Julien Duvivier (1896–1967) ist eine Schlüsselfigur des französischen Kinos des 20. Jahrhunderts. Ein Auteur, der nie einer seiner wollte, denn Filmemachen war für ihn vor allem ein Handwerk – anspruchsvoll, aber erlernbar. Duviviers Sinn für Präzision wurde von Kolleg*innen und Zeitgenoss*innen immer wieder gerühmt, ebenso seine Fähigkeit, etablierte Stars wie Danielle Darrieux oder Jean Gabin, aber auch Schauspieler*innen wie Brigitte Auber oder Jean-Pierre Léaud, die erst am Anfang ihrer Karriere standen, zu herausragenden Darstellungen zu führen.
Während der 30er Jahre drehte Duvivier einige seiner erfolgreichsten und schönsten Filme – darunter LA BELLE ÉQUIPE (Uns lacht das Glück/Zünftige Bande, 1936), PÉPÉ LE MOKO (Im Dunkel von Algier, 1937) und LA FIN DU JOUR (Lebensabend, 1939) – und sowohl in Fachkreisen wie im allgemeinen kulturellen Diskurs war es seinerzeit unbestritten, dass ihm ein Platz im Olymp des französischen Kinos zusteht. Was Duvivier im Kinomilieu bleibenden Respekt und Hochachtung verschaffte, hatte jedoch umgekehrt zur Folge, dass Publikum und Kritik ihn im Verlauf seiner Karriere nicht mehr einzuordnen vermochten. Und auch nachrückenden Generationen von Filmemacher*innen galt er eher als Vertreter eines als konventionell gegeißelten Traditionskinos. Dabei wirkt sein Werk fast wie eine Begleitmusik der großen kultur- und alltagsgeschichtlichen Verwerfungen seiner Zeit: vielgestaltig in seiner Themenwahl, unvorhersehbar in den filmisch-stilistischen Herangehensweisen und beeindruckend differenziert in der Ausführung seiner Positionen.
Aus dem Geist des Poetischen Realismus entwickelte Duvivier eine von Film zu Film komplexer werdende Sicht der Welt, in die immer wieder jähe Gewalt einzubrechen drohte und in der dennoch stets ein humanistischer Funken Hoffnung glühte. Die Abgründe der menschlichen Natur haben es ihm mehr angetan als ihr Liebreiz. Der einzelne Mensch mag einen guten Kern haben, in der Masse wird er fast immer bösartig. Oft bedient sich Duvivier christlicher Symbolik, aber auch der Glaube bietet kein Seelenheil; eher wird es durch Solidarität und Freundschaft ermöglicht, die sich aber auch unversehens als Illusion erweisen können. An den Charakteren seiner Filme vollziehen sich die Unwägbarkeiten des Schicksals, ohne dass sie darüber einer deprimierenden Verbitterung anheimfallen.
Mit einer Auswahl von 19 aus einem Gesamtwerk von fast 70 Filmen widmet das Arsenal dem „Meister eines poetischen Pessimismus“ eine von Ralph Eue und Frederik Lang kuratierte Retrospektive – die erste in Deutschland. Begleitend erscheint eine Publikation bei SYNEMA (Wien). (Ralph Eue, Frederik Lang)
Die Retrospektive wird ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds. Dank für die Leihgabe von drei 35 mm-Kopien an das Institut Français Paris.