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Espectáculo a diario – 
Mexikanisches Populärkino 1940–1970

Filmstill aus TROTACALLES: Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Wirtshaustisch.

Espectáculo a diario – Mexikanisches Populärkino 1940–1970, die Retrospektive des Locarno Film Festivals 2023, war für viele eine Sensation: Das Publikum staunte über (gender-)politisch subversive Musicals (LA CORTE DE FARAÓN), moderne Melodramen (MÁS FUERTE QUE EL AMOR), surrealistische Komödien (EL CASO DE LA MUJER ASESINADITA), verstörende Western (LOS HERMANOS DEL HIERRO), knallbunt-fidele Superheldinnenextravaganzen (LA MUJER MURCIÉLAGO) und wunderte sich von Tag zu Tag mehr darüber, warum man von all diesen abenteuerlustigen, formal wie inhaltlich bahnbrechenden Herrlichkeiten noch nie etwas gehört hatte. In der Tat: Die Hochzeit des mexikanischen Kinos von den 40er bis in die 60er Jahre ist im internationalen Kontext mittlerweile eine Leerstelle. Man ist sich seiner Größe wie Bedeutung bewusst, weiß aber sehr wenig darüber, auch weil selbst der Minimalkanon von großen Namen und venerablen Glanzstücken im cinephilen Alltag zwischen Archivkinos und Festivals kaum gepflegt wird. Ganz und gar vergessen ist, wie selbstverständlich mexikanische Filme in jenen Dekaden zum internationalen Verleihalltag gehörten: Rumberas gehörten in den 50er Jahren z.B. zu den am weitesten verbreiteten Formen der Kino-Erotica; dito, wie kosmopolitisch das Land in jenen Dekaden war, und wie weltoffen seine Filmproduktion – manche Regisseure machten hier mal länger mal kürzer halt, auf ihrem Karriereweg, wie etwa der argentinische Stilist Tulio Demicheli oder der chilenische Wander-Auteur Tito Davison, während andere wie der Naziterror-Flüchtling Alfredo Bolongaro-Crevenna (MUCHACHAS DE UNIFORME) oder der in Kuba geborene und in Hollywood ausgebildete Genrevirtuose René Cardona Mexiko zu ihrer Heimat machten.

So stand denn am Beginn der Locarno-Retro die Frage: Warum sich dem mexikanischen Kino seiner klassischen Blütezeit nicht von jener Art Filme her nähern, welche damals die Massen daheim wie in der Welt sahen? Und sich so noch einmal neu mit der Frage beschäftigen: Was war das eigentlich, Massenkultur, was ermöglichte sie? Die Antwort ist: eine Kunst der inneren Unruhe, der konstanten Suche nach neuen Formen und Geschichten, am besten ganz nah am Zeitgeist. So wird in LLÉVAME EN TUS BRAZOS mit Rumbera-Hüftschwung wider die politischen Zustände auf dem Land agitiert; in dem von Zensurproblemen gebeutelten Pachuco-Noir EL SUAVECITO das von tiefen Neurosen gezeichnete Verhältnis Mexikos zu seinem nördlichen Nachbarn untersucht; oder in dem kurios Varda’esquen DÍAS DE OTOÑO die Modernisierung des Alltags in Mexiko-Stadt durch das Prisma einer in ihrem Verhalten nicht zu durchschauenden Frau greifbar gemacht.

Das Arsenal präsentiert eine von Olaf Möller, dem Programmverantwortlichen der Retrospektive, zusammengestellte Auswahl von 13 Filmen – jeder davon erweist sich hoffentlich als eine Tür, die in eine jeweils anders erstaunliche Weite hinausführt und zu Entdeckungsreisen einlädt.

Dank an das Locarno Film Festival sowie an Olaf Möller und Roberto Turigliatto, die Kuratoren der Retrospektive „Espectáculo a diario – Las distintas temporadas del cine popular mexicano“.

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