Nach dem Eklat um THE WAR GAMES – die BBC weigerte sich, den von ihr in Auftrag gegebenen Film auszustrahlen - wurde es für Peter Watkins zunehmend schwierig, Produzenten für seine Filme zu gewinnen. Er verließ England 1968 und arbeitete seither in den USA, Skandinavien und Frankreich. Watkins arbeitet kompromisslos außerhalb des kommerziellen Filmbetriebs. Seine Filme sprengen die herkömmlichen Format- und Genrebegrenzungen und entziehen sich einfachen Kategorisierungen. Mit seiner Suche nach alternativen Möglichkeiten des Erforschens und Rekonstruierens von (auch der eigenen) Geschichte hinterfragt er Mythenbildung und nationale Geschichtsschreibungen. Gleichzeitig stellt er in seinen Filmen die Frage, wie Mainstreammedien gesellschaftliche und soziale Ereignisse abbilden, und welchen Standpunkt und welche Rolle sie dabei einnehmen. Watkins bewegt sich in Opposition zur dominanten Sprache in den Medien, der von ihm genannten „Monoform“. Dem entgegengesetzt reflektieren seine Filme die gewählte Form mit, legen Machtstrukturen offen und versuchen sie in einem neuen Verhältnis zwischen Regisseur, Mitwirkenden und Zuschauern zu überwinden. Zentral für sein filmisches Selbstverständnis ist die Arbeit mit Laienschauspielern, die den Personen, die sie darstellen, durch Herkunft und politische Einstellung möglichst nahe sein sollen und ihre eigenen O-Töne in den Film einbringen können. Der autoritären und hierarchischen Beziehung zwischen Zuschauern und Massenmedien setzt Watkins seine eigene Arbeit entgegen, die für eine Aktivierung der Zuschauer stehen. Den Einstieg in die Filmwelt fand Peter Watkins in der damals sehr umtriebigen britischen Amateurfilmszene. DIARY OF AN UNKNOWN SOLDIER (GB 1959), gedreht auf 8mm, nimmt Motive und Ästhetik seiner späteren, professionellen Filme vorweg: Die Erlebnisse eines Soldaten im 1. Weltkrieg im „authentischen“ Wochenschau-Stil. „I can recall, in the later 1950s – when I was developing the ‘newsreel style’ in my early films – that one of my primary aims was to substitute the artificiality of Hollywood and its high-key lighting, with the faces and feelings of real people.“ (Peter Watkins). Wir zeigen den Film zusammen mit THE WAR GAME. (6. & 27.1.) THE FORGOTTEN FACES (GB 1960) rekonstruierte den ungarischen Aufstand von 1956 in den Strassen von Canterbury so überzeugend, dass ein Fernsehsender sich weigerte, den Film zu zeigen: „If we show a film like that, no one will believe our newsreels.“ Die Kombination von sachlicher Reporterstimme und verwackelter Dokumentarfilmästhetik ließ die Zuschauer jegliche Inszenierung vergessen. Wir zeigen den Film einmal zusammen mit PUNISHMENT PARK (4.1.) und einmal mit THE ROLE OF A LIFETIME (25.1.) Durch die Erfolge seiner Amateurfilme, die im Fernsehen ausgestrahlt wurden und einige Preise gewannen, wurde die BBC auf Watkins aufmerksam und gab ihm die Möglichkeit, CULLODEN (GB 1964) zu drehen, der bei Kritik und Publikum großen Anklang fand. Der Film zeigt die Ereignisse um die Schlacht bei Culloden 1746, bei der aufständische Jacobiten unter der Leitung von Bonnie Prince Charlie von britischen Regierungstruppen vernichtend geschlagen wurden. Im Stil einer zeitgenössischen Kriegsreportage gedreht, stellte CULLODEN zudem eine Parallele zwischen den Vorgängen in Vietnam und der britischen Geschichte her. Watkins arbeitete mit Laiendarstellern der Gegend, von denen viele Nachfahren der in Culloden gefallenen Soldaten waren. (5. & 13.1.) In THE WAR GAME (GB 1965) rekonstruierte Watkins eine mögliche Zukunft. Von der BBC beauftragt, die Folgen eines atomaren Anschlags auf Großbritannien darzustellen, demonstrierte Watkins vor allem, wie unvorbereitet offizielle Stellen auf solch einen Anschlag wären und welch verheerende Konsequenzen er zur Folge hätte. Der erschütternde Realismus der gestellten Szenen erschreckte die BBC dermaßen, dass sie eine Fernsehausstrahlung ablehnten. Der Film machte in Kinos Furore und gewann prompt einen Oscar für den Besten Dokumentarfilm. Fiktive Interviews und mit Laien in Kent gedrehte Szenen zeigen eine erschreckende Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit eines Atomangriffs. (6. & 27.1.) PRIVILEGE (GB 1966) ist eine Allegorie auf die Manipulation eines Popstars durch das Establishment, um das kritische Potential junger Menschen einzudämmen und sie von politischen und sozialen Problemen abzulenken. Der 1966 gedrehte Film spielt im Großbritannien des Jahres 1970 und handelt vom Popsänger Steve Shorter (gespielt von Popsänger Paul Jones), der von einer Gruppe von skrupellosen Geschäftleuten gemanagt und verführt wird. In der Folge singt er in einem unheilvollen Zusammenschluss von Medien und Politik für die Konformität und für Nation und Kirche. Als Steve Shorter versucht, aus dem Spiel auszubrechen, wenden sich seine Fans von ihm ab und er wird zum Staatsfeind. (7. & 19.1.) Die düstere Satire GLADIATORERNA/THE GLADIATORS (Schweden 1968) spielt in der nahen Zukunft. Um menschliche Aggressionen zu kontrollieren und die Gefahr eines neuen Weltkrieges zu bannen, veranstalten sämtliche Nationen alljährlich sogenannte „Peace Games“, bei denen ausgewählte Soldaten verschiedener Länder unter Aufsicht von Militärführern gegeneinander kämpfen. Gefahr für die „Friedensspiele“ und das System entsteht indes, als zwei einander gegenüberstehende Gladiatoren Gefühle füreinander entwickeln. (18. & 29.1.) Um ein grausames und zynisches „Spiel“ geht es auch in PUNISHMENT PARK, den Watkins 1970 in den USA drehte, zu einem Zeitpunkt, als der Vietnamkrieg eskalierte. In einem Klima von sozialem Aufruhr über die amerikanische Politik in Süd- ostasien werden Staatsfeinde zu langen Gefängnisstrafen oder alternativ zu drei Tagen Punishment Park verurteilt. Dieser besteht aus einer Verfolgungsjagd durch 80 km Wüste. Die Befreiung winkt demjenigen, der am Ende des Weges die amerikanische Flagge erreicht, ohne vorher von Sondereinheiten eingeholt und erschossen zu werden. (4. & 8.1.) EDVARD MUNCH (Norwegen/Schweden 1973) zeigt Munchs Leben und seinen Schaffensprozess vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Umstände der Zeit. Er wurde ausschließlich mit Laien besetzt und wird von Watkins als sein persönlichster Film bezeichnet. Im Mittelpunkt steht das Leben Edvard Munchs (1863-1944), seine Kindheit und Jugend in ärmlichen Verhältnissen, sein Eintritt ins Künstlerleben und in die intellektuelle Bohème. Auf der Tonspur ist u.a. Watkins selbst zu hören, der Daten über Munch vorliest, Auszüge aus seinen Tagebüchern, Äußerungen von Kritikern, und historische Ereignisse der Zeit – etwa die Geburt Hitlers. (16. & 23.1.) AFTENLANDET/EVENING LAND (Dänemark 1976) ist wiederum eine fiktive Reportage über politische Geschehnisse in Dänemark, einem Land, das als Musterbeispiel westlicher Demokratie gilt, doch durch Arbeitslosigkeit, Terrorismus und Angst vor einem nuklearen Krieg bedroht wird. Es beginnt mit einem Streik auf einer der wichtigsten Werften in Kopenhagen, weil die Geschäftsleitung den Auftrag angenommen hat, für die französische Marine U-Boote zur Abfeuerung von nuklearen Sprengköpfen zu bauen. Die Ereignisse eskalieren, als Terroristen einen Minister entführen und die Polizei mit einer massiven Menschenjagd reagiert. (10. & 20.1.) Das 14,5-stündige Mammutwerk THE JOURNEY (1985) ist eine Reise durch die Hölle des nuklearen Rüstungswettlaufs. Es beschäftigt sich mit den Themen Rüstung und atomare Bedrohung und blendet auch in die Ereignisse des 2. Weltkriegs zurück und enthält Zeugenberichte u.a. aus Hamburg und Hiroshima. Zudem geht es um Fragen der Vermittlung von Politik. Der Film entstand in 12 Ländern auf fünf Kontinenten in acht verschiedenen Sprachen. Finanziert wurde das gigantische Projekt von 20 internationalen Friedensgruppen. (22.1.) In LA COMMUNE (F 1999) stellten die über 200 Mitwirkenden, die meisten von ihnen Laien, die Ereignisse der Pariser Kommune 1871 nach, die nach etwas über zwei Monaten von Regierungstruppen gestürmt wurde und mit 30.000 Toten blutig endete. Den Dreharbeiten gingen lange gemeinsame Recherchen voraus, in denen sich die Darsteller ihre Figuren und deren Engagement erarbeiteten. Die politischen und sozialen Debatten, die von den Darstellern geführt werden, bewegen uns heute indes ebenso sehr wie damals die Kommunarden: Fragen nach Arbeitslosigkeit, Rassismus und Gleichberechtigung. Integriert in die Handlung sind zwei Fernsehteams, die die Geschehnisse begleiten: das staatliche Fernsehen und das Kommunardenfernsehen. „Lassen sich die Prinzipien der Kollektivität und Selbstorganisation, aber auch die Widersprüchlichkeiten der Kommune angemessen repräsentieren? Aus dieser Frage nach angemessener Repräsentation hat sich ein Film entwickelt, der den tradierten Rahmen von Produktion und Rezeption auf drei Ebenen verlässt: auf der Ebene der Form, auf der Ebene des Produktionsprozesses und auf der Ebene der Distribution und Präsentation.“ (Michaela Pöschl) (14. & 28.1.)
Davor zeigen wir die kurze Dokumenation PETER WATKINS LITUANIE 2001 (Patrick Watkins, Jean-Pierre Le Nestour, Caroline Lensing-Hebben, F 2002), die Watkins zwei Jahre nach der Enstehung von LA COMMUNE in seinem Wohnort Litauen besucht. Im surrealen Dekor eines sowjetischen Themenparks einige Kilometer außerhalb von Vilnius spricht er von seiner Arbeit, der Entstehung dieses Films und der den Beschränkungen der audiovisuellen Massenmedien. (14. & 28.1.) Aktueller Anlass dieser Peter Watkins-Retrospektive ist die Ausstellung von Deimantas Narkevicius, derzeit Gast im Berliner Künstlerprogramm des DAAD, „Once in the XX Century“ in der Akademie der Künste. Dessen Film THE ROLE OF A LIFETIME (Litauen, 2003) thematisiert den Umgang mit politischer und persönlicher Geschichte. Im Zentrum steht Watkins, der für ein Jahrzehnt in Litauen lebte. „In Narkevicius’ Arbeit wird er zum Subjekt und zugleich Objekt des Films. Seine Reflexionen über die Glaubwürdigkeit der Bilder werden als Stimme aus dem Off konfrontiert mit verschiedenen Möglichkeiten filmischer Repräsentation: Zeichnungen seines Porträts und sowjetische Monumente aus Gruto Park, einem ungewöhnlichen Themenpark in Litauen, sowie filmische Alltagsszenen aus Brighton aus den 1960er Jahren, gedreht von einem Amateurfilmer und gefunden im Filmarchiv in Brighton.“ (K. Nakas) Wir zeigen die Arbeit am 25.1. in Anwesenheit von Deimantas Narkevicius. Das Gespräch mit dem Künstler führt Andree Korpys, der auch zur Eröffnung am 6.1. eine Einführung hält. Die Filme, die wir aufgrund der Kopienlage nicht zeigen können, sind: The Seventies People (Dänemark 1974), Fällan/The Trap (Schweden 1975) und The Freethinker (Schweden 1994). „Once in the XX Century“ ist noch bis zum 15. Januar in der Akademie der Künste zu sehen. Eine Filmreihe in Zusammenarbeit mit und freundlicher Unterstützung durch den DAAD. Dank an: Kassandra Nakas, Caroline Lensing-Hebben, Peter Watkins.