Cristina Nord: Es ist die dritte Ausgabe von Fiktionsbescheinigung. Gibt es einen Schwerpunkt?
Jacqueline Nsiah: Am Anfang unserer Recherchen nicht, doch jetzt, wo das Programm steht, sieht man Schwerpunkte. Zum Beispiel die Filme, die in der DDR entstanden sind, Filme von Regisseur*innen of Color.
Cristina Nord: OYOYO von Chetna Vora und EIN HERBST IM LÄNDCHEN BÄRWALDE von Gautam Bora...
Jacqueline Nsiah: ... Genau. Chetna Vora und Gautam Bora kamen aus Indien und studierten Ende der 1970er-Jahre und Anfang der 1980er-Jahre in Babelsberg Film. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Filme der ersten, zweiten Generation türkischer Immigrant*innen, die nach Deutschland gekommen sind, der Gastarbeiter*innen.
Can Sungu: Wir haben uns auf das Archiv konzentriert, auf Filme aus den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren. Aus je unterschiedlichen Gründen wurden sie bisher nicht oft gezeigt.
„Man merkt, dass eine Filmemacherin of Color eine ganz andere Perspektive auf dieses Leben hat im Vergleich zu den offiziellen Erzählungen der DDR.“ (Can Sungu)
Cristina Nord: Die beiden Filme aus der DDR, Jacqueline, die du angesprochen hast, sind wirklich besonders. Was hat euch dazu gebracht, diese beiden auszuwählen?
Jacqueline Nsiah: Bei EIN HERBST IM LÄNDCHEN BÄRWALDE hat mich beeindruckt, dass ein indischer Student nach Deutschland kommt und sich wie ein Ethnograph verhält. Diese Umkehrung fand ich erfrischend und ihrer Zeit voraus.
Can Sungu: OYOYO halte ich für einen sehr starken Film, weil es Chetna Vora gelingt, einen Mikrokosmos vom Leben ausländischer Studierender in der DDR zu entwerfen. Der Film spielt ausschließlich in Innenräumen, in einem Wohnheim. Deutsch dient als Lingua franca. Die Leute sind ständig in Interaktion, Tanz und Musik spielen eine große Rolle. Man merkt, dass eine Filmemacherin of Color eine ganz andere Perspektive auf dieses Leben hat im Vergleich mit den offiziellen Erzählungen der DDR.
Cristina Nord: Der Aspekt des Festes ist interessant. Einige der Filme im diesjährigen Programm stellen das Feiern in den Vordergrund, nicht wahr?
Jacqueline Nsiah: Als Feier des Lebens auf jeden Fall.
Can Sungu: Ich denke an AUFENTHALTSERLAUBNIS von Antonio Skármeta. Der hat eine Ähnlichkeit mit OYOYO. Aber eben nicht aus der DDR-Perspektive, weil er in Westberlin spielt. Und nicht in Innenräumen, sondern draußen, im Tiergarten, vor dem Schloss Bellevue. Dort kommen ganz unterschiedliche Communities zusammen – alle mit Exilerfahrung. Ich glaube, OYOYO und AUFENTHALTSERLAUBNIS sprechen zueinander.