Wir beginnen mit Polen, wobei Andrzej Wajdas epochaler Film ASCHE UND DIAMANT (1958) im Mittelpunkt steht, dieser Film war so etwas wie ein Fanal der osteuropäischen Nachkriegs-Filmgeschichte, er gab einem Lebensgefühl und historischen Erfahrungen Ausdruck und prägte ein geradezu mythisches Bild vom polnischen Kino – einen wichtigen Anteil daran hatte der Schauspieler Zbigniew Cybulski. Weitere wichtige polnische Regisseure der 60er/70er Jahre sind Andrzej Munk, Wojciech Has (wir kommen nicht umhin, seinen faszinierenden HANDSCHRIFT VON SARAGOSSA zu zeigen) und Krzysztof Zanussi. REJS (Die Reise von Marek Piwowski, 1968/70) ist eine geniale Satire auf organisierte Freizeit im Sozialismus, ein Kult-Film, der nur im polnischen Untergrund zirkulieren durfte. Dusan Makavejews W.R. – MYSTERIEN DES ORGANISMUS von 1971 aus Jugoslawien attackiert die Stereotypen des sozialistischen Realismus und stellt das damalige Kino im Rahmen einer grellen surrealistischen Fabel über den Psychoanalytiker Wilhelm Reich und einen Schlittschuhläufer auf den Kopf. Die Aufbruchsbewegung des tschechoslowakischen Films in den 60er Jahren dokumentieren wir anhand von drei Beispielen: das sind Jirí Menzels brillante nostalgische Komödie SCHARF BEOBACHTETE ZÜGE (1966), Vera Chytilovás fantasievolles, fröhliches und anarchistisches Porträt zweier junger Frauen, TAUSENDSCHÖNCHEN (1966), und schließlich Evald Schorms bewegende RÜCKKEHR DES VERLORENEN SOHNS (ebenfalls 1966), eine Untersuchung von Krankheitssymptomen der Gesellschaft. Die tschechoslowakische "Neue Welle" war viel breiter und umfassender, als es diese drei Filme veranschaulichen können. Sie hinterließ viele Anregungen in anderen sozialistischen Ländern, so in der DDR und der UdSSR. 1968 wurde ihr durch die Invasion der CSSR seitens der "Bruderländer" ein abruptes Ende gesetzt. Wir publizierten 1992 ein Heft der Reihe "Kinemathek" (Nr. 79) über die "Filme des Prager Frühlings 1963–69" – es ist noch erhältlich. Auch in Ungarn gab es seit den 50er Jahren eine blühende Filmkultur, vielfach in verdeckter Opposition zum Regime. István Szabó erzählt in seinem herausragenden Film DER VATER (1966) zugleich seine eigene und die Geschichte einer ganzen Generation. Der Film gewann zusammen mit einem Werk von Fellini den Hauptpreis des Moskauer Filmfestivals. Márta Mészáros stellte Frauen- und Mädchenfiguren in den Mittelpunkt ihrer scharfsichtigen und engagierten Filme, dafür ist ELTAVOZOT NAP (1968) ein gutes Beispiel (im deutschen Fernsehen hieß der Film "Das Mädchen", eigentlich bedeutet der Titel "Der vergangene Tag"). Sowohl István Szabó wie Márta Mészáros haben ihr Werk bis in die Gegenwart auf eindrucksvolle Weise fortgesetzt und trugen dazu bei, dem ungarischen Kino weltweites Ansehen zu verschaffen. Schließlich zeigen wir AMERIKANISCHE ANSICHTSKARTE von Gábor Bódy (1975) – Bódy war ein genialer, avantgardistischer und experimentell eingestellter Filmautor, dessen Werk leider durch Bódys frühen Tod keine Entwicklung finden konnte, dessen Filme jedoch bis heute Ausstrahlung besitzen. Es folgen einige sowjetische Filme der Zeit bis 1970. Zunächst der monumentale Stalin-Film DER FALL VON BERLIN von Michail Tschiaureli (1949), Chef-d'oeuvre des Persönlichkeitskultes, dann einige Werke des "Tauwetters" und der Erneuerung der 60er bis 70er Jahre – dazu gehört der berühmte Film DIE KRANICHE ZIEHEN (1957) von Kalatosow, dem in Deutschland ein überraschender Erfolg zuteil wurde und der das Bild der Sowjetunion veränderte. DIE GESCHICHTE ASSJA KLJATSCHINAS (1967) von Andrej Michalkow-Kontschalowskij wurde der sowjetischen Zensur abgerungen, Sokurows DIE EINSAME STIMME DES MENSCHEN wurde 1978 ganz verboten und konnte erst 1987 öffentlich gezeigt werden. Iosselianis PASTORALE ist ein poetischer und zugleich satirischer Essay über das georgische Dorfleben, eines der schönsten Werke des Regisseurs, der heute in Frankreich lebt. LEUCHTE MEIN STERN LEUCHTE von Alexander Mitta (1969) ist das Porträt eines revolutionären Wanderschauspielers aus dem Jahre 1920, ein Werk übersprudelnder Einfallsfülle, das auch in Deutschland rezipiert wurde und durch die Figur seines Protagonisten der 68er Generation als Vorbild diente. Gegenfigur des Helden ist ein wandernder Kinovorführer, der seine Filme geschickt der jeweils herrschenden Ideologie anpasst. Und in FLÜGEL (1966), einem der schönsten sowjetischen Filme der 60er Jahre, zeichnet Larissa Schepitko das Porträt einer Schulleiterin und ehemaligen Kriegsfliegerin, die gegen die Resignation ankämpft. Eduard Sachariews DIE ZÄHLUNG DER WILDEN HASEN (Bulgarien 1973) ist eine der genialsten und schärfsten anti-bürokratischen Satiren, die im damaligen Ostblock je gedreht wurden. In drei weiteren Abschnitten zeigen wir Filme aus Asien. Zunächst ein kurzes Kapitel Indien mit drei Klassikern von Guru Dutt (PAPIERBLUMEN, 1959), Raj Kapoor (DER VAGABUND, 1951) und Satyajit Ray (MAHANAGAR/DIE GROSSE STADT, 1963) die jeweils eigene Stilrichtungen begründeten, Satyajit Ray gehört zu den größten Regisseuren des Welt-Kinos. Darauf folgen zwei Werke von Erneuerern, beide aus Bengalen: DER VERBORGENE STERN (1960) von Ritwik Ghatak (der in Festival- Retros neuerdings wieder entdeckt wird) sowie MATIRA MANISHA (Zwei Brüder, 1967) von Mrinal Sen, der dem indischen Kommerzkino eine andere Linie des realistischen und persönlich engagierten Autorenfilms entgensetzte. Japans Kino der 50er und 60er Jahre müsste man einen eigenen Monat widmen; wir zeigen drei herausragende Werke dieser Periode: IKIRU von Akira Kurosawa (1952), der von uns präferierte Kurosawa-Film (ein kleiner Büroangestellter setzt kurz vor seinem Tode den Bau eines Kinderspielplatzes durch); UGETSU MONOGATARI von Kenji Mizoguchi (1953, Erzählungen unter dem Regenmond), und Yasujiro Ozus TOKYO MONOGATARI (1953): ein altes Ehepaar besucht seine Kinder in Tokio; die meditative Studie über den Zerfall einer Familie ist einer der stillsten und schönsten Filme aller Zeiten. Schließlich Nagisa Ôshimas GISHIKI (Die Zeremonie, 1971) – ein Film einer anderen Generation, der bereits eine gezielte und scharfe Kritik an japanischen Traditionen betreibt und dafür eine großartige geschlossene und gleichwohl moderne Form findet. Aus China zeigen wir FRÜHLING IN EINER KLEINEN STADT von Fei Mu (1948), ein Schlüsselwerk des chinesischen Films vor Ausbruch der Kulturrevolution, in seiner Stimmungslage mit Antonioni verwandt, es wurde kürzlich von dem Regisseur Tian Zhuangzhuang erneut verfilmt. Mit der Vorführung dieses Films am 27. Oktober möchten wir auf den 26. Jahrestag der Unesco-Empfehlung zur Erhaltung und Sicherung des audiovisuellen Erbes hinweisen. Anlässlich des Jahrestages veranstaltet die Filmabteilung der Deutschen Kinemathek einen Tag der Offenen Tür (Infos unter www.filmmuseum -berlin.de). Zwei Filme des Monats sind in kein Kapitel integriert: Theo Angelopoulos' O THIASSOS (Die Wanderschauspieler, 1975) und Glauber Rochas TERRA EM TRANSE (1967). Die WANDERSCHAUSPIELER, ein großartiger Filmessay über Geschichte und Gegenwart und gleichzeitig das Modell einer neuen kinematografischen Form und Filmsprache, überstrahlt die Epoche des modernen Films und ist auch heute noch ein zentraler Bezugspunkt. TERRA EM TRANSE zeigen wir als Hommage auf Glauber Rocha, der vor 25 Jahren gestorben ist, der das brasilianische (und das Welt-) Kino in eine neue Epoche geleitet hat, ein Freund, der uns mehrfach besuchte und mit dem wir manche Gespräche und Debatten führten. Die Aufführung von Alexander Sokurows EINSAME STIMME DES MENSCHEN am 31.10. stellen wir in den Kontext des diesjährigen Aktionstages der Kommunalen Kinos in Deutschland, der das Motto "Unzensiert" trägt und Zensurfälle der Filmgeschichte zur Diskussion stellen möchte. DIE EINSAME STIMME DES MENSCHEN ist ein gutes Beispiel solcher Zensurfälle, denn der an der moskauer Filmhochschule WGIK produzierte Film verfiel nach seiner Fertigstellung einem strengen Verbot. Glücklicherweise gelang es Sokurow, das Material des Films trotz Anweisung zur Vernichtung dieses Materials in seiner Wohnung vor der Zerstörung zu retten. Man kann ihn heute als ein Schlüsselwerk seines Regisseurs betrachten