Dieser Film begann, als ich im Alter von vier Jahren mit meiner Großmutter die Fernsehnachrichten ansah. Es kam ein Bericht über eine Frau, die allein auf einer entlegenen Insel im Nordwestatlantik lebt. Sable Island wurde als sichelförmiger Streifen Sand beschrieben, als Ort voller Robben, wilder Pferde und Schiffswracks. Eine Legende, die mir im Gedächtnis blieb, bis ich Zoe Lucas dreißig Jahre später selbst kennenlernen sollte. Es mag ein Mythos gewesen sein, der mich zu ihr führte, doch was mich fesselte und letztlich dazu bewegte, diesen Film zu machen, war alles darum herum.
Mit einem privaten Charterflugzeug unternahm ich drei Reisen auf die Insel. Dabei habe ich auf 16-mm-Film gedreht. Meine erste Reise – das Team bestand aus mir selbst und sonst niemandem – fand im Winter 2017 statt. Ich erinnere mich an die Hundertschaften von Robben, die den Strand verstopften, reißende Blizzards, an den Sand, der in jede Ritze meiner Ausrüstung drang. Meine Hände waren dem Winterwetter ausgesetzt, wund von der Arbeit mit der Ausrüstung; zu Fuß schleppte ich das schwere Film-Equipment durch den Sand. Doch als Zoe mich über die Insel führte, schienen all die körperlichen Strapazen angesichts dieses derart vollkommenen Daseins zu verblassen. Noch nie hatte ich einen Ort wie diese Insel zu Gesicht bekommen. Die Tiere trotzen den extremen Elementen und scheinen doch aufzublühen in ihrem Inselparadies, praktisch unberührt vom Menschen und ohne Fressfeinde. Das Werden und Vergehen des Lebens zeigt sich hier auf einzigartige Art und Weise: Kadaver sinken ganz natürlich ins Land zurück, verschmelzen mit ihm, und Geburten finden nicht selten in unmittelbarer Nachbarschaft des Todes statt. Dieser Ort war für mich wie ein wildes Heiligtum, mit einer Hüterin, die mehr als 40 Jahre damit verbracht hat, noch die nichtigsten Details zu studieren und sich um sie zu kümmern. Und dennoch wird dieses Heiligtum angegriffen.
Permanent spült das Meer Müll jeglicher Größe an die Ufer von Sable Island. Unablässig sammelt Zoe ihn ein und säubert, sortiert und katalogisiert die Fundstücke für eine Langzeitstudie über die Entwicklung der Verschmutzung des Nordwestatlantiks. Zoes Entdeckungen schockierten und verstörten mich. Zwischen meinen Reisen suchte ich nach Möglichkeiten, um mit den Mitteln des Kinos zu betonen, wie fragil unsere Umwelt ist. Ich begann mit einer Reihe von umweltfreundlichen Experimenten, für die ich Fundstücke aus Zoes Institut verwendete. Ich habe das Filmmaterial selbst entwickelt und verwendete dafür Pflanzen, die auf Sable Island heimisch sind; ich habe das Material dem Licht des Mondes und der Sterne ausgesetzt; es mit nichttoxischer Emulsion bestrichen; und habe Meeresmüll und Pflanzenmaterial auf den Film geklebt.
Zu einem Zeitpunkt, an dem die Umweltkrise dringlicher ist als je zuvor, glaube ich mit ganzem Herzen daran, dass das Kino einen Beitrag zum Heilungsprozess zwischen den Menschen und der Natur leisten kann.
Ich dehnte meine Versuche auf den Ton aus. Nichts von all dem, was mir auf dieser Reise begegnete, hat mich mehr verfolgt als die Geräusche von Sable Island. Unter Verwendung von selbstgebastelten, nichtgiftigen Kontaktmikrofonen, Unterwasserhydrofonen und Elektroden, die die Frequenzen von Käfern und Pflanzen in musikalische Rhythmen übertrugen, schuf ich eine Klanglandschaft, die fast ausschließlich auf und mit der Insel aufgenommen wurde.
Zu einem Zeitpunkt, an dem die Umweltkrise dringlicher ist als je zuvor, glaube ich mit ganzem Herzen daran, dass das Kino einen Beitrag zum Heilungsprozess zwischen den Menschen und der Natur leisten kann. Ich habe meine Arbeit in den Dienst dieser Überzeugung gestellt. Bei den Filmarbeiten zu GEOGRAPHIES OF SOLITUDE begleitete mich stets ein liebgewonnenes Zitat von Thomas Merton: „Wir werden niemals lieben oder retten, was wir nicht als heilig erfahren.“
Jacquelyn Mills
Übersetzung: Dominikus Müller