Durch Zufall stieß ich auf einen Stapel alter Briefe, die tief in der Schublade eines alten Schreibtischs versteckt waren. Handgeschrieben von meinem Vater wurden diese Briefe vor über drei Jahrzehnten aus Australien an mich geschickt, kurz nachdem ich 1988 in die Niederlande gezogen war. Im Durchschnitt verfasste er alle zwei Wochen einen, sie sind gut geschrieben, interessant und oft amüsant. Sie erinnern mich an Ereignisse zu Hause, aber auch auf nationaler oder internationaler Ebene, die ich vergessen hatte. Mein Vater wechselt in den Briefen mühelos vom Leben der Haustiere und dem Aufpassen auf seinen ersten Enkel Nikolas zu Problemen bei der Arbeit und den größeren historischen Veränderungen dieser Zeit: das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa, die Wahl Mandelas zum ersten schwarzen Premierminister in Südafrika. Ich staune über seine Fähigkeit, die wichtigsten globalen Ereignisse der Zeit zusammenzufassen, und über seine ruhige, menschliche Auseinandersetzung mit diesen Weltnachrichten. Aus der zeitlichen Distanz betrachtet bin ich erstaunt über die Bedeutung dieser turbulenten historischen Momente, die die folgenden Jahrzehnte in hohem Maße geprägt haben. Sie werfen lange Schatten.
Eigentlich als dokumentarisch kategorisiert, umfasst dieses Filmmaterial für mich viel mehr.
Über viele Monate hinweg habe ich unzählige Stunden damit verbracht, mich in die umfangreichen Film- und Bewegtbildarchive des Eye Filmmuseums in Amsterdam zu vertiefen – eine spannende Herausforderung. DEAREST FIONA ist ein Montageprojekt, das in mühsamer Kleinarbeit aus Bildern zusammengeschnitten wurde, die ausschließlich aus Stummfilmen stammen, die vor 1920 in den Niederlanden gedreht wurden. Einige sind getönt oder handkoloriert, was oft sehr schön ist, die meisten sind in Schwarzweiß. Eigentlich als dokumentarisch kategorisiert, umfasst dieses Material für mich viel mehr. Natürlich sind Klischees in diesen Bildern enthalten – Holländer in Holzschuhen, Fischer auf Booten, die allgegenwärtigen Windmühlen. Aber darüber hinaus sind mir zwei Schlüsselaspekte dieses Materials aufgefallen, die hier erwähnt werden sollten. Einen bleibenden Eindruck hinterlassen vor allem die vielen Szenen des gemeinschaftlichen Lebens auf den Feldern, in den Fabriken, in den Städten und Dörfern – fast niemand ist jemals allein. Außerdem lösen die zahlreichen Szenen schwerer körperlicher Arbeit bei mir als Zuschauerin eine fast körperliche Reaktion aus, die sie unvergesslich machen.
Die Bedeutung des Tons ist nicht zu unterschätzen. Zusätzlich zum Voiceover wurde ein komplexes Sounddesign komponiert und konstruiert, das die visuelle Linie unterstützt und die längst vergessenen stillen Bilder wieder zum Leben erweckt. Die Klanglandschaft rekonstruiert nicht nur eine frühere Realität, sondern regt die Fantasie an und erlaubt eine ebenso persönliche wie universelle Reise. Durch diese ungewöhnliche Gegenüberstellung von Wort und Bild erscheint es so, als entdecke der Briefschreiber diese Bilder gemeinsam mit uns. Das Ergebnis soll eine unerwartet emotionale Reise durch Zeit und Raum ermöglichen, die den aktuellen Status quo in Frage stellt und irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit schwebt.
Fiona Tan
Übersetzung: Sven von Reden