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Di 05.11.
20:00

  • Filme

    The Song of the Shirt (D.W. Griffith, USA 1908, 8 Min.)
    The Lonely Villa (D.W. Griffith, USA 1909, 12 Min.)
    Lines of White in a Sullen Sea (D.W. Griffith, USA 1909, 19 Min.)
    A Corner in Wheat (D.W. Griffith, USA 1909, 14 Min.)
    The Usurer (D.W. Griffith, USA 1910, 12 Min.)
    The Lonedale Operator (D.W. Griffith, USA 1911, 15 Min.)

  • Kino

    Arsenal 1

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  • Einführung: Tom Gunning (online, in englischer Sprache), am Flügel: Eunice Martins

„One of the basic assumptions of all film histories is that film syntax and most of the cinema‘s devices were evolved by D.W. Griffith (with some help from [camera operator] G.W. Bitzer) during the five years he worked for the American Biograph Company. Much points to the truth of this: he entered that studio in 1908 as an obscure actor with some scripts to sell and left it in 1913 as the most prominent film director in America. Within those five years he made some 490 films – and there‘s the rub! Even with the present availability of most of these, either in the original negatives preserved at the Musuem of Modern Art, or in the recent transfer from copyright paper prints in the Library of Congress, the study of his development has been postponed – this is too much wealth for any student yet to face. Thus far it has been easier for everyone to accept the assumptions, and cut off the agonizing re-appraisal that might be necessary if we leap into that mass of 490 problems.“ (Jay Leyda, in Kino (Zeitschrift, hg. von Andi Engel), No. 6/1967 (Berlin), S. 41-42. Der Artikel hat keine Überschrift.)

Als Jay Leyda in der Bronx seinen ersten Film drehte, hatte D.W. Griffith ebendort gerade seinen letzten gedreht, The Struggle (USA 1931). Als der Schöpfer eines der umstrittensten Werke der Filmgeschichte, The Birth of a Nation (USA, 1915), 1948 in Hollywood starb, nahm Leyda an der Trauerfeier teil und schrieb darüber einen langen Artikel, in dem er sich Rechenschaft ablegte über sein eigenes ambivalentes Verhältnis zu D.W. Griffith. Als Leyda nach zwölf Jahren Exil 1969 in die USA zurückkehrte, um an der Yale University Filmgeschichte zu unterrichten, machte sich Leyda daran, das oben zitierte Versäumnis auszugleichen, und widmete sein erstes Seminar den über 400 Kurzspielfilmen, die Griffith zwischen 1908 und 1913 für die American Biograph Company gedreht hatte.

Das „Early Griffith“ Seminar gehörte auch später an der New York University zu Leydas Repertoire. Einer seiner Schüler dort war Tom Gunning, der 1991 seine Dissertation über Griffiths Biograph-Filme veröffentlichte und sie Jay Leyda widmete. Mehr noch als die Entdeckung der Urformen des heute Vertrauten, so Gunning, mache die beharrliche Fremdheit vieler dieser Filme sie so sehenswert. Für diese Reihe wurden zehn Filme ausgewählt, die in zwei Programmen am 5.11. und am 9.11. zu sehen sind. Bei der Auswahl spielte die Verfügbarkeit gut erhaltener Analogkopien ebenso eine Rolle wie das schiere Vergnügen während der Auswahlsichtungen. Tom Gunning wird beide Programme online einführen, Eunice Martins wird sie live am Flügel begleiten.

„Early Griffith 1“ enthält ein Triptychon sozialkritischer Filme, an die sich Leydas Schüler Charles Musser als eine von Leyda oft gewählte Kombination erinnert: THE SONG OF THE SHIRT, A CORNER IN WHEAT und THE USURER. In allen drei Filmen stellt Griffith durch Parallelmontage zweier Erzählstränge die Armut und Prekarität der arbeitenden Masse der Gier und Dekadenz der Reichen gegenüber. Durch die plakative Darstellung und die am Ende stets von höherer Gewalt bzw. durch ein Missgeschick auf die Ausbeuter niederfahrende Strafe scheinen die Filme zwar eher auf moralische Abscheu als politische Aufklärung angelegt. Vor allem A CORNER IN WHEAT verweist jedoch durch klare Anschlüsse und Gegenüberstellungen durchaus auf den größeren ökonomischen Zusammenhang zwischen dem Spekulantentum an der New Yorker Börse, der Preisentwicklung für Brot und der wachsenden Armut in der Bevölkerung.

Mit THE LONELY VILLA, LINES OF WHITE ON A SULLEN SEA und THE LONEDALE OPERATOR wird das Programm durch drei Filme aus der selben Produktionsphase ergänzt, in denen Griffith ebenfalls die Parallelmontage narrativ einsetzt, hier jedoch als ein den Handlungsverlauf dramatisierendes, die erzählte Zeit mal dehnendes, mal kondensierendes Instrument.

In THE LONELY VILLA hat sich eine Frau mit ihren Kindern in einem Zimmer des eigenen Hauses vor Einbrechern verbarrikadiert und versucht verzweifelt, ihren abwesenden Mann per Telefon zu Hilfe zu rufen. Das Motiv der im Inneren eines Hauses sozusagen in einem doppelten Innen eingeschlossenen (und von außen bedrohten) Frau gehörte zu den berühmten und notorischen Tropen Giffiths. Das Telefon als rettendes Requisit wird hier ein ziemlich neues erzählerisches Element gewesen sein. Griffith hatte diese Idee angeblich aus dem französischen Theaterstück Au téléphone von 1901.

LINES OF WHITE ON A SULLEN SEA basiert auf dem gleichnamigen Gedicht von William Carleton und erzählt vom jahrelangen vergeblichen Warten einer Frau auf ihren zur See gefahrenen Mann. Die Parallelmontage wird hier eingesetzt, um erzählerisch die Distanz zwischen den beiden zu überbrücken und gleichzeitig darzustellen. Der Film wurde an der Küste von New Jersey gedreht und hat durch die unmittelbare Nähe des Meeres und das offenbar reale Setting eines Fischerdorfes eine große Frische. Er ist einer von vielen Biograph-Filmen Griffiths, die unter Fischern und vom Fischfang lebenden Familien spielen und in denen der Ruf zur See, das Getrenntwerden und das bange Warten wiederkehrende Motive sind.

In THE LONEDALE OPERATOR spielt Blanche Sweet eine Telegrafistin in einer einsamen Bahnstation, die mit List und Ausdauer eine ihr anvertraute Geldkassette gegen Einbrecher verteidigt. Hier taucht erneut das Motiv der im Innern eines Hauses eingeschlossenen und dennoch akut bedrohten Frau auf. Die Parallelmontage zwischen der von den Räubern bedrohten Telegrafistin und den auf einer Dampflok zu Hilfe Kommenden gilt als eine der gelungensten Dramatisierungen dieses frühen Kinos. Am Ende löst Griffith die Finte der Heldin, auf die Betrachter und Einbrecher gleichermaßen reingefallen sind, mit einem damals noch raren „Close-up“ auf.

THE SONG OF THE SHIRT und A CORNER IN WHEAT werden als 35mm-Kopien aus den Beständen der Library of Congress gezeigt, THE USURER wird vom Metropolis/Kinemathek Hamburg zur Verfügung gestellt, die übrigen drei Filme kommen aus dem Arsenal-Archiv.

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