Das ist ganz im Sinne ihres despotischen Vaters, der sich nichts sehnlicher als einen Jungen gewünscht und seiner einzigen Tochter jede mädchenhafte Neigung aberzogen hat. Ihre simplen Wünsche nach längeren Haaren, einem Kleid oder einem Jahrmarkt-Besuch lehnt er ohne Diskussion ab. Als es einen französischen Wissenschaftler in die Einöde des wild-poetischen Donaudeltas verschlägt, wo der Vater eine Tankstelle/Autowerkstatt betreibt, beginnt Ryna sich über die Verbote ihres Vater hinwegzusetzen. Atmosphärisch dicht erzählt der Film eine Geschichte vom Erwachsenwerden in einer Welt zwischen traditionellen Werten und materiellen Träumen. (8. & 11.12.) Der erste Film des Dokumentarfilmprogramms, MARELE JAF COMUNIST (The Great Communist Bank Robbery, 2004), versucht die Ereignisse des größten rumänischen Banküberfalls aller Zeiten zu rekonstruieren. An einem Augustmorgen im Jahre 1959 überfällt eine Gruppe bewaffneter und maskierter Männer einen Wagen der Nationalbank von Rumänien. Erbeutet werden 1,6 Millionen Lei, eine Summe, die damals dem Gegenwert von 5.000 Gehältern entspricht. Kurze Zeit später wird eine Gruppe jüdischer Intellektueller, allesamt einst in hohen Parteiämtern, angeklagt, den Überfall auf den Geldtransport verübt zu haben. Eine Aufsehen erregende Verhandlung beginnt, die einem Schauprozess gleicht. Bevor die Angeklagten zum Tode bzw. zu lebenslangen Zuchthausstrafen verurteilt werden, zwingt man sie, an der (spiel-)filmischen Rekonstruktion des Tathergangs und dessen Aufklärung mitzuwirken. Im Wechsel zwischen makabren parteiinternen Schulungsfilmen, Ausschnitten des damals entstandenen Films und der heutigen Spurensuche des Regisseurs Alexandru Solomon entsteht ein bedrohliches Bild einer noch nicht aufgearbeiteten Zeit. Als Vorfilm zu MARELE JAF COMUNIST läuft der Kurzfilm VA VENO O ZI (A Day Will Come, Regie: Moscu Copel, 1989), in dem ein Kulturfilm über die industrielle Aufzucht von Hühnern (vom Schlüpfen des Eis bis zur Verarbeitung des Hühnerfleisches) mit den Aufnahmen des Besuchs einer Kindergartengruppe in einem Konzert kontrastiert wird. (8.12.) Aus den vielen bemerkenswerten rumänischen Kurzfilmen der letzten Jahre haben wir zwei Programme zusammengestellt. Kurzfilmprogramm 1 zeigt urbane Geschichten. Radikal reduziert zeigt Christi Puiu in UN CARTUS DE KENT SI UN PACHET DE CAFEA (Eine Stange Kent und ein Päckchen Kaffee, 2004), mit dem er 2004 den Goldenen Bären in Berlin gewann, ein Gespräch zwischen Vater und Sohn über die verschiedenen Bestechungsmöglichkeiten. Catalin Mitulescu thematisiert in TRAFIC (2004) die psychologische Ebene der Verwestlichung der jungen rumänischen Generation. Constantin Popescus APARTAMENTUL (2004) beschreibt die fatalen Folgen der Unachtsamkeit eines Mannes, der im morgendlichen Tran die Wohnungstüren seiner Ehefrau und seiner Geliebten verwechselt, die im gleichen Mietshaus wohnen. Neben der Komödie CHALLENGE DAY (2004) von Napoleon Helmis über einen zwangsverpflichtenden Tag des Sports läuft Corneliu Porumboius essayhafter Tagebuchfilm VISUL LUI LIVIU (Livius Tagebuch, 2003), in dessen Mittelpunkt der 24-jährige Liviu steht, der wie viele seiner Generation aufgrund des rigiden Abtreibungsverbots unter Ceaucescu kein Wunschkind war. Catalin Mitulescus bereits 2000 entstandener Schwarzweißfilm BUCURESTI–WIEN 8:15 seziert die letzten Vorbereitungen eines Ehemanns und Vaters vor der Flucht in den Westen. (9.12.) Da wir zu unserem größten Bedauern Cristi Puius jüngsten Film Moartea domnului Lazarescu im Rahmen dieser Reihe aus rechtlichen Gründen nicht zeigen können, präsentieren wir Puius Spielfilmdebüt MARFA SI BANII (Stuff and Dough, 2001), der mit unspektakulären, beinahe beiläufigen Bildern den Alltag des „organisierten Verbrechens“ und seiner „kleinen Leute“ beschreibt. Der Protagonist Ovidiu hat sich auf eine Anzeige gemeldet, die ihm für wenig Aufwand eine stattliche Geldsumme in Aussicht stellt. Er soll eine Tasche mit Medikamenten nach Bukarest bringen. Die einzige Bedingung, die an den Auftrag geknüpft ist, lautetet keine Pausen auf der Fahrt und keine Zeugen. Doch Ovidiu nimmt es damit nicht so genau und lädt seinen besten Freund und dessen Freundin auf die vermeintliche Spritztour nach Bukarest ein, was sich bald als ein Fehler herausstellt. Größtenteils mit Handkamera aufgenommen, verbindet MARFA SI BANII Elemente des Roadmovies und des Suspense-Films. Es entsteht eine vielschichtige Reflexion über den Zustand Rumäniens. (9. & 15.12.) Neben den zahlreichen jungen Regisseuren, die sich seit Anfang dieses Jahrzehnts in ihren Filmen mit der gegenwärtigen Situation Rumäniens auseinander setzen, hat sich auch der berühmte rumänische Altmeister Lucian Pintilie mit einer beeindruckenden Bestandsaufnahme zu Wort gemeldet: NIKI SI FLO (Niki und Flo, 2003) ist der Titel seiner tiefschwarzen Tragikomödie über den Verfall der Werte innerhalb einer Bukarester Großfamilie. Der altmodische, traditionsbewusste Niki, ein Oberst im Ruhestand, und Flo, ein allem Neuen aufgeschlossener Mittvierziger, verbringen durch die Hochzeit ihrer Kinder und trotz grundlegender ideologischer Differenzen viel Zeit miteinander. Als Flo das junge Ehepaar überredet auszuwandern und damit den Zusammenhalt der Familie in Gefahr zu bringen droht, eskaliert der schwelende Konflikt zwischen den Beiden. Ausgerechnet am „Nationalen Tag der Armee“ kommt es zu einer fatalen Kurzschlusshandlung. (10. & 22.12.) In Anlehnung an eine wahre Geschichte und aufbauend auf eine mittellange Fassung des gleichen Stoffes drehte Calin Netzer 2003 seinen ersten abendfüllenden Spielfilm: MARIA. Die junge Mutter schafft es nur mit Mühen, ihre sieben Kinder durchzubringen. Als ihr Mann seine Arbeit verliert, das restliche Geld in einer Kneipe verspielt und sich absetzen muss, ist sie ganz auf sich allein gestellt. Die einzige Möglichkeit, für sich und ihre Familie ein Auskommen zu sichern, ist die Prostitution. Ein Hoffnungsschimmer scheint eine ausführliche Fernsehreportage zu sein, die ein lokaler Sender über Maria und ihre Kinder gemacht hat und zur besten Sendezeit ausstrahlt. Netzer zeigt eine Welt im Zwielicht, der Dämmerung, in der einzig die billigen Kneipenlichter oder die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Lastwagen aufblitzen. (10. & 18.12.) Im Gegensatz zum 1. Kurzfilmprogramm konzentriert sich das 2. Kurzfilmprogramm auf das Leben auf dem Land. Ähnlich wie RYNA ist die Geschichte des gerade fertiggestellten mittellangen Films CANTON (Polizeistation, Constantin Popescu, 2005) im Donaudelta auf einer Polizeistation angesiedelt. In CALATORIE LA ORAS (A Trip to the City, Corneliu Porumboiu, 2003) bringen verschiedene Missstände in einem kleinen Dorf einen Lehrer und den Fahrer des Bürgermeisters dazu, eine ungewöhnliche Reise in die nächste größere Stadt anzutreten. Der vielbeachtete AJUTOARE UMANITARE (Humanitarian Aid, 2002) des deutsch-rumänischen Regisseurs Hanno Höfer entlarvt die Fragwürdigkeit so mancher gut gemeinter Hilfeleistung aus Deutschland. Zum Abschluss laufen zwei Filme von Cristian Mungiu, deren komplexe Filmsprache mit unterschiedlichen Kameraperspektiven und sich überlagernden Erzählsträngen die Erwartungen des Publikums immer wieder durchkreuzen. Wir zeigen ZAPPING (2000), ein ironischer Blick auf unseren Hang zum Umschalten, und NICI O INTAMPLARE (Nothing by Chance, 1999). (12.12.) Nach einer Vielzahl von Musikvideos und Werbefilmen drehte der Bukarester Radu Muntean 2002 sein Spielfilmdebüt FURIA (2002) über zwei junge Männer, die versehentlich in die Fänge eines brutalen Zigeunerbosses geraten. Bei einem illegalen Autorennen, das Luca und Fletie mit aufgemotzten Gebrauchtwagen organisieren, um ihre Spielschulden zu begleichen, halten sie sich nicht an die Abmachungen. Als Strafe müssen sie innerhalb von 24 Stunden 7000 Dollar auftreiben. In Rumänien gehört der Thriller zu den erfolgreichsten Filmen der letzten Jahre. (12.12.) Im 2. Dokumentarfilmprogramm präsentieren wir einen weiteren Film von Alexandru Solomon, FRANZELA EXILULUI (2002), über die Zeit des Exils des rumänischen Autors Ion Luca Caragiale in Berlin. Es laufen außerdem zwei Filme von Sorin Iliesiu: RESTAURATORUL (2002), das Porträt des Grafen Tibor Kalnoky, der in den 90ern wieder nach Rumänien bzw. Transsilvanien zurückgekehrt ist und seitdem versucht, die Region, in der schon seinen Vorfahren lebten, wieder aufzubauen. EUROMERICAN NIGHTLOSERS (2004) widmet sich der Musikband des deutsch-rumänischen Filmemachers Hanno Höfer. (13.12.) Dimitru – Protagonist des Films IN FIECARE ZI, DUMNEZEU NE SARUTA PE GURA (Everyday God Kisses Us on the Mouth, 2002) – ist zugleich Schlächter und Schlachter. Nach einer langjährigen Haftstrafe will der ehemalige Fleischermeister zu Frau, Tochter und einem ruhigen Leben zurückkehren, doch bereits auf der Heimreise gerät ein Streit zwischen Dimitru und einem Mitreisenden außer Kontrolle und endet im Gemetzel. Zu Hause angekommen folgt der zweite Mord: diesmal an seinem Bruder, der während seiner Abwesenheit eine Affäre mit seiner Ehefrau angefangen hat. Für Dimitru beginnt eine Flucht ins Ungewisse, in dessen Verlauf er eine Spur des Mordens hinter sich lässt. Während der Mord an anderen ihm keine Schwierigkeiten bereitet, schlägt ein Selbstmordversuch fehl: Gott hat anderes mit ihm vor. Für Regisseur Sinisa Dragan ist sein Film keine Parabel auf die moralische Situation Rumäniens. Er positioniert den Film vielmehr in der langen Tradition des in Osteuropa verbreiteten realistischen Märchenfilms. (13.12.) Im Mittelpunkt von Nae Caranfils schwarzer Satire FILANTROPICA (2001/02) steht Ovidiu, ein erfolgloser Schriftsteller und frustrierter Lehrer an einer Privatschule in Bukarest. Um den materiellen Ansprüchen der attraktiven Schwester seines Problemschülers Robert nachkommen zu können, sucht er den vermeintlichen „Philantropen“ Puiutz auf. Puiutz’ „Hilfe“ ist einfach, doch für Ovidiu zunächst inakzeptabel: Unter dem Motto „Ohne gutes Märchen kein Almosen“ soll Ovidiu mit einer besonderen „Geschichte“ ausgestattet in den Straßen Bukarests Betteln gehen. Nach anfänglichem Zögern zieht Ovidiu schließlich los, verstrickt sich jedoch bald immer tiefer in den Untiefen der Geschichten, mit denen der Philantrop ihn auf die Straße schickt. Caranfil thematisiert in seinem gleichsam tiefsinnigen und lakonischen Spielfilmdebüt nicht so sehr die politischen Missstände des Landes, sondern die daraus resultierenden Widrigkeiten des Alltags. (14. & 19.12.) In der für Cristian Mungiu charakteristischen vielschichtigen Erzähltechnik verbindet er in seiner Komödie OCCIDENT (2002) drei Episoden, die alle um die Zukunftshoffnungen der Protagonisten kreisen. Eine Frau versucht sich bei einem freundlichen Franzosen einzuquartieren, in der Hoffnung mit ihm gemeinsam das Land verlassen zu können. Eine junges, emigrationswilliges Mädchen entschließt sich, einen ihr bislang unbekannten Italiener zu heiraten und ihr Vater plant die Flucht nach Deutschland. Verstrickt in einem Labyrinth bizarrer Ereignisse, beeinflussen sich die drei Protagonisten, ohne es zu wissen. (14.12.) Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Rumänischen Forum e.V., der Botschaft von Rumänien, dem Centrul National al Cinematografiei, Bukarest, der Uniunea Fundatia Augusta Timisoara, der Grupul NOI Bucuresti, dem Muzeul National de Arta Contemporana. Dank an Iulian Morar, Christian Kohut, Alina Salcudeanu und Joana Schmitzer.