Die Zahl 60 im Titel unseres neuen, mehrmonatigen Filmgeschichtsprogramms ist wahrscheinlich die einzige Parallele zu den vielen Best-of-Reihen, Listen und kanonischen Aufstellungen, die die institutionelle und institutionalisierte Filmgeschichtsschreibung nach wie vor prägen. Im vorliegenden Programm geht es jedoch weniger um den Umfang (die 60 bezieht sich auf das 60. Jubiläum des Arsenal), sondern vor allem um das Wort „mehr“: mehr und nicht zuletzt andere Perspektiven, um genau zu sein.
Filmhistorische Anthologie-Programme finden sich im Arsenal seit den 70er Jahren. In den verschiedenen Formaten der letzten Jahrzehnte zeigte sich ein gewisser experimenteller, zunehmend spielerischer Charakter, zuletzt in der Magical History Tour. Wir freuen uns sehr, eben diese zentrale Reihe von September bis Dezember in die Hände von acht Kuratorinnen, Filmemacher*innen, Künstler*innen, Studierenden und Vertreter*innen dreier Kollektive legen zu dürfen. Eingeladen, ein multi-perspektivisches Filmgeschichtsprogramm zu kuratieren, unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen und Schattenbereiche der Filmgeschichte zu akzentuieren, haben wir Madhusree Dutta, Victoria Leshchenko, Clarissa Thieme, Lisabona Rahman, Can Sungu, Vaginal Davis, Gaby Babić, Kimberly Esposito sowie Vertreter*innen von drei Institutionen, mit denen wir seit mehreren Jahren im Rahmen unserer transnationalen Archivpraxis zusammenarbeiten: Cimatheque – Alternative Film Centre/Tamer El-Said (Ägypten), Mediateca Onshore/Filipa César (Guinea-Bissau) und die Lagos Film Society/Didi Cheeka (Nigeria).
In der ersten Jahreshälfte ist ausgehend von einer knapp 200 Filme umfassenden Longlist eine deutlich kondensierte Shortlist entstanden: ein überaus inspirierendes, überraschendes, entdeckungs- und eben perspektiv-reiches Programm, das die Kurator*innen in den nächsten Monaten jeweils persönlich vorstellen werden.
Im Sinne einer ersten Orientierung sind die Filme der nächsten Monate einzelnen Keywords zugeordnet. Im September sind es: Turning Times(„Einmal haben wir gemeinsam gespürt, wie die Erde bebte.“ (Christa Wolf)), Think:Film (Thinking with and through the moving image / Mit und durch bewegte Bilder denken), Decentering / City (Off-center Stimmen, die dominante Narrative der Urbanisierung und der Veränderungen menschlicher Beziehungen in der Stadt in Frage stellen), Trauma – Memory (Traumatische Erlebnisse und Erinnerung)sowie Work (Schnittpunkte von Klasse, Arbeit, sozialer Gerechtigkeit).
Das Programm ist Teil des Projekts „Arsenal 60 ff.“ und wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds.