Die Tragödie besteht für Einwander*innen darin, dass die Zeit nie auf ihrer Seite ist – entweder sie läuft ab, was Flucht erforderlich macht; oder sie vergeht zu langsam, dann schwindet die Aussicht auf Zukunft immer mehr am Horizont. Auch ein Kino, das den Bedingungen für Vertreibung nachspürt, bewegt sich entlang dieser beiden Achsen. Manche Filme ahmen den düsteren Tonfall der Nachrichten nach, mit ihren Bildern entschlossener Migrant*innen und deren Rennen gegen die Uhr – wie sie sich an Bord von Flugzeugen quetschen, bewegte See auf unsicheren Booten überqueren oder sich durch gnadenlose Wüsten schleppen. Andere Filme hingegen handeln von der Zeit nach solchen Odysseen, wenn sich dieselben fieberhaft Reisenden oft in einer dumpfen Vorhölle wiederfinden, in der sie auf Papiere warten, auf Jobs, auf Nachrichten von geliebten Menschen oder darauf , dass sich ein Gefühl von Heimisch-Werden einstellt. Diese zweite Kategorie ist keineswegs neu; Filme von Charlie Chaplins THE IMMIGRANT (1917) über Med Hondos SOLEIL O (1967) bis hin zu Christian Petzolds TRANSIT (2018) bieten unterschiedliche Variationen der Figur des neu angekommenen Einwanderers und seines Gefühls von der Aufhebung der Zeit. Doch hat die besondere Ironie der Zeitlichkeit der modernen Einwanderung – die geprägt ist von der Koexistenz schneller Kommunikations- und Zirkulationstechnologien mit Systemen des Aufschubs, der Internierung und der Bedürftigkeit – eine neue Welle ins Rollen gebracht von mutigen und einfühlsamen Experimenten mit der filmischen Form.
„Man könnte solche Filme als Beispiele ansehen für ein 'ausgedehntes Kino', in dem die Zeit mit keiner der beiden Welten mehr synchron läuft, aber stattdessen eine dritte erzeugt.“
Das Berlinale Forum hat in jüngster Vergangenheit viele Arbeiten vorgeführt, die eine erfinderische Zeitlichkeit eignet: Phillip Scheffners EUROPE (2022) wandte sich der Dokufiktion zu, um die prekäre Gegenwart einer Immigrantin als eine Form der Unsichtbarkeit darzustellen. Susana Nobres JACK'S RIDE (2021) verwendete denselben hybriden Ansatz, um zu untersuchen, wie Erinnerungen an andere Ort und andere Zeiten das Hier und Jetzt strukturieren können. In CETTE MAISON (2022) inszenierte Miryam Charles eine Art spiritistische Sitzung mit mehreren Generationen ihrer immigrierten Familie, um nachzusinnen über Zukünfte, die sich nie ereignen konnten. Im diesjährigen Forum-Programm forschen drei Filme nach Möglichkeiten, wie die Erfahrung einander ausschließender Zeitlichkeiten, die eingewanderte Menschen typischerweise durchleben, neue Räume aufmacht – eine Heterotopie, wenn man so will. Diese Erfahrung wirkt zwar entfremdend, hält aber auch radikales Potenzial bereit für eine Neugestaltung unserer eingehegten Wirklichkeiten. Der Medienwissenschaftler Hamid Naficy beschreibt die Werke von exilierten oder diasporischen Filmemachern als „Kino des Akzents“ bzw. als ein Kino, das sich gleichzeitig in zwei Welten aufhält. Man könnte solche Filme als Beispiele ansehen für ein „ausgedehntes Kino“, in dem die Zeit mit keiner der beiden Welten mehr synchron läuft, aber stattdessen eine dritte erzeugt.