Im frühen Kino war er an der Tagesordnung: der Blick in die Kamera. In den ersten dokumentarischen Bewegtbildern, aber auch in kurzen Spielfilmen blickten Honoratior*innen, Artist*innen, schwerbewaffnete Cowboys, selbst Mondgesichter unverblümt von der Leinwand auf ihr Publikum – nicht zuletzt verstärkte die Direktadressierung die Attraktion des jungen Mediums. Spätestens Mitte der 1910er Jahre wurde die vom Theater übernommene „vierte Wand“ hochgezogen, Film- und Zuschauerraum streng voneinander getrennt, die filmische Realität abgeschottet. Der Blick in die Kamera schien zum Regelverstoß zu werden, zum Tabubruch. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, wie viele Regisseur*innen sich in den letzten Jahrzehnten absichtsvoll über diese Konvention hinweggesetzt haben und es immer noch tun. Einige Beispiele des vielfältigen Einsatzes dieses Stilmittels und die inszenatorischen oder stilistischen Gründe hierfür fächert die Magical History Tour dieses Monats auf. Halten Sie den mal irritierenden, mal komplizenhaften, oft rätselhaften Blicken stand! (Milena Gregor)