„Everything about being sick is written in our bodies first and sometimes written in notebooks later“, schreibt Anne Boyer in „The Undying. A Meditation on Modern Illness“ (2019), einer persönlichen Untersuchung von Krankheit im 21. Jahrhundert. Ein Aspekt, auf den die US-amerikanische Lyrikerin und Essayistin in ihrem Buch mehrfach zurückkommt, ist der nach der Übersetzung körperlicher Vorgänge und Erfahrungen in Sprache. Boyer stellt fest, dass sich mit dem Eintritt in den Raum der Medizin ein fundamentaler Systemwechsel vollzieht. Schließlich werden Informationen, die aus dem Inneren kommen, in einem System neu klassifiziert, das von einem weit entfernten Außen auferlegt wurde. Aus der Sprache des Körpers wird ein medizinischer „Dialekt“.
Die Frage nach der Übersetzbarkeit körperlicher Erfahrungen stellt sich auch dem dokumentarischen Kino, das von physischen Veränderungen und Krankheit berichtet, aber auch von Leid und Schmerz, die durch Gewalt verursacht werden. Wie lässt sich etwas, das unmittelbar in den Körper geschrieben wurde, überhaupt darstellen, in eine filmische Sprache fassen? Welche Rolle spielen dabei das Wort, das Bild? Eine mögliche Antwort könnte sein, die Unmöglichkeit der Repräsentation sichtbar zu machen, oder anders gesagt: die Übersetzungsfehler, die bei der Übertragung von einem System ins andere passieren, produktiv werden zu lassen.
„Das, was den Körpern widerfährt – oder was ihnen gewaltsam angetan wurde – zeigt sich immer schon vermittelt, eingespeist in ein (diskursives) System.“
Filme wie NOTRE CORPS (Our Bodies) von Claire Simon, DE FACTO von Selma Doborac, EL JUICIO (The Trial) von Ulises de la Orden, ANQA von Helin Çelik und JAII KEH KHODA NIST (Where God Is Not) von Mehran Tamadon handeln davon, wie der Körper auf eine Institution, ein System, eine biopolitische Ordnung trifft: Bei Simon sind es die Klinik und das Gesundheitswesen, bei Doborac, de la Orden, Çelik und Tamadon das Gefängnis, das Lager, die Terrorinstrumente des Staates und die bestialisch entfesselten Körper von Wachleuten, Aufsehern, Folterern, Schlächtern. So unterschiedlich die geografischen, politischen und gesellschaftlichen Räume auch sind, über die (oder aus deren Mitte) die genannten Filme berichten, so unterschiedlich ihre Methoden: Gemeinsam ist ihnen eine mal mehr, mal weniger offen ausgehandelte Skepsis gegenüber der Darstellbarkeit von (nicht nur) körperlicher Erfahrung – und einer deutlichen Abgrenzung vom Einzelschicksal als Bezugspunkt.