Am Ende des Winters stiftete die Nachricht Unbehagen, der Regisseur Uwe Boll habe einen Film über den Terroranschlag in Hanau abgedreht. Keinen Dokumentarfilm, in dem er die Angehörigen der Ermordeten zu Wort hätte kommen lassen, sondern einen Spielfilm, der wie vorangegangene Spielfilme Bolls auf Drastik und Effekt getrimmt ist. Je drastischer, umso aufklärerischer, lautet die Logik. Der Oberbürgermeister der Stadt Hanau und die Hinterbliebenen der Opfer waren entsetzt: „Wir appellieren noch einmal alle gemeinsam an Sie, den dringenden Wunsch der Angehörigen anzuerkennen und auf die sensationslüsterne filmische Aufarbeitung des Attentats zu verzichten.“
Bolls Weigerung, auf die Angehörigen der Mordopfer von Hanau zu hören, fällt in eine Zeit, in der die Zusammenhänge zwischen Kino im Besonderen und Kultur im Allgemeinen, Gesellschaft und Rassismus Gegenstand leidenschaftlicher Diskussionen sind. In den Feuilletons und in den sozialen Medien wird über Übersetzungsaufträge, rassistische Passagen im Oeuvre von Immanuel Kant und über die Zusammenstellung einer Buchpreis-Shortlist debattiert. Keine Woche vergeht, ohne dass Grundsatztexte, die für oder gegen Identitätspolitik Partei ergreifen, erscheinen.
Der Tonfall ist rau, die Tendenz, Kritik durch einen Angriff ad personam zu parieren, statt innezuhalten und sich auf das Vorgebrachte einzulassen, verbreitet, die Pandemie raubt vielen die Gelassenheit, und Strohmänner machen es sich in den Debatten gemütlich. Dass diese vor dem Kino nicht haltmachen, zeigt sich bei weitem nicht nur an Bolls Hanau-Film. Wenn ich ihn herausgreife, so hat das vor allem damit zu tun, dass er auf exemplarische Weise einen Schlüsselbegriff der Debatte illustriert. Kulturelle Aneignung meint genau dies: sich einer Geschichte zu bemächtigen, ohne die Einwände, Argumente und Affekte derer, von denen diese Geschichte handelt, wahrzunehmen.