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Jugend, Aufbruch und Widerstand im sowjetischen Kino – Tauwetter und Perestroika

Filmstill aus MALENKAYA VERA (Kleine Vera)

In den sieben Jahrzehnten der totalitären Sowjetherrschaft stehen die Tauwetterzeit (ca. 1956–1968) und die Perestroika (1986–1991) als historische Zäsuren da, die von Liberalisierungsversuchen gekennzeichnet waren. Nicht zufällig traten gerade in diesen Phasen junge Filmemacher*innen in Erscheinung, die die neuen Freiheiten unmittelbar und mutig aufgriffen, um ihrer Generation eine Stimme zu geben. Das Filmprogramm „Jugend, Aufbruch und Widerstand im sowjetischen Kino – Tauwetter und Perestroika“ bringt 23 ausgewählte Filme aus beiden historischen Perioden, die aus der Perspektive der Jugend und von überwiegend jungen Filmkünstler*innen gedreht wurden, in einen Dialog.

Dank der nachsichtigeren Zensur während dieser beiden Zeitspannen entstand kurzzeitig ein Freiraum für ästhetische Experimente, individualistische Perspektiven und kritische Sicht­weisen. Das Tauwetterkino äußerte Kritik an der russlanddominierten und -orientierten zen­tralistischen Politik der Sowjetunion (etwa in ­GIORGOBISTVE / Weinlese) sowie an dem die Interessen der Einzelnen missachtenden innenpolitischen System (DOBRO POZHALOVAT, ILI POSTORONNIM VKHOD VOSPRESHCHYON / Herzlich willkommen oder Unbefugten ist der Eintritt verboten). Gleichzeitig betrachteten einige Tauwetterfilme die Traumata des 2. Weltkriegs (MNE DVADTSAT LET / Ich bin zwanzig Jahre alt, BAREV, ES EM / Hallo, ich bin’s) und den Generationenkonflikt aus der Perspektive einzelner Personen und ihrer Schicksale. TINI ZABUTYKH PREDKIV (Schatten vergessener Ahnen) und CHELOVEK IDYOT ZA SOLNTSEM (Der Sonne nach)revolutionierten mit jugendlich selbstbestimmtem Mut ästhetische und narrative Muster des Spielfilms.

Während die Filme der Tauwetterzeit noch vom Glauben an die persönliche Entfaltung und an eine von Zwängen und sozialer Ungleichheit befreite kommunistische Zukunft geprägt waren, sind die Arbeiten der Perestroika-Zeit ein Offenbarungseid am Ende des sowjetischen Experiments. Gegen Ende der 80er Jahre rebellierte die junge Generation gegen die Welt der Erwachsenen, die die eigenen Ideale verraten und sich mit Doppelstandards arrangiert hatte (MALENKAYA VERA / Kleine Vera, KUKOLKA / Die Puppe, VAI VIEGLI BŪT JAUNAM? / Ist es leicht, jung zu sein?). Die Regisseur*innen übten schonungslose Gesellschaftskritik (PACANY / Halbwüchsige, NA­ERATA OMETI / Lach doch mal) und experimentierten mit filmischen Genres und Formen (ASSA, IGLA / Die Nadel). Als Zufluchtsort und Schule des eigenständigen Handelns diente immer wieder die musikalische Subkultur (ROK / Rock, IJA-HHA).

Das Programm betrachtet diese Filme im historischen Kontext. Gleichzeitig stellt es vor dem Hintergrund der heutigen hegemonialen Ansprüche und des Angriffskriegs Russlands, des Nachfolgestaates der UdSSR, auf die Ukraine die Frage, welche Kraft privater Ungehorsam und kultureller Underground im Zeichen totalitärer Machtstrukturen haben kann. Nicht zuletzt unterstreicht das Filmprogramm den umfangreichen kulturellen Beitrag der Teilrepubliken innerhalb des sowjetischen Kinos und verschafft den eigenständigen Kinematografien der nunmehr unabhängigen nationalen Staaten mehr Sichtbarkeit. Gezeigt werden Filme von Regis­seur*innen aus Armenien, Estland, Georgien, Kasachstan, Lettland, Litauen, Moldau, Russland, aus der Ukraine und Usbekistan. (Nadežda Fedorova & Gary Vanisian)

Das Programm wurde kuratiert von Nadežda Fedorova und Gary Vanisian.
Gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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