Korea gilt seit einigen Jahren
als eines der interessantesten Filmländer Asiens. Vor allem die Lockerung
der Zensurbestimmungen hat dazu geführt, daß die weitreichenden
Umwälzungen im Land zu Film-Themen werden konnten. Ähnlich wie
in den 60er Jahren in Europa mischen sich viele koreanische Filmschaffende
in die aktuellen Debatten und beweisen mit ihren Arbeiten, daß sich
auch in den späten 90er Jahren eine lebendige Kommunikation zwischen
Kino und Wirklichkeit vorteilhaft auf die Filmproduktion auswirken kann.
TIMELESS, BOTTOMLESS, BAD MOVIE von
Jang Sun-woo zeigt das Leben von jungen Punks und Obdachlosen in Seoul.
Jang montiert dokumentarische Szenen mit fiktionalen Einschüben aus
dem abenteuerlichen Alltag von Jugendlichen, die die Drehbuchvorlagen geschrieben
haben und sich selber spielen. Der Film ermöglicht den Blick in die
Abgründe einer Gesellschaft, in der sich Jugendliche rasant und illusionslos
von ihren Eltern ins 21. Megalopolen-Jahrhundert verabschiedet haben.
HABITUAL SADNESS ist ein persönlicher
Dokumentarfilm der 31jährigen Byun Young-Joo, der auf Initiative ihrer
Hauptdarstellerinnen entstanden ist. Über die ehemaligen Zwangsprostituierten
hatte Byun mit THE MURMURING (Sondervorführung im Rahmen des
Forums 1998) zuvor einen Film gemacht, der maßgeblich zur gesellschaftlichen
Rehabilitierung der Frauen beigetragen hat. HABITUAL SADNESS zeigt,
wie aus Opfern kämpferische alte Damen geworden sind, die heute in
einer fast utopischen Frauengemeinschaft zusammen demonstrieren, Hühner
füttern und sich einen feministischen Familienersatz geschaffen haben.
Weitere Spielfilme aus dem Korea-Programm
des Forums sind BARRICADE, das Debüt von Yoon In-Ho, in dem
Gastarbeiter aus Bangladesh in einer kleinen Wäscherei mit Problemen
zu kämpfen haben, die von globaler Bedeutung sind, und MOTEL CACTUS,
ebenfalls ein Erstlingsfilm von Park Ki-Young. Hier spielen sich in den
Zimmern eines Hotels traurig-komische Beziehungsgeschichten ab, die durch
die Kamera von Christopher Doyle in ein expressionistisches Licht getaucht
werden. THE CONTACT von Jang Yoon-Hyun erzählt eine moderne
Liebesgeschichte auf der Basis von e-Mail-Briefen.
Mit vier Filmen wird dem Vater des koreanischen
Independent-Kinos, Kim Ki-Young, eine Mini-Retrospektive gewidmet. Die
Ehedramen des 78jährigen sind von einer visuellen Radikalität
und so voll von verblüffenden Wendungen, daß beste Aussichten
bestehen, aus den im Westen weitgehend unbekannten Filmen Kult-Ereignisse
werden zu lassen.
Im Video-Programm zeigt das Internationale
Forum mit ON-LINE: AN INSIDE VIEW OF KOREAN INDEPENDENT FILM eine
beeindruckende Selbstdarstellung des oppositionellen Filmschaffens. In
RED HUNT von Cho Sung-Bong berichten Zeitzeugen über das 50
Jahre zurückliegende Massaker von Cheju-Island. Die filmische Aufarbeitung
des historischen Ereignisses, mit dem die Teilung des Landes begann, löste
in Korea eine heftige nationale Debatte aus.
Das koreanische Filmprogramm des Forums
wird unterstützt von der Korean Motion Picture Promotion Corporation
und dem Koreanischen Filmarchiv.
Als Ergänzung des Korea-Programms
zeigt das Forum den australischen Beitrag PYONGYANG DIARIES von
Solrun Hoaas.
15. Januar 1998 |