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MATO SECO EM CHAMAS (Dry Ground Burning) wurde über den Zeitraum von drei Jahren in Sol Nascente und Ceilândia gedreht, zwei Satellitenstädten von Brasília, der Hauptstadt Brasiliens. Der Film entstand aus dem Bedürfnis heraus, eine Fabel über die brasilianische Politik zu erzählen – und zwar aus der Perspektive derjenigen, die buchstäblich am Rande des Regierungsbezirks leben. Er wird durchdrungen von den Widersprüchen, die im Verlauf der mehrere Jahre dauernden Dreharbeiten dort nach und nach zum Vorschein kamen, und er ist eingebettet in die aktuelle politische Lage in Brasilien. Vorwärtsgetrieben wurde die Arbeit vom Bedürfnis, einen Film zu machen, der sich einer lokalen Grammatik verschrieben hat, die anders ist, sehr anders, als die offizielle Grammatik der brasilianischen Großstädte. Wir betraten also die Welt des Echten, um eine Fiktion zu schaffen, die in gewisser Weise Rache nehmen könnte an einer bestimmten brasilianischen Elite, kolonisiert, gewalttätig, archaisch, mittelmäßig. Ein Film, der, mit Bildern, dasjenige Territorium entwerfen könnte, das von den Körpern und den Wünschen einer ganzen Generation belebt wird, entwurzelt, segregiert und eingesperrt im Namen des Projekts der brasilianischen Nation. Ein Projekt, das, ganz egal, welche Regierung nun auch immer gerade an der Macht war oder ist, stets die peripheren Stimmen Brasiliens entwertet hat, deren Geschmack, deren Wünsche, deren Ambitionen, deren Art und Weise, Geschichten zu erzählen.

Eine Vorstellungswelt provozieren

Im Zentrum unseres Vorgehens stand der Anspruch, eine Form der Ethnografie zu schaffen, die sich aus einer Fiktion heraus entwickelt. Im Raum dieses Gebiets, in dem wir filmten, zu leben und darin zu intervenieren, eine Vorstellungswelt zu provozieren, Legenden zu kreieren aus Erfahrungen, die nicht notwendigerweise dem Modell intellektueller Sensibilität entsprechen mussten, wie man es so gerne auf derartige Räume projiziert. Ebenso pervers wie all jene historischen Vorurteile, die stereotype Figuren gebären, ist die Auferlegung einer bestimmten Sensibilität, der Drang, diese Körper zwanghaft gefügig zu machen und sie denjenigen Normen zu unterwerfen, die das Zentrum als angemessenes Verhalten wahrnimmt, sei es der gute Geschmack oder die effektive politische Aktion. Eine solche Haltung verlöre zudem die Widersprüche und Erfahrungen aus den Augen, die jede spezifische Generation im Zuge ihrer Entstehung durchlebt.

Sol Nascente wird übernommen – und explodiert dann

Es war uns wichtig, dass unsere filmische Welt nicht von einer vorgegebenen Form des Denkens, der Theorie oder einer diskursiven Agenda begrenzt wird. Wir glauben nicht an Filme, die als Antwort auf institutionelle Anforderungen und Wünsche entstehen, seien diese nun progressiv oder reaktionär. Also haben wir versucht, soweit uns das möglich war, zu hinterfragen, was bei der Darstellung der Peripherie normalerweise als „korrekt“ wahrgenommen wird. Wir wollten uns selbst und das Projekt den Widersprüchen aussetzen, die diese Welt – teils Erfahrung, teils Mise en Scène – für uns bereithielt.

Im Dialog mit der Straße

Das waren unsere Überlegungen zu Beginn des Films. Überlegungen, die aus monatelangen Gesprächen, monatelangen Experimenten vor Ort entstanden sind. Auf unterschiedliche Art und Weise hatten wir beide schon vor der Arbeit an diesem Projekt in den entsprechenden Gebieten gelebt. Joana hatte, als Kamerafrau für Adirleys Film ERA UMA VEZ BRASÍLIA (2017), schon zwei Jahre dort verbracht und gearbeitet, wo wir nun MATO SECO EM CHAMAS filmten. Und Adirley selbst lebt seit beinahe 50 Jahren in Ceilândia. Seit 20 Jahren filmt er dort und in Sol Nascente und arbeitet mit Laienschauspieler*innen aus beiden Städten. Auf Grundlage dieser Erfahrungen schlugen wir denjenigen Menschen vor Ort eine Kollaboration vor, die ein Interesse daran haben, im Film ebenso zu schauspielern wie zu leben, die das Bedürfnis haben, Film zu machen und Kino zuvorderst als eine Form der Arbeit zu begreifen.

Insofern  ist MATO SECO EM CHAMAS ein Film, der sich im Dialog mit der Straße befindet und sich mit der Erfahrung eines bestimmten Typs von Körpern verbindet, wie sie die Peripherie Brasiliens bewohnen – in all ihrer Potenz, Spannung und mit all ihren Widersprüchen. Uns ging es nicht so sehr darum, sie mit den Mitteln des Kinos zu legitimieren. Vielmehr wollten wir ein Terrain schaffen, auf dem sie sich des Films bemächtigen, sein Zentrum besetzen konnten. Unser Ziel war es, einen Film zu machen, der sich weigert zu besänftigen oder einzudämmen. Stattdessen sollte er einen Raum öffnen, in dem unsere Protagonist*innen die Stadt, den Staat, die Politik, die allesamt historisch geleitet werden von gleichermaßen aseptischen wie beschwichtigenden Ideologien, herausfordern könnten. Und wir wollten, dass der Film auf dieselbe Art und Weise spricht, wie wir an der Straßenecke miteinander sprechen, ohne Zugeständnisse, ohne Herablassung. Schnell sprechen, Slang, erfundene Worte, neue Grammatik, Bedeutungen, die sich nur erschließen, wenn sich Körper einen Raum teilen, Worte, die ihre eigene Welt schaffen. Das Kino bietet die Möglichkeit eines solchen Raums. Sol Nascente wird übernommen – und explodiert dann. Es explodiert in Funk, in Rap, in forró, es explodiert in Tanz, in Musik, in Körpern. Es explodiert im Feuer. Ein Ceilândia, das imaginiert und imaginär ist, romantisiert und idealisiert, wird von den Flammen verschluckt. Ein Ceilândia, in dem es diesen Frauen gelungen ist, die Kontrolle zu übernehmen, was ihre Fantasie – unsere Fantasie – beflügelt hat; wird ausradiert von den Flammen, die es jeden August, zu jeder Trockenzeit, stets aufs Neue mit der Zerstörung bedrohen.

Fabeln und Fantasien für ein Land in Flammen

Dieser Film schlägt dann sechs Frauen aus zwei benachbarten Städten ein Abenteuer vor. Mit diesen Frauen – Léa Alves, Joana Darc Furtado, Andreia Vieira, Débora Alencar, Mara Alves und Gleide Firmino – haben wir eine Fiktion geschaffen, die für uns zum Aktionsraum werden konnte. Eine Fiktion, in der die Peripherie zum Zentrum wird. Eine Fiktion, die auch dokumentarisch verstanden werden kann. Zusammen mit den Frauen haben wir Figuren entwickelt, geformt aus gemeinsamen politischen Erinnerungen und einer kollektiven Idee für diese umkämpften Gebiete. Unser Wunsch ist es, den Sieg davonzutragen gegen die Unausweichlichkeit des Schicksals. An der äußersten Grenze zersplittert die Fiktion und verwandelt sich in eine politische Fabel. Während der drei Jahre der Produktion haben wir an dieses Gefühl geglaubt, und uns auf die Suche nach dieser politischen Fabel für ein Land in Flammen gemacht.

Joana Pimenta und Adirley Queirós

Übersetzung: Dominikus Müller

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