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Wir beginnen die Luchino-Visconti-Werkschau, die wir anlässlich seines 100. Geburtstags in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut veranstalten, mit seinem Debüt OSSESSIONE (1943). An einer Landstraße im Po-Delta befindet sich eine heruntergekommene Tankstelle mit Restaurant, die von einem grobschlächtigen Kneipier bewirtschaftet wird. Der als Mechaniker eingestellte Landstreicher Gino verliebt sich in die Frau des Wirts; zusammen beschließen sie, ihren Mann umzubringen. Vor dem Hintergrund der Kriminalgeschichte zeichnet Visconti ein Panorama des italienischen Provinzlebens und öffnet ganz im Stil des aufkommenden Neorealismus den Blick auf die trübselige, ungeschminkte Wirklichkeit Italiens. Kurz nach der Fertigstellung des Films, die Visconti nur mit privaten Mitteln sicher stellen konnte, wurde OSSESSIONE von der faschistischen Zensur verboten. (19.11. & 3.12.) Wie OSSESSIONE beeindruckt Viscontis BELLISSIMA (1951) durch präzise, dokumentarisch-anmutende Alltagsbeobachtungen, die der Regisseur jedoch mühelos mit stark satirischen und zuweilen melodramatischen Seiten verbindet. Im Mittelpunkt steht eine temperamentvolle römische Arbeiterfrau (voll überbordender Energie gespielt von Anna Magnani), die mit allen Mitteln versucht, ihre Tochter ins Filmgeschäft zu bringen. Als für Dreharbeiten das "schönste Kind Roms" gesucht wird, sieht die Mutter die Chance ihrer Tochter gekommen. Es beginnt eine Reise durch die römischen Milieus; sie endet in der römischen Filmstadt Cinecittà, die Visconti schonungslos der Lächerlichkeit preisgibt. (20. & 30.11.) Mit SENSO (1954) beweist Visconti, dass auch ein historisches Thema vom Standpunkt des weiterentwickelten Neorealismus behandelt werden kann. Souverän verwebt er die private Tragödie der Contessa Sarpieri, die sich in Venedig vor dem Hintergrund der Befreiungskämpfe gegen die österreichischen Besatzer 1866 in einen österreichischen Leutnant verliebt, mit einer gesellschaftlichen Studie. Das Chaos des Krieges und das Chaos der Gefühle bedingen einander. In dieser konsequent entwickelten Verschränkung von gesellschaftlichem und persönlichem Geschehen folgt SENSO der neorealistischen Tradition. "Es ist ein Film, in dem Opulenz und Tiefe, Distanz und Passioniertheit einander die Waage halten. Visconti öffnet die Pforten einer Leidenschaft, die sein Werk die nächsten Jahrzehnte in Bann halten wird." (Harry Tomicek) (21. & 28.11.) Viscontis LA TERRA TREMA (Die Erde bebt, 1948) zählt zu den Höhepunkten des italienischen Nachkriegsfilms. Der junge sizilianische Fischer Ntoni lehnt sich gegen das Preisdiktat der Fischgroßhändler auf und macht sich selbstständig. Als er sein Schiff verliert, muss er sich zwar dem Grossisten erneut unterwerfen, erkennt jedoch die Möglichkeit der zukünftigen Befreiung. Visconti präsentiert in LA TERRA TREMA einmal mehr nicht nur die gesellschaftliche Determiniertheit menschlicher Existenz, sondern auch ihre Eigenverantwortlichkeit. Trotz des dokumentarischen Gestus des Films – die Fischer und ihre Familien wurden von Einwohnern eines sizilianischen Dorfes gespielt, alle Dialoge wurden von den Laiendarstellern improvisiert – erinnert LA TERRA TREMA sowohl an eine antike Tragödie als auch an eine italienischer Oper. (25.11. & 14.12.) Wie bereits in SENSO spielt auch der durchgehend von einem Gefühl der Resignation getragene Film IL GATTOPARDO (1963) zur Zeit des "risorgimento". In Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Lampedusa fächert Visconti ein großes Panorama der untergehenden sizilianischen Adelswelt auf. Der alternde Fabrizio, Fürst von Salina, erkennt, dass die Feudalzeit ihrem Ende entgegengeht. Auch wenn er sich zeitweise aus taktischen Gründen den Kräften des Neuen, des Bürgertums und den demokratischen Institutionen beugt, kann er sich ihnen doch nicht anschließen. Sinnbild dafür ist die glorreiche finale Ballsequenz – "ein Todestanz in nicht enden wollender Schönheit". (Harry Tomicek) (29.11. & 26.12.) "Was mich an der Geschichte interessiert", so Visconti über die literarische Vorlage von Thomas Mann, auf der MORTE A VENEZIA/DEATH IN VENICE (1970) beruht, "ist das menschliche Drama eines Künstlers, die Geschichte seiner Einsamkeit und seiner Verzweiflung." Im Unterschied zur Novelle ist die Hauptperson bei Visconti der kränkliche Komponist Aschenbach, der einen Urlaub in Venedig verbringt und auf der Suche nach dem absolut Schönen dem engelhaften Tadzio verfällt. Der Untergang Aschenbachs spiegelt sich in der verfallenden Lagunenstadt, die von Scirocco und Cholera heimgesucht wird. "Die Evokation einer in Schönheit ihrem Untergang entgegentreibenden Welt ist Visconti in keinem anderen Film in solcher Meisterschaft geglückt." (Ulrich Gregor) (27.11. & 18.12.) Die Figur des Bayernkönigs in LUDWIG (1973) konzipierte Visconti als eine Art Parallelfigur zu Aschenbach. Beide widmen ihr Leben der Kunst und der Schönheit. Doch auch König Ludwigs ambitionierte Pläne, um sich herum ein universelles Reich der Künste auszubreiten, sind zum Scheitern verurteilt. Seine unerfüllte Liebe zu seiner Schwägerin Elisabeth verstärken seine Vereinsamung und Verbitterung angesichts der ihn ungebenden widrigen Umstände. Kurz nachdem die Opposition den verschwenderischen König entmündigt hat, wird er tot aufgefunden. Visconti betrieb für LUDWIG einen auch im Vergleich mit seinen anderen historischen Dramen beispiellosen inszenatorischen Aufwand, der zum Teil zwiespältig aufgenommen wurde. Dennoch: "LUDWIG ist ein Film, wie es ihn wohl nie mehr geben wird; Summe und Höhepunkt einer von Jahrhunderten europäischer Kultur geprägten und durchdrungenen Einbildungskraft, eines von Geschichte und Erinnerung, Veranlagung und Sensibilität gestalteten Bewusstseins." (Martin Schaub) (23.11. & 8.12.) Die Reihe "Filme von Luchino Visconti" wird im Dezember fortgesetzt. Unser Dank gilt dem Italienischen Kulturinstitut.

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