Frauen machen Filme. Eigentlich selbstverständlich – aber auch wieder nicht. Zwar stehen Frauen seit Beginn der Filmgeschichte hinter der Kamera. Dass Frauen in der 125-jährigen Geschichte des Films der Zugang zum Filmemachen aber erschwert oder verunmöglicht wurde, dass sie nicht die gleichen Chancen wie Männer hatten, ihre trotz aller Widerstände entstandenen Filme nur selten in den Kanon aufgenommen wurden, dass sie übersehen, marginalisiert, vergessen und ihre Nachlässe vernachlässigt wurden, sie oft aus der Filmgeschichte herausgeschrieben wurden, das steht außer Frage. In einer sich über vier Monate erstreckenden Reihe wollen wir einige Regisseurinnen aus verschiedensten Ländern und Epochen präsentieren, deren Filme zu wenig wahrgenommen wurden und werden und ihnen Sichtbarkeit verschaffen.
Eine wenig bekannte Tatsache der Filmgeschichte ist, dass in den ersten zwei Jahrzehnten des Kinos mehr Frauen in der Filmbranche tätig waren als in jeder anderen Epoche seither. Die neue und noch nicht anerkannte Kunst- und Ausdrucksform bot Männern wie Frauen eine Chance, zu experimentieren und auszuprobieren.
Als sich das Kino als ernstzunehmende Karrieremöglichkeit und Wirtschaftszweig etabliert hatte, wurden Frauen vor allem aus dem Regieberuf, aber auch als Drehbuchautorinnen und Produzentinnen zurückgedrängt. Ihr ursprünglicher Beitrag zur Filmgeschichte wurde ignoriert und schließlich vergessen. Die wenigen Regisseurinnen, die sich gerade in der Blütezeit der Studiosysteme behaupten konnten, bestätigten als absolute Ausnahmeerscheinungen die Regel. Filmemachen wurde zunehmend zu einer Sache von Männern. Das änderte sich nur langsam. Umso notwendiger ist eine ständig erfolgende Neubewertung und -schreibung der Filmgeschichte.
Ideengeberin für unsere Reihe ist die 14-stündige Kompilation WOMEN MAKE FILM (GB 2018) des Filmkritikers und Regisseurs Mark Cousins. Sie besteht aus Filmausschnitten mehrerer hundert Filme von insgesamt 183 Regisseurinnen, „eine Betrachtung von verschiedenen Aspekten des Filmemachens, bei der alle Lehrenden Frauen sind“. 13 dieser Filmemacherinnen haben wir für unsere Reihe ausgewählt. Von allen sollen einige Filme gezeigt werden, die von Einführungen, Texten und Diskussionen kontextualisiert werden. Das daraus entstandene Wissen wird auf unserer Homepage dauerhaft zur Verfügung stehen und einen ersten Zugang ermöglichen.
Tang Shu Shuen
Die 1941 geborene Tang Shu Shuen (auch als Cecile Tang bekannt) war eine der ersten Regisseurinnen Hongkongs und nimmt in der dortigen Filmlandschaft eine singuläre Stellung ein. Nach dem Filmstudium in Kalifornien drehte sie zwischen 1970 und 1979 vier Filme, von denen besonders die ersten zwei einen großen Einfluss auf die sich damals neu formierende Filmkultur Hongkongs hatten. In die sich in einer Krise befindenden Filmszene brachte sie neue Impulse, wobei sie ihren ersten, in Hongkong und Taiwan gedrehten Film unabhängig produzierte und in den USA fertigstellte. Mit dem Debütfilm THE ARCH (1970) war sie eine Vorläuferin der Neuen Welle des Hongkong-Kinos und brachte als eine der ersten sozial engagierte und realistisch inszenierte Themen auf die Leinwand. China Behind (1974), von dem momentan leider keine Kopie zur Verfügung steht, erzählt in quasi-dokumentarischem Stil von einer Gruppe von Student*innen, die vor befürchteten Repressalien der chinesischen Kulturrevolution die Flucht nach Hongkong planen. Von der Zensur Hongkongs wurde der Film verboten und konnte erst in den 80er Jahren aufgeführt werden. Ihre vier Filme, die alle in einer eigenen, innovativen Filmsprache gehalten sind, wurden zwar von der Kritik gelobt, erzielten aber keinen kommerziellen Erfolg. Nach der Komödie The Hong Kong Tycoon (1979) gab sie das Filmemachen ganz auf und zog in die USA, wo sie bis heute lebt.
Die ursprünglich geplante Vorführung von SUP SAP BUP DUP am 10.9. kann aus rechtlichen Gründen leider nicht stattfinden. Stattdessen werden wir am 10.9. THE ARCH wiederholen.
Binka Zhelyazkova
Binka Zhelyazkova (1923–2011) war die erste Spielfilmregisseurin Bulgariens. Mit den sieben Spiel- und zwei Dokumentarfilmen, die sie zwischen 1957 und 1988 drehte, war sie wiederholt Zensur und Verboten ausgesetzt und musste sich Freiräume für ihr filmisches Werk stets neu erarbeiten. Als kühne Filmemacherin, die ihre humanistischen Werte kompromisslos verteidigte, schuf sie so poetische wie metaphorische Bilder.
Nach dem Krieg, in dem sie als Jugendliche Mitglied einer Partisanengruppe war, studierte sie am Theaterinstitut in Sofia und ergriff die Chance, sich in der neu entstehenden bulgarischen Filmindustrie einen Namen zu machen. Mit ihrem Mann Hristo Ganev, der in Moskau studiert hatte und als Drehbuchautor und Regisseur arbeitete, verband sie eine enge Zusammenarbeit.
Erst vor Kurzem wude Binka Zhelyazkovas Werk erschlossen: Das Thessaloniki International Film Festival widmete ihr 2021 eine komplette Retrospektive, sodass ihre Filme nun digitalisiert vorliegen. Ein erstes Interesse an ihr wurde zudem durch den 2006 entstandenen Porträtfilm BINKA – TO TELL A STORY ABOUT SILENCE (Elka Nikolova) geweckt, den wir im September auf arsenal 3 zeigen. (Annette Lingg)
Die Reihe wurde ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds.