Barbara Wurm: Faraz, seit wann weißt du, dass du eigentlich Regisseur bist und nicht Kameramann? Und wieso hast du dich als Kameramann ausgerechnet dazu entschieden, deinen ersten Film aus Skype-Videomitschnitten zu machen?
Faraz Fesharaki: Ich weiß immer noch nicht, ob ich Regisseur bin. Und ich weiß auch nicht, ob ich Kameramann bin. Der Begriff, den ich lieber benutzen würde, ist Filmemacher. Ich sehe mich als jemand, der eine Leidenschaft für das Kino hat, und sich damit beschäftigen will, auf was für eine Art auch immer. Irgendwie findet man einen Weg. Dass ich mit Kamera angefangen habe, war, wenn ich ehrlich sein soll, eher eine praktische Frage. Ich habe im Iran angefangen zu studieren und habe mich gefragt, wie ich dort als Regisseur vor dem Hintergrund von Zensur und abhängig von staatlicher Finanzierung arbeiten und Geld verdienen soll. Dann habe ich Kamera studiert und bemerkt, wie sehr ich es eigentlich genieße. Ich mag es total, wie ein Übersetzer die Ideen anderer in eine visuelle Sprache zu übertragen. Aber genau diese Mauer gibt es bei mir hoffentlich nicht, dass man sagt, diese Person macht Regie, die andere macht Kamera.
Carolin Weidner: Und trotzdem bist du gerade als Kameramann sehr erfolgreich. Deine letzte Arbeit WAS SEHEN WIR, WENN WIR ZUM HIMMEL SCHAUEN (2021) von Alexandre Koberidze war etwa im Wettbewerb der Berlinale zu sehen. Löst das Angst oder zumindest Respekt aus, einen eigenen Film vorzulegen, und dann auch noch mit einem solch persönlichen Thema?
FF: Ja, und ich habe es auch mehrmals bereut, während ich den Film geschnitten habe. Diesen Respekt, diese Angst hatte ich die ganze Zeit. Nicht wirklich aus der Perspektive, wie werde ich als Kameramann wahrgenommen, der Regie macht, sondern überhaupt: Wie wird dieser Film werden, vor allem unter dem Aspekt, dass es ein persönlicher Film ist? Das hat mich sehr, sehr lange begleitet. Der Schnittprozess hat fünf Jahre gedauert und ohne die unglaublich tolle inhaltliche und seelische Unterstützung meiner Produzentinnen, Luise Hauschild, Ewelina Rosinska und Mariam Shatberashvili, hätte ich den Film nie fertig geschnitten!
Es gab immer wieder Momente in diesem Alltag, bei denen ich dachte, dass ich sie mir merken und vielleicht einmal in einem Film inszenieren sollte
CW: Wann hast du damit begonnen, die Gespräche zwischen dir und deiner Familie aufzuzeichnen? Oder hast du das von Anfang an immer gemacht?
FF: Von Anfang an. Als ich 2012 zum Studieren nach Deutschland gekommen bin, habe ich eine Software installiert, die diese Gespräche automatisch aufnimmt. Und dann habe ich meine Eltern eingeweiht und sie gefragt, ob sie etwas dagegen hätten. Hatten sie nicht. Später haben wir vergessen, dass die Software uns beobachtet. Ab und zu war meine Festplatte voll und damit war mir klar, dass es viele Videos geben muss. Aber das lief für sich und ich hatte nicht vor, damit einen Film zu machen. Ich habe es eher als eine Art Tagebuch begriffen, in dem ich diese erste Zeit in Deutschland, die schon besonders war, festhalte. Ich hätte auch darüber schreiben können, aber ich bin nicht der beste Schriftsteller.
CW: Wie kam es dann zur Entscheidung, dass aus all dem Material ein Film entstehen soll? Und in welcher Frequenz hast du mit deiner Familie gesprochen?
FF: Am Anfang jeden Tag, aber es ist immer weniger geworden. Das war sehr spannend, weil ich mit meinen Eltern sogar mehr geredet habe als zu der Zeit, als ich noch im Iran war, aber in einer anderen Stadt wohnte. Wir haben wirklich einen Alltag miteinander geteilt, den wir zuvor so nicht hatten. Aber als ich die Aufnahmen zum ersten Mal gesichtet habe, dachte ich: Warum sollte man sie neu und in anderen Kontexten inszenieren, wenn sie bereits existieren?
Bestimmte Dinge in einer Eltern-Kind-Beziehung sind dann schon fest etabliert, die kann man nicht mehr ändern. Aber einiges hat sich bei uns dann doch als beweglich erwiesen
CW: Konntet ihr euch in diesen Gesprächen auf einer neuen Ebene begegnen oder noch einmal anders kennenlernen? Waren andere Themen möglich? Gerade in Bezug auf deine Mutter hatte ich das Gefühl von einer besonderen Offenheit.
FF: Von der Pandemie kennt man diesen Effekt ja mittlerweile, dass die Kommunikation über Video unangenehmer ist, aber gleichzeitig auch einfacher, weil man nicht physisch anwesend ist. Durch diesen Abstand können bestimmte Grenzen überschritten werden. Die Kommunikation ist real und abstrakt zugleich. Und das hat durchaus etwas geholfen, gerade im Verhältnis zu meiner Mutter. Ich habe die Skype-Gespräche angefangen, als ich 26 Jahre alt war. Bestimmte Dinge in einer Eltern-Kind-Beziehung sind dann schon fest etabliert, die kann man nicht mehr ändern. Aber einiges hat sich bei uns dann doch als beweglich erwiesen. Als ich das ganze Material gesichtet habe, ist noch mal viel für mich passiert. Ich hatte 80 Stunden vorliegen, und auf einmal entdeckt man Sachen, die, wenn man in der Situation ist, einfach nicht wahrgenommen hat. Man betrachtet auch die eigenen Eltern aus einem Abstand.
CW: Was war es, das dich während dieser audiovisuellen Rekapitulation überrascht hat?
FF: Vieles. Ich habe bemerkt, wie offen und flexibel meine Eltern versuchen, eine Kommunikationsebene mit mir zu finden und sich irgendwie anpassen. Und wie verschlossen ich darauf reagiere und trotzdem behaupte, dass ich derjenige bin, der progressiv ist. Aber eine andere wichtige Erkenntnis war für mich – und die hat auch mit dem zu tun, was letztes Jahr im Iran im Zuge der Frauenbewegung passiert ist –, wie stark die patriarchale Hierarchie doch auch in unserer kleinen Familie existiert. Obwohl mein Vater denkt, linker intellektueller zu sein. Ich halte mich in dieser Hinsicht für weiter als er, aber beim Sichten ist mir klargeworden, dass auch ich nicht viel besser mit meiner Mutter umgehe als er, wie ihre Rolle überhaupt ist und dass diese zu Hause ganz selbstverständlich so akzeptiert wird. Das habe ich als total problematisch empfunden. An dieser Stelle muss ich etwas ausholen. Ursprünglich war mein Plan, einen Film über meinen Vater zu machen, der als junger Mann in London studiert hat, Kommunist war und Osteuropa bereiste. Ich wollte, dass er diese Reise 40 Jahre später wiederholt, wir haben es sogar gemacht und gedreht! Beim Schnitt habe ich mich dann dagegen entschieden, unter anderem weil ich bemerkt habe, dass meine Mutter die viel spannendere Person in unserer Familie ist. Sie hat viel geopfert. Und sie war auch diejenige, die im Gefängnis saß.
Irgendwie mussten wir unsere Erfahrungen miteinander teilen, uns dadurch auch schützen
CW: Deine Mutter erhält im Filmverlauf auch immer mehr Raum. Es gibt viele Entscheidungen, die ich interessant finde, etwa diesen Zoom auf sie, als sie im Hintergrund am Fenster steht, oder euer Gespräch, bei dem sie liegt und von der Begegnung mit einer Frau aus dem Gefängnis spricht. Gab es einen Zeitpunkt, an dem du begonnen hast, mit Regieanweisungen zu arbeiten?
FF: Nein, oder es gab zumindest keine ausdrücklichen Regieanweisungen als die Gespräche geführt wurden. Erst während des Schnitts habe ich angefangen, bestimmte Sachen zu manipulieren und neue Gespräche und Momente daraus zu bauen.
CW: Wir sehen nicht nur deine Eltern, sondern auch deinen Cousin Rahi. Gab es noch andere Personen, die du aufgezeichnet hast?
FF: Das Problem mit der Software war, dass sie nicht zwischen Leuten unterscheiden konnte – sie hat einfach alles aufgenommen. Ich musste oft darüber nachdenken, was ich löschen soll, auch weil ja nicht alle wussten, dass sie aufgezeichnet worden waren. Meine Eltern und Rahi haben sich als Konstanten erwiesen. Rahi ist nicht nur mein Cousin, sondern auch mein bester Freund, wir sind gleichzeitig nach Europa gekommen, zusammen groß geworden. Wir sind fast wie Geschwister. Er ist nach Wien, ich nach Berlin. Und irgendwie mussten wir unsere Erfahrungen miteinander teilen, uns dadurch auch schützen. Wir mussten uns gegenseitig das Gefühl geben, dass wir gerade Ähnliches erleben in diesem neuen Leben. Dadurch waren mir die Momente mit ihm genauso wichtig wie die mit meinen Eltern.
Das Sichten der ganzen Skype-Gespräche hatte auch eine therapeutische Dimension
CW: Es gibt zwei wiederkehrende musikalische Motive, einerseits eine Melodie und dann diesen Gong, der mich an einen Boxkampf erinnert hat. Gerade die Szenen zwischen dir und Rahi haben auch etwas von einem Schlagabtausch.
FF: Ja, dieser Gong ist von Abbas Kiarostamis TEN inspiriert. Es gibt auch eine Szene, die damit beginnt, dass mein Vater wirklich in so einer Boxerpose vor der Kamera steht und sagt: „Willst du wirklich kämpfen? Dann komm her!“ Vor allem mit Rahi und mit meinem Vater hatte die Kommunikation die ganze Zeit so eine Art, ich möchte das Wort „Kampf“ nicht benutzen, aber ich weiß nicht, wie man es sonst sagen kann: Es war schon so eine Art kämpferischer Austausch.
CW: Vielleicht ein Kräftemessen?
FF: Ja, vielleicht.
CW: Man kann natürlich auch platt sagen, dass es eine sehr männliche Art der Kommunikation ist, wenn man über Gefühle nicht so leicht sprechen kann und stattdessen über diese Ebene Kontakt aufnimmt.
FF: Ja, leider. Wobei ich beim Schnitt auch erstaunt war, wie manchmal doch so direkt und mutig über Gefühle gesprochen wird. Aber das Sichten der ganzen Skype-Gespräche hatte auch eine therapeutische Dimension. Zu bemerken, dass viele dieser typisch heteronormativen Männlichkeitsvorstellungen schon sehr tief in mir saßen und noch immer sitzen.
Die Art, wie das Mädchen es macht, mit einem absoluten Glauben daran, ist besonders. Sie fühlt es so sehr, dass diese kitschigen Worte echt werden
BW: Es gibt also durchaus thematische Stränge im Film, einen feministischen zum Beispiel – oder die Entdeckung der Bedeutung deiner Rolle innerhalb der Familie. Außerdem verwendest du dieses eindringliche Videomaterial mit den singenden und Gedichten rezitierenden Mädchen, damit holst du auch die Vergangenheit – deine Kindheit – ins Bild. An welcher Stelle hast du entschieden, dass das mit reinkommt?
FF: Dieses Material von den Kindern ist aus meiner Kita. Ich war auch selbst im Kinderchor, der dieses Amerika-Lied singt. Und das Mädchen, das ein Gedicht vorträgt, war auch in unserer Kita. Mich hat an dem Material sehr interessiert, dass es eigentlich absolut kitschig ist. Aber die Art, wie das Mädchen es macht, mit einem absoluten Glauben daran, ist besonders. Sie fühlt es so sehr, dass diese kitschigen Worte echt werden. Beim ersten Ansehen hatte ich wirklich Gänsehaut.
CW: Neben den Mitschnitten und den Videos gibt es eine literarische Ebene, beispielsweise durch ein kleines Exzerpt aus einem Text des Dichters Amir Afrassiabi und darüber hinaus später auch Briefe. Sowieso hat der Film zwei Teile, wobei der zweite Teil einen stärkeren schriftlichen Fokus hat. Wie kam es dazu?
FF: Die ehrliche Antwort ist, dass ich den Film schon längst fertig hatte, aber nicht glücklich mit dem Ende war. Ich konnte keines finden. Und genau in der Zeit steckte ich in tiefem Liebeskummer. Eigentlich hätte ich WAS HAST DU GESTERN GETRÄUMT, PARAJANOV? am liebsten zur Seite gelegt und einen Film über die Liebe gemacht. Aber das konnte ich nicht, weil alle von mir erwarteten, dass ich mit diesem Film zu einem Ende komme. Und dann musste ich diese beiden Ebenen irgendwie kombinieren. Mir ist schließlich bewusst geworden, dass der erste Teil von der Liebe dieser Menschen zueinander handelt. Warum konnte ich das nicht ein bisschen größer machen und sich den zweiten Teil auf den ersten beziehen lassen? Denn letztlich ist diese Liebe das Einzige, was uns gerade, wo wir so weit entfernt voneinander sind und die Welt so schrecklich ist, zusammenhält – und auch überhaupt lebendig hält. Den Brief an meine Mutter wollte ich ohnehin schreiben beziehungsweise drehen. Das habe ich gemacht. Und dann ist er das Ende des Films geworden. Es hat sich letztlich sehr schnell gefunden, auch wenn sonst alles sehr lange gedauert hat.
Grain und Pixel finde ich geheimnisvoll und poetisch
BW: Haben deine Eltern eigentlich versucht, sich in die Regie einzumischen?
FF: Meine Mutter überhaupt nicht, sie vertraut mir. Mein Vater hat aber große Zweifel und sieht keinen Sinn in meinen Filmen. Das Gute am Skypen war, dass niemand wusste, dass gerade ein Film gedreht wird. Aber wo ich bestimmte Sachen dann noch nachdrehen oder aufnehmen musste, da hat er ein bisschen protestiert. Aber da war es dann schon zu spät.
CW: Bei den Filmen, die du davor gemacht hast, hast du mit sehr unterschiedlichen Kameras gearbeitet. Nun mit einer Webcam. Welchen Effekt hatte das auf dich?
FF: Als Kameramann habe ich immer versucht diese unmittelbar scharfe und digitale Begegnung mit der Realität zu sabotieren. Wenn man nicht direkt alles klar sehen kann und wenn es Raum für Geheimnisse in Bildern gibt, fühle ich mich als Zuschauer aktiver. Grain und Pixel finde ich geheimnisvoll und poetisch. In diesem Film war es für mich noch dazu eine Erleichterung, mich als Kameramann gewissermaßen wegzulassen und einfach zu schauen, wie kann man die Ästhetik so reduzieren, dass es diese Arbeit nicht mehr gibt. Wie kann man in Bildern, die bereits existieren, eine Poesie finden, die man nicht gestaltet hat? Eine Herausforderung war ebenfalls, dass ich den ganzen Film als Schuss-Gegenschuss erzählen musste, mit Bildern in sehr schlechter Qualität und einer Kamera, die völlig zufällig gelaufen ist. Dennoch habe ich sehr genossen, darin trotzdem eine Poesie zu suchen und zu finden. Das ist auch das, was ich sonst als Kameramann tue.
CW: Fasziniert haben mich auch die unterschiedlichen Hintergründe. Etwa die riesigen gemalten Köpfe an der Wand. Was hat es mit ihnen auf sich?
FF: Meine Eltern skypen in zwei Zimmern. Das erste gehört meinem Bruder, das zweite, mit den Köpfen, mir. Als Teenager wollte ich einen Kurzfilm machen, und das ist als Setting übriggeblieben.
CW: Als du eben die Poesie erwähntest, musste ich auch an die eleganten Zwischentitel denken. Dadurch gewinnt der Film etwas Verspieltes, wirkt aber auch sehr komponiert. Eine wunderbare Typographie auf rotem Grund.
FF: Die Typografie ist auch erst ganz am Ende dazugekommen und hat viel beigetragen. Ein guter Freund im Iran, Farhad Fozouni, hat sie für mich gemacht, der ein hervorragender Grafikdesigner ist. Er hat zwei Jahre in Berlin gewohnt und war der Erste, der gesagt hat, ich müsse etwas mit dem Skype-Material machen. Das ist sehr lange her. Wir haben darüber bei einem Bier gelacht. Als ich ihm dann den Film geschickt habe und fragte, ob er das Grafikdesign übernehmen wolle, war es schon spannend für ihn zu sehen, was aus dem einstigen Witz geworden ist. Was er mit seiner Arbeit ergänzt hat, halte ich für sehr wichtig. Er kennt mich gut und versteht sehr gut, was es bedeutet, in dieser Zwischenwelt zu sein zwischen zwei Kulturen und Sprachen, Klängen und Ästhetiken. Die roten Tafeln hat es bereits davor gegeben. Sie kommen lustigerweise aus einem der Kita-Videos. Als das Event vorbei war, war für zwei Minuten nur diese rote Tafel zu sehen. Das fand ich sehr schön und ich hatte das Gefühl, dass es gut passt.
CW: Welche Rolle spielen für dich die immer wieder aufblitzenden Träume, die es ja auch bis in den Titel geschafft haben.
FF: Ich schreibe meine Träume auf und habe schon mehrere volle Notizbücher. Der Traum etwa, der als Text im Film vorkommt, stammt aus einem dieser Bücher. Und mit nahen Menschen spreche ich immer über meine Träume. Der Filmtitel kam erst zum Schluss, er hat auch damit zu tun, dass mir der Film, als er fertig war, vorkam wie ein einziger langer Traum – wegen der Qualität der Bilder und der Musik, wegen der sich über einen Zeitraum von acht, neun Jahren verändernden Menschen.