Cargo. Film/Medien/Kultur“ und „Merkur“, Autor für die „taz“.