Das argentinische Regie-Duo Alejo Moguillansky und Luciana Acuña blendet in seinem neuen Film LA EDAD MEDIA wiederholt Zeitangaben ein: „einige Wochen später“, „einige Zeit danach“, „am nächsten Tag“, „in jenen Tagen“. Derart oft erscheinen diese mal präzisen, mal ungenauen Angaben, dass sie einem zunächst beinah bedeutungslos erscheinen. Aber der Film erzählt von einer Familie während des Lockdowns, und so vermitteln sie einen seltsam konkreten Eindruck von unserem Zeitempfinden während der Pandemie. Wenn wir eines Tages mit ein wenig Abstand auf die Wochen des Lockdowns in den Jahren 2020/2021 zurückblicken, wird uns vermutlich vor allem die Tatsache seltsam erscheinen, dass wir uns in jenen Tagen daran gewöhnt haben, wie die Zeit vergeht, unaufhaltsam, ohne auf etwas hinzuführen. Sie vergeht und scheint dennoch stillzustehen.
Die Filme aus den Tagen des Lockdowns funktionieren in gewisser Weise wie Uhren oder Kalender. Manche Filme erinnern uns daran, wo wir zu einem bestimmten Zeitpunkt gewesen sind, etwa als uns Anfang 2020 das globale Ausmaß der Krise bewusst wurde (viele von uns waren auf der Berlinale), oder als wir begreifen mussten, dass die Krise, entgegen anderer Vorhersagen, noch eine ganze Weile andauern würde (viele von uns saßen damals auf dem heimischen Sofa und erlebten die virtuelle Berlinale 2021).
„Wenn mein Beruf mich als Person ausmacht, ich meinen Beruf aber nicht mehr ausübe, wer bin ich dann?“
Manchen Filmen ging es in erster Linie darum, Zeit festzuhalten. Aber für viele Filmemacher*innen, die während des Lockdowns drehten, ging es vor allem darum, in irgendeiner Form weiterzumachen, trotz der Isolation und trotz der Tatsache, dass vertraute Ressourcen plötzlich nicht mehr verfügbar waren. Es sollten weiter Filme entstehen, und sei es auch nur, um zu beweisen, dass es noch möglich war. In LA EDAD MEDIA fragt sich Luciana Acuña (die sich mehr oder minder selbst spielende Co-Regisseurin des Films): „Wenn mein Beruf mich als Person ausmacht, ich meinen Beruf aber nicht mehr ausübe, wer bin ich dann?“ Für viele Filmemacher*innen bestand die Herausforderung in genau diesem „Ausüben“ gegen alle möglichen Widerstände – und darin, ebendiese Widerstände zur Voraussetzung und zum Thema ihrer Arbeit zu machen. So entstanden während des Lockdowns sehr persönliche Zeugnisse über die Zeit in häuslicher Isolation, INSIDE zum Beispiel, eine Fernsehproduktion des Komikers Bo Burnham oder der Kurzfilm IN MY ROOM von Mati Diop, den die Regisseurin in ihrer Pariser Hochhauswohnung gedreht hat. Zoom-Calls, die binnen kürzester Zeit zum allgegenwärtigen Kommunikationsmittel wurden, befreiten die Menschen, wenngleich im Käfig des Internets, aus ihrer Isolation und boten sich als formaler Rahmen für ein neues Cinema Povera an – ob nun zu Genrezwecken (wie in HOST, einem Horrorfilm über eine Online-Séance) oder zur Neuerfindung des Theaters in Ermangelung eines Live-Publikums (wie in END MEETING FOR ALL von der britischen Künstlergruppe Forced Entertainment).