Die auf Madeira ansässige Tanzkompanie Dançando com a Diferença – gegründet 2011 mit dem Ziel, Menschen mit und ohne Behinderung für künstlerische Projekte zusammenzubringen – hat mich eingeladen, zusammen mit seinem künstlerischen Team und dem Lissaboner Teatro Praga – gegründet 1995 mit einem Schwerpunkt auf Theater-, Performance-, kuratorischen sowie pädagogischen Projekten – einen Film zu drehen.
Unsere Zusammenarbeit hat damit begonnen, dass wir auf Madeira Zeit miteinander verbrachten – um uns kennenzulernen und etwas über das Zuhause der Gastkompanie und ihr Verhältnis zur Inselgeographie zu erfahren.
Als wir für die Dreharbeiten auf die Insel zurückkehrten, hatte die Pandemie längst begonnen. Unser Film sollte eine Reise werden, in deren Verlauf über die Anfänge der Menschheit und die ungewisse Zukunft unserer Planeten nachgedacht wird.
Diese erzählte Reise ist lang, aber einfach. Alles hat seinen Ursprung im Wasser, die Pflanzen, der Sauerstoff, die Lebewesen, die sich nach ihren verschiedenen Begehren entwickeln und vermehren: von Fellmustern bis zu Nagellackfarben – weiterentwickeln und vermehren. SUPER NATURAL entfaltet sich – gemeinsam mit den Zuschauer*innen – im Modus des Experimentierens, wie das Leben selbst. Die Betonstadt wird eins mit der Insel, so wie Nahrung mit dem Magen oder Sternbilder mit unserem Verständnis vom Firmament eins werden. Alles setzt irgendetwas in Gang, alles steht miteinander in Verbindung, in einer durch Farben, Landschaften und Klänge erweiterten Sinneserfahrung.
Alles setzt irgendetwas in Gang, alles steht miteinander in Verbindung, in einer durch Farben, Landschaften und Klänge erweiterten Sinneserfahrung.
SUPER NATURAL offenbart, dass „die Natürlichkeit“ – eines Körpers oder Gegenstands – stets komplexer ist, als es den Anschein hat. Der Film entzieht sich Vorstellungen von „Inklusion“ und „Differenz“ und bevorzugt stattdessen Praktiken und Geschichtsschreibungen der Menschwerdung, die Quanten- und Biophysik, Neurowissenschaften sowie Technik und Dichtung miteinander verbinden.
SUPER NATURAL spielt auf einer Insel, die von Lebensformen besiedelt wird, die das Eiszeitalter überdauert haben, auf der eine Pflanzenwelt gedeiht, die aus endemischen Arten im Zusammenspielt mit der Präsenz von Menschen entstanden ist. Beeinflusst wurde dies von verschiedenen Migrationsbewegungen, von den Spuren, die jene zurückgelassen haben, die auf die Insel gekommen sind, sie wieder verlassen haben und weiterhin kommen. Gleich einem Fotoalbum mit Porträtaufnahmen zeigt der Film Insellandschaften mit Performer*innen von Dançando com a Diferença. Der Film öffnet ihnen an verschiedensten Drehorten – in einem Swimmingpool, einem Jacuzzi, einem Garten, einer Orchideenzucht, im eigenen Bett, einer Seilbahn, einem Spa – Raum zur Improvisation und macht die Diversität des „Natürlichen“ für die Zuschauer*innen erfahrbar.
SUPER NATURAL war von Anfang an als performativer Film konzipiert, als Film, der stets versucht, in das, was vor ihm liegt, einzugreifen, mit ihm zu interagieren.
Der Film beginnt damit, dass er sich bei den Zuschauer*innen für ihre Anwesenheit bedankt und sich in den Raum projiziert – in dem Wunsch, den Raum und die darin versammelten Zuschauer*innen zu sehen. Sobald Licht und Stimmen auf der Leinwand zu sehen und zu hören sind, beginnt die in Kapitel beziehungsweise Etappen unterteilt Reise, erscheinen die Bilder, die auf Überwachungskameras, Handys, Film und Video gedreht wurden.
Der Film beginnt damit, dass er sich bei den Zuschauer*innen für ihre Anwesenheit bedankt und sich in den Raum projiziert – in dem Wunsch, den Raum und die darin versammelten Zuschauer*innen zu sehen.
Neben diesen Bildern spricht auch der Film selbst zu seinem Publikum, festigt das Band mit ihm mittels Schrift und einer meditativen Stimme, sucht nach einer Form der Osmose, die ihrerseits eine Aussage über das Sein von Filmen und deren Ontologie darstellt.
SUPER NATURAL zeigt uns eine Welt, in der Performer*innen zugleich menschliche Wesen und Meerjungfrauen, Passionsfrüchte oder Katzen sind, eine Welt, in der Gefühle und die Tränen des Publikums genauso die Fiktion ergänzen wie ein Instagram-Filter, in der die Geräusche des Winds – das reinste Cinema vérité – so musikalisch sind wie ein elektronischer Beat.
In dieser Film- und Mediengeschichte verlassen wir das urbane Zentrum von Madeiras Hauptstadt Funchal und betreten die Schlafzimmer der Performer*innen. Wir gelangen von natürlichen Gewässern zu einer kolossalen, direkt ans Meer gebauten Flughafenkonstruktion. SUPER NATURAL nimmt uns mit auf die Reise des Lebens, teilt dabei Zusammenhänge und Geographien, historische Skurrilitäten, Musikvideos, Geständnisse und Humor – und gipfelt in einem Zustand der Nähe, in der Fiktion und Wirklichkeit, Dronen und Vögel, Roboter und Spinnen durcheinander kommen.
Und so werden die Lebensformen, die dieser Film im Fluss der Zeit porträtiert, immer vielfältiger, so vielfältig wie die Performer*innen – menschlich, nicht-menschlich, mythisch, robotisch. SUPER NATURAL ist fortwährende Bewegung. Aus ihr schöpft der Film eine außerordentliche Kraft. SUPER NATURAL ist eine Ode an alle Lebensenergien.
Jorge Jácome
Übersetzung: Gregor Runge