Wie können wir das Nichtmenschliche wieder ins Zentrum rücken? Immer mehr Filmemacher*innen stellen sich diese Frage, in Reaktion auf die vielfältigen ökologischen Krisen der Gegenwart und in Übereinstimmung mit Entwicklungen in der zeitgenössischen Philosophie und Theorie. Es ist auch eine der zentralen Fragen für meine eigenen jüngeren Filme (darunter ASBESTOS, Ko-Regie mit Graeme Arnfield, Berlinale Forum Expanded 2017) und meine Forschung. 1Siehe Sasha Litvintseva, „Geological Filmmaking“, Open Humanities Press, i.E.; Sasha Litvintseva, „Geological Filmmaking: Seeing Geology Through Film and Film Through Geology“, in: Transformations, vol. 32, 2018.
Es ist fast schon eine Banalität, wenn man beklagt, dass die Geschichte des fiktionalen und dokumentarischen (Mainstream)-Films bislang auf menschliche Protagonist*innen, Geschichten und Belange fokussiert war. Es wurden Filme über Menschen gemacht, mittels visueller Codes, die menschlichen Betrachter*innen längst in Fleisch und Blut übergegangen sind. Und zwar mit Technologien, die man mit dem ausdrücklichen Ziel der Nachahmung des menschlichen Augensinns entwickelt hat. Wie soll es also möglich sein, das Nichtmenschliche kinematisch wieder ins Zentrum zu bringen? Filmemacher*innen können es über die Inhalte ihrer Werke versuchen: Auf menschliche Protagonist*innen verzichten und nichtmenschliche Gegenstände direkt fokussieren. Sie können es auf dem Weg der Form explorieren: Experimente mit dem Gebrauch der Kamera, der Kadrierung, der Bewegung, Experimente des Schnitts, von Klang und Dauer, die darauf hinauslaufen, die menschliche Subjektivität herauszufordern und zu destabilisieren. Oder sie könnten einen Umgang mit spezifischen Typen der Bildproduktionstechnologien entwickeln, der die Autonomie des Apparats, der selbst ein nichtmenschlicher Akteur ist, spürbar macht.
Die nichtmenschliche KI-Perspektive übernehmen
Ja, wenn eine Filmemacherin darauf zielt, eine nichtmenschliche Perspektive zu wählen und nichtmenschliche Akteure und Aktivitäten in den Fokus zu rücken, dann kann sie alle der genannten Strategien einsetzen: Sie kann als direkte Reaktion auf einen nichtmenschlichen Gegenstand einen technologie-basierten Prozess entwickeln und die Form aus dem Prozess heraus entstehen lassen. Viera Čákanyovás FREM (Berlinale Forum 2020) ist ein herausragendes Beispiel für eine solche Herangehensweise. Die Regisseurin bezeichnet ihr Werk als nicht-anthropozentrischen Film, buchstäblich ohne ein menschliches Wesen im Zentrum. Der Protagonist ist vielmehr als künstliche Intelligenz entworfen, deren Subjektivität sich nicht narrativ, sondern formal und technologisch ausdrückt. Čákanyová versucht, die nichtmenschliche KI-Perspektive zu übernehmen, indem sie die Subjektivität und Autonomie des nichtmenschlichen Apparates betont. Der Film ist mit Drohnen in der menschenleeren und beeindruckenden Landschaft der Antarktis gedreht und schafft es so, perspektivische Positionen und Bewegung zu erzeugen, die ganz losgelöst sind von jeder menschlichen Beobachtungsposition. Die Abwesenheit jeden sichtbaren menschlichen Einflusses auf die Landschaft verweist auf eine tiefe Vergangenheit oder Zukunft; das Wissen der Betrachterin um die ökologischen Veränderungen, die der Antarktis aufgrund des schmelzendes Eises bevorstehen, bedeutet zugleich, dass der Film auch als Dokument einer Welt am Abgrund gesehen werden kann. Im Verlauf des Films schieben sich die auf der Leinwand gezeigte nichtmenschliche Vision und unsere menschliche Subjektivität übereinander und ermöglichen uns auf diese Weise vielleicht den Blick in eine alternative, nicht-anthropozentrische Welt und geben uns neuartige Instrumente zur Betrachtung unseres Orts in dieser Welt.
Kein Bericht über aktuelle Arbeiten dieser Art kommt darum herum, diese in Bezug zu Michael Snows LA RÉGION CENTRALE (1971) zu setzen. Dieser inzwischen kanonische Film wurde in der Felsenlandschaft von Nord-Québec mithilfe einer extra dafür entworfenen Maschine gedreht, die die Kamera um 360 Grad entlang jeder Achse kippen, schwenken und drehen konnte, ohne Einfluss eines menschlichen Bildgestalters. Im Ergebnis führt das dazu, so Irmgard Emmelhainz' These, dass „LA RÉGION das Subjekt aus seinen menschlichen Koordinaten entlässt“ und „die Vertreibung des menschlichen Akteurs aus dem subjektiven Zentrum der Operationen“ 2Irmgard Emmelhainz: „Images Do Not Show: the Desire to See in the Anthropocene”, in: Heather Davies, Etienne Turpin (Hg.): Art in the Anthropocene: Encounters Among Aesthetics, Politics, Environments and Epistemologies, London: Open Humanities Press, 2015, S. 133-4. bewirkt. Der Blick der Kamera ist ganz entschieden nicht menschlich. Snow selbst hat geschrieben, dass die Kamera „mehr und mehr so zu sehen beginnt, wie ein Planet sieht“, und dass sie die Subjektivität des Blicks vom Betrachter auf den Boden der Landschaft selbst transportiert. 3Michael Snow: „The Collected Writings of Michael Snow“, Waterloo, Ontario: Wilfried Laurier University Press, 1994, S. 59. Er habe, so Snow, „einen Film machen wollen, in dem das, was das Kamera-Auge im Raum tut, dem, was es sieht, ganz und gar angemessen ist; sie soll ihm von gleich zu gleich begegnen.“ 4Ebd., S. 57. Der erste Teil des Satzes – „dem, was es sieht, ganz und gar angemessen“ – ist ohne große Mühe nachzuvollziehen: Es geht um die Entwicklung einer formalen Strategie der direkten Reaktion auf den Gegenstand. Eine Kamerabewegung von gleich zu gleich mit der Umgebung, die sie dokumentiert, ist jedoch eine deutlich ungewöhnlichere Vorstellung. Snows Lösung besteht darin, die immer schon vorhandene Affinität zwischen dem nichtmenschlichen Apparat und dem nichtmenschlichen Gegenstand radikal konsequent umzusetzen.