Man soll die Suche nach „Ursprüngen“ ja durchaus vermeiden, aber dass mein lebenslanges Interesse an der Geschichte und Gegenwart der USA, am amerikanischen Kino und dessen Akteuren sowie an dem Schauspieler Henry Fonda wesentliche Gründe für mich waren, ein neues Metier zu erproben – das wäre keine allzu gewagte Behauptung.
Gewagt ist er dennoch, dieser Sprung in die Filmarbeit. Ich habe mich dafür entschieden, weil mir der filmische als der einzig logische Zugang zu der Materie erschien, die sich über Jahrzehnte hinweg vor mir verdichtet hatte. Eine Lehre aus meinen früheren Tätigkeiten: Jedes Thema, das man „annimmt“, drängt zu einer bestimmten Form der Realisierung. In jeder Konstellation von Fragen – inklusive der Fragen, die man an sich selbst richtet – steckt ansatzweise schon der Charakter der möglichen Antwort. Gemeinsam mit Michael Palm und Regina Schlagnitweit wollte ich daher eine filmische Antwort geben. Sie ähnelt vielleicht einer Doppelhelix: zwei auf- oder absteigende Hauptstränge in spiralförmiger Bewegung – die Biografie eines Komposits namens „Henry Fonda“ und die „Biografie“ der Vereinigten Staaten von Amerika. Verschiedene thematische Terrains und Darstellungsformen überlagern sich hier: fiktionale Erzählungen und historische Fakten, individuelle Lebenswege und gesellschaftspolitische Spekulation, Momente der amerikanischen Geschichte und ihr populärkultureller „Abfall“ – und akute Fragen an die Demokratie. Henry Fonda ist der Pilot dieses Vorhabens. Sein Leben und das seiner Vorfahren, die Persona, die sich aus seinen Werken herauskristallisiert, die Orte und Zeiten, an und in denen die Person und die Persona tätig geworden sind – all das gab die Luftlinien vor, die sich im Himmel über Amerika zu einem Film verdichten und verschlingen sollten. Auch die Wahl der Schauplätze, die wir mit der Kamera in den Jahren 2019 und 2021 besucht haben, folgte daraus. Aber ihre konkrete Gestalt, ihre Eigendynamik löste wieder neue Impulse aus – neue Seitenwege, neue Satelliten-Figuren, neue Verknüpfungen und Spekulationen.
Henry Fonda war ein wortkarger Mensch. Er sah sich nicht als Künstler und redete nicht gern über sich. Aber es gelang ihm, Zeugnis zu geben – auch wenn er es selbst nicht erkannte.
Dank seiner Familiengeschichte, seiner persönlichen Konflikte, Schwächen und Überzeugungen, seiner Filme und seines besonderen Vermögens als Darsteller fungiert Fonda auch ein bisschen wie ein Zoom-Objektiv, das mittels variabler Brennweite verschiedenste Dimensionen der Geschichte und des Lebens in Amerika einfängt. Manchmal nur die Umrisse, manchmal die genauesten Details. Und dank seiner Stimme, die durch Lawrence Grobels langes Interview mit ihm im Sommer 1981 hier einfließen kann, ist er auch, neben mir als Autor, der zweite „Erzähler“.
Dabei war er ein wortkarger Mensch. Er sah sich nicht als Künstler und redete nicht gern über sich. Aber es gelang ihm, Zeugnis zu geben – auch wenn er es selbst nicht erkannte. Davon spricht Hannah Arendt am Anfang meines Films, und ich habe mir erlaubt, es als eine Aussage über Henry Fonda zu verstehen: „Das Subjekt legt in der Tat ein objektives Werk der Öffentlichkeit vor und gibt es ihr preis. Das Subjektive hieran, etwa der Arbeitsprozess, in dem das Werk hergestellt wurde, geht die Öffentlichkeit nichts an. Ist dies Werk nun aber nicht nur akademisch, sondern das Resultat eines tätigen und erlittenen Lebens, so erscheint mit ihm ein lebendiges Handeln und Sprechen, dessen Träger die Person selbst ist. Was hier erscheint, ist dem, der es zeigt, unbekannt. Er kann darüber nicht verfügen.“
Alexander Horwath