Durch schicksalhafte Fügung und Zufälle kam es dazu, dass wir die Filme KAKI KOUBA (2015) und MINATOMACHI (2018) in Ushimado am japanischen Seto-Binnenmeer drehten. Damals führten meine Ehefrau und Produzentin Kiyoko Kashiwagi und ich ein komfortables Leben in New York und hätten uns nie träumen lassen, dass wir wenige Jahre später nach Ushimado übersiedeln würden.
Die Coronapandemie veränderte unsere Lebenseinstellung von Grund auf. 2021 zogen wir nach 27 Jahren in New York nach Ushimado. Wir wollten nicht mehr in einer zubetonierten, von der Natur abgekoppelten Großstadt leben, sondern in Harmonie mit Flora und Fauna, umgeben von Meer und Bergen.
Wir hatten uns gerade in Ushimado eingelebt, als die Dreharbeiten für GOKOGU NO NEKO überraschend begannen.
Kiyoko und mir liefen auf der Straße zwei Katzen über den Weg: Chataro und Chibishima. Sie waren Brüder. Beide waren verletzt und ausgehungert. Wir fühlten uns verpflichtet, uns um sie zu kümmern, und holten uns Hilfe von einer einheimischen Aktivistin, die schon länger die wildlebenden Straßenkatzen von Ushimado fütterte und auf sie aufpasste. Als Gegenleistung half Kiyoko ihr, die am Gokogu-Schrein hausenden Katzen einzufangen und zu sterilisieren. Das war für mich der Anlass, zur Kamera zu greifen.
Als ich die Straßenkatzen am Gokogu-Schrein beobachtete, wurde mir klar, dass sie nach wie vor Wildtiere sind und sich das entsprechende Sensorium bewahrt haben. Sie sind Teil der Natur.
Während der Dreharbeiten am Gokogu-Schrein stellte ich fest, dass dies ein ganz besonderer öffentlicher Raum ist und viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen kommen und gehen. Außerdem fiel mir auf, dass einige Leute sich um die Straßenkatzen kümmerten und manche Anwohner sie nicht leiden konnten, weil sie mit ihren Hinterlassenschaften das Viertel verunreinigten. Gokogu kam mir vor wie das Epizentrum eines heiklen Problems, das die hier lebende Gemeinschaft spaltete. Ich erlag der Anziehungskraft dieses Ortes und drehte zu meiner Überraschung ungefähr ein Jahr am Gokogu-Schrein.
Wie meine bisherigen Filme entstand GOKOGU NO NEKO spontan, ungeplant, ohne vorherige Recherchen und unter Einhaltung meiner „Zehn Gebote für beobachtende Dokumentarfilmarbeit“. Weil Kiyoko sich aktiv ins Geschehen eingeschaltet und mich damit erst veranlasst hatte, einen Film zu drehen, wurde sie logischerweise zur Mitakteurin. Dies ließ die Trennlinie zwischen Filmemacher*innen und Figuren verschwimmen und den Film zu einem anschaulichen Beispiel für „teilnehmendes Beobachten“ werden.
Seit ich in Ushimado lebe, mache ich mir häufig Gedanken über die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Diese Beziehung wirkt oft so, als steuere sie auf einen Kollaps zu. Als ich die Straßenkatzen am Gokogu-Schrein beobachtete, wurde mir klar, dass sie nach wie vor Wildtiere sind und sich das entsprechende Sensorium bewahrt haben. Sie sind Teil der Natur. So betrachtet, ist GOKOGU NO NEKO ein Film, der die komplexe Beziehung zwischen Mensch und Natur beobachtet und unter die Lupe nimmt.
Zehn Gebote für beobachtende Dokumentarfilmarbeit
1. Keine Recherchen.
2. Keine Treffen mit Protagonisten.
3. Keine Drehbücher.
4. Bediene die Kamera selbst.
5. Drehe so lang wie möglich.
6. Beobachte überschaubare Bereiche möglichst genau.
7. Lege vor der Montage kein Thema oder Ziel fest.
8. Keine Narration, keine eingeblendeten Titel, keine Musik.
9. Verwende lange Einstellungen.
10. Finanziere die Produktion selbst.
Übersetzung: Andreas Bredenfeld