In seinem Rücktrittsschreiben von 1956 an den Gouverneur von Algerien schreibt Frantz Fanon: „Seit vielen Monaten haben sich in meinem Gewissen unverzeihliche Diskussionen abgespielt.“ FANON, der Film, ist ein Versuch, diese Diskussionen aufzuschlüsseln, indem er Fanons Arbeit in der psychiatrischen Anstalt von Blida-Joinville kontextualisiert, dem symbolischen Sitz seines Gewissens während seiner drei Jahre in Algerien, von 1953 bis 1956. Die inneren Debatten, die Fanon zu dieser Zeit bewegen, werden von drei Narrativen befeuert: das der kolonialen Psychiatrie, die die Algerier als primitive Wesen ansieht; das der institutionellen Psychotherapie, für die Fanon steht; und das des Algerienkriegs, der das Krankenhaus mit einer neuen Art von Patient*innen füllt. Seit Fanons Tod im Alter von 36 im Jahr 1961 sind seine Ideen lebendig geblieben. Die Welt wird nicht mehr von den Unabhängigkeitsbewegungen geprägt, aber Strukturen von Herrschaft und Entfremdung sind im Grunde bestehengeblieben. Gerade deshalb sind Fanons Kämpfe und Werke mehr denn je relevant, auch im heutigen Algerien. Freiheit und Emanzipation müssen für Millionen von Männern und Frauen auf der ganzen Welt noch erreicht werden.
Der Film ist angelegt als eine Art „Epos des Wahnsinns“
Man könnte Fanons Geschichte auf verschiedene Arten erzählen, die von mir gewählte konzentriert sich auf ihn als Psychiater, der stolz auf seine neue Position als Leiter eines großen Krankenhauses ist. Doch schon in den ersten Wochen nach seinem Amtsantritt wird er Zeuge einer anderen Verirrung, die er in seinem Rücktrittsschreiben wie folgt hervorhebt: „Der Wahnsinn ist eines der Mittel, durch die der Mensch seine Freiheit verliert. Mit Erschrecken habe ich den Zustand der Entfremdung der Bewohner dieses Landes festgestellt. Wenn die Psychiatrie das medizinische Verfahren ist, mit dem wir dem Einzelnen einen Weg anbieten, sich nicht in seiner Umgebung entfremdet zu fühlen, dann muss ich feststellen, dass der arabische Mensch, der ständig in seinem Land entfremdet ist, in einem absoluten Zustand der Entpersönlichung lebt. Was ist Algerien? Eine systematische Entmenschlichung.“ Fanon verließ schließlich das Krankenhaus und wurde zu einem Unterstützer der algerischen Unabhängigkeit, um, wie er meinte, ein besserer Psychiater zu werden, indem er sich an der Befreiung eines Volkes beteiligte. Um diese Geschichte zu erzählen, habe ich mit Fanons klinischen Aufzeichnungen gearbeitet, die in den Archiven von Blida-Joinville gefunden wurden, aber auch mit den Aussagen des Krankenhauspersonals, das mit ihm während seiner Zeit dort gearbeitet hat. Zwischen 1998 und 2002 habe ich zusammen mit Pr Bachir Ridouh, einem Psychiater, der Fanons Vermächtnis nach dem Krieg fortgeführt hat, einen Dokumentarfilm mit dem Titel MÉMOIRES D‘ASILE gedreht, in dem ich die Geschichte des Hospitals erkunde und alle Geschichten gesammelt habe, die über Fanons Zeit gehört und erzählt wurden. Dann habe ich auf den richtigen Moment gewartet, um diese Fiktion ins Leben zu rufen. Der Film ist angelegt als eine Art „Epos des Wahnsinns“, das Fanon durchlebt, mit medizinischen und klinischen Elementen, aber auch Ereignissen außerhalb der Krankenhauswelt, die die Ideen des Arztes formen, bis er sich in einen antikolonialen Aktivisten verwandelt. Der Film nimmt Fanons Sichtweise ein als objektiver Beobachter in einem Krankenhaus, das als Labor für die durch die Kolonialisierung ausgelösten Entfremdungsaspekte konzipiert wurde. Der Film dreht sich also um Worte, die von algerischen und französischen Schauspieler*innen gesprochen werden und die in ähnlichen Kontexten einer gebändigten, mundtot gemachten Rede auch heute noch gesagt und von aufmerksamen Ohren gehört werden könnten.
Abdenour Zahzah