Wir nehmen die deutsche Uraufführung von Mograbis jüngstem Film AVENGE BUT ONE OF MY TWO EYES, der 2005 beim Filmfestival in Cannes gezeigt wurde, zum Anlass, sein filmisches Schaffen umfassend zu präsentieren. Besonders freuen wir uns, dass Avi Mograbi seinen Film am 22. Februar bei uns im Kino Arsenal persönlich vorstellen wird. Für AVENGE BUT ONE OF MY TWO EYES (Nekam achat mishtey eynay, Israel/F 2005) begibt sich Mograbi in die Mythologie, um sie zu ihrer Bedeutung für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu befragen. Mit den biblischen Geschichten von Samson und von Masada, in denen die jüdischen Helden lieber Selbstmord begeben statt sich zu ergeben, wird israelischen Kindern beigebracht, dass der Tod der Gefangenschaft vorzuziehen sei – eine Kultur des Todes. In der Gegenwart wird an den Checkpoints die Situation umgekehrt: Die palästinensische Bevölkerung ist den willkürlichen Schikanen der Grenzsoldaten ausgesetzt, denen sie wehrlos gegenüber steht. Wie gewohnt inszeniert Avi Mograbi sich laufend mit, doch ist dieser Film ernster als seine vorhergehenden und verzichtet weitgehend auf burleske Szenen. In einem Telefonat mit einem palästinensischen Freund ergründet Mograbi schließlich die Frage, wie lebenswert das Leben unter eigentlich unerträglichen Bedingungen ist. "Ich liebe das Leben", sagt Mograbi, und sein palästinensischer Freund erwidert: "Wenn du auf meiner Seite lebst, ist es dir gleichgültig, ob du lebendig oder tot bist." (22.2., in Anwesenheit von Avi Mograbi & 27.2.) Der zwölfminütige Film DEPORTATION (Gerush, 1989), Mograbis einziger reiner Spielfilm, ist die Dramatisierung einer Deportationsszene, gedreht als Reaktion auf die vielen Deportationen während der ersten Intifada. "Immer wenn eine solche Szene in den Fernsehnachrichten kam, wirkte sie sehr brutal. Menschen wurden aus Fahrzeugen gestoßen, man stülpte ihnen Säcke über den Kopf, die Soldaten trieben, ja warfen sie förmlich auf die andere Seite der Grenze, wo sie dann ein äußerst lautstarker Unterstützertrupp mit Fahnen und Beifall erwartete. Nach meinem Gefühl hatte man um mich herum gegen diese Praxis hauptsächlich wegen ihrer Brutalität Vorbehalte. Ich beschloss, sie ganz anders darzustellen, als sie sich in Wirklichkeit abspielte, um die scheinheiligen Reaktionen auszuschalten und eine moralische Diskussion über die Praxis selbst anzustoßen, die man im Gang der Ereignisse ganz aus dem Blick verloren hatte." (Avi Mograbi) Der Film läuft zusammen mit THE RECONSTRUCTION (The Danny Katz Murder Case) (Ha-Shich'zoor, 1994), die journalistische Aufarbeitung eines umstrittenen Mordfalls. Für den Mord an dem israelischen Jugendlichen Danny Katz wurden in einem kontroversen Prozess fünf Palästinenser verurteilt. "Als ich den Film zu machen beschloss, sah ich ihn weder vom Blickpunkt eines Journalisten, noch von dem eines Künstlers – ich war ein Wahrheitssucher. Unaufhörlich ging mir der Fall durch den Kopf, ich war besessen von der Geschichte und von ihren Folgen. Es ist ein hochkomplexer und sehr schwer aufzurollender Fall, und ich spürte, dass ich eine Möglichkeit finden musste, die Geschichte zu erzählen, die den Tausenden von Seiten, die ihn umreißen, zugrunde lag." (Avi Mograbi) (23. & 24.2.) Kurze Zeit vor den israelischen Wahlen 1996 machte sich Avi Mograbi daran, einen Film über den langjährigen, berühmt-berüchtigten Politiker, ehemaligen Kabinettsminister und legendären General Arik Sharon zu drehen: HOW I LEARNED TO OVERCOME MY FEAR AND LOVE ARIK SHARON (Eich hifsakti l'fahed v'lamadeti l'ehov et Arik Sharon, 1997). Nicht erst seit 1982, als Mograbi sich weigerte, im von Sharon maßgeblich angestifteten Libanon-Krieg zu kämpfen, sieht sich der Filmemacher in eine "persönliche" Beziehung zu Sharon verstrickt. In einer aberwitzigen Mischung aus autobiografischem Bericht, politischer Reportage und Fiktion wird Mograbi von Sharon in seinen Bann gezogen. Im Laufe des Wahlkampfs legt Mograbi seine linken politischen Ansichten ab, kommt Sharon erstaunlich nah, um sich am Ende in einer bizarren Situation zu befinden: bei einer rechtsorientierten Pro-Netanyahu-Massenkundgebung singt und tanzt er gemeinsam mit orthodoxen Juden. "Ich wollte einen harten politischen Dokumentarfilm über diesen Mann machen, der mich extrem interessierte – um nicht zu sagen, von dem ich besessen war. Ich beschloss, ihm beim Wahlkampf nachzureisen, und hoffte, das Monstrum, das in seinem Körper lebt, werde sich von selbst offenbaren. Um ihn nicht abzuschrecken, traf ich die strategische Entscheidung, ihm meine politischen Überzeugungen und das Ziel meines Films vorzuenthalten. Und noch eine Entscheidung traf ich – ihm so nahe wie möglich zu kommen, damit ich zur Stelle war, wenn das Monstrum hervorlugte. Indem ich mein wahres Vorhaben verheimlichte, war ich gezwungen, die Rolle von jemandem zu spielen, der ich nicht wirklich bin, und um ihm so nahe wie möglich zu kommen, spielte ich diesen Part noch eingehender." (Avi Mograbi) Der Film läuft zusammen mit dem kurzen WAIT, IT'S THE SOLDIERS I'LL HANG UP NOW (Rega, ze hakhayalim, ani esgor akhshav, 2002), ein in einer einzigen Einstellung gedrehtes Telefongespräch Mograbis mit seinem in Ramallah lebenden palästinensischen Freund George Khleifi. Das Gespräch beginnt, kurz nachdem israelische Soldaten in seine Wohnung eingedrungen sind und sie durchsucht haben, und endet, als die Soldaten erneut hereinkommen. "Als der israelische Einmarsch in die palästinensischen Städte einsetzte, fing ich an, täglich einige Palästinenser anzurufen, die ich in den wiederbesetzten Städten kenne. Keiner davon war vorher ein enger Freund gewesen, alle waren Filmemacher. Ich machte mir Sorgen um ihr Wohl und (außer auf Demonstrationen zu gehen, die noch trostloser waren, weil so wenige Leute auftauchten) fiel mir nichts besseres ein, als sie anzurufen und mit ihnen zu sprechen, zuzuhören, was sie erlebten, und mich zu schämen." (Avi Mograbi) (25. & 28.2.) HAPPY BIRTHDAY, MR. MOGRABI (Yom huledet same'ach mar Mograbi, 1999) erzählt parallel drei Geschichten. Der Dokumentarfilmer Avi Mograbi wird von einem Fernsehproduzenten beauftragt, einen Film über die Feierlichkeiten anlässlich des 50. Jahrestages des Staates Israel zu drehen. Gleichzeitig bittet ihn ein palästinensischer Produzent, die 1948 zerstörten arabischen Dorfruinen zu filmen. Die Palästinenser gedenken der Nakba, (der Katastrophe), dem Beginn des palästinensischen Flüchtlingsproblems. Mograbi bringt sich selbst in diesen Konflikt ein, indem er beschließt, ebenfalls seinen Geburtstag zu feiern: Er wird 42 Jahre alt und zelebriert seine eigene Midlife-Crisis. Zudem erzählt er die Geschichte eines Grundstückstreits mit seinen Nachbarn, der sich zu einem Alptraum auswächst. Als der Film am Abend vor dem israelischen Unabhängigkeitstag endet, feiern die Menschen auf der Straße und erleuchten Feuerwerke den Himmel. Avi Mograbi sitzt zu Hause, unfähig zu feiern, und erzählt seinen Film zu Ende. (21. & 28.2.) Der dritte Teil von Mograbis Trilogie dokumentarischer Satiren, die ironische Inszenierungen seiner Person mit der politischen Lage Israels verbinden, ist AUGUST: A MOMENT BEFORE THE ERUPTION (Israel/F 2002). Den Monat August hält Avi Mograbi für die schlimmste Zeit im Jahr: eine Metapher für alles Verabscheuungswürdige in Israel. Seine Frau schätzt dagegen den August als eine Zeit des Optimismus. Mograbi beginnt mit Straßenaufnahmen für seinen Film. Während der Dreharbeiten verliert er jedoch die Kontrolle über das, was seine Kamera aufnimmt. Dennoch gelingt es ihm, seine Geschichte zu erzählen, wenn auch auf ganz andere Art und ohne dass er sich dessen bewusst wird. Gleichzeitig wird seine Frau zu Hause von seinem Produzenten festgehalten, für den er einen Film über das Massaker in der Höhle von Machpela bei Hebron drehen sollte, in der ein israelischer Arzt 1994 eine Gruppe von betenden Moslems erschoss. Alle drei Charaktere – der Regisseur, die Frau des Regisseurs und der Produzent – werden von einer einzigen Person gespielt: Avi Mograbi. "Die Idee zu meinem Film ähnelt dem Vorschlag, den die Frau des Regisseurs macht: Man sollte einen Film schaffen, der nur aus Gewalt, Zänkerei und Ärger besteht. Denn das ist Israel: überall herrscht Brutalität. Es ist, als ob wir für eine nahe Katastrophe bestimmt sind, die ohne Vorwarnung über uns hereinbricht." (Avi Mograbi) (26.2.) Im Foyer schließlich zeigen wir vom 22. bis zum 28.2. die Videoinstallation RELIEF (1999): Zu sehen ist in Zeitlupe ein Moment des Zusammenstoßes an der Frontlinie zwischen palästinensischen Menschenmassen und einer Aufstellung der israelischen Polizei. "Die Kundgebung in RELIEF war keine gewöhnliche Demonstration. Sie wurde am Nakba-Tag 1998 (dem 50. Jahrestag der palästinensischen Katastrophe) in Ost-Jerusalem aufgenommen. Die Palästinenser versammelten sich auf einer Straße unweit des Zentrums mit der Absicht, um zwölf Uhr mittags in Erinnerung an ihren Verlust zwei Minuten stillzustehen, so wie viele Palästinenser es überall in den besetzten Gebieten und auch in Israel taten und wir (die jüdischen Israelis) es an unserem Gedenktag tun. Die Polizei war auch deshalb gekommen, um diesen Akt des Gedenkens und der Solidarität zu unterbinden. Was man auf dem Video sieht, ist der ruhige Teil der Kundgebung." (Avi Mograbi) Am 23. und 24.2. wird Avi Mograbi beim "Wörterbuch des Krieges" in den Sophiensälen teilnehmen, einer zweitägigen Wörterbuch-Performance von und mit internationalen Künstlern, Theoretikern und Wissenschaftlern. Avi Mograbi wird den Begriff "Pleasure" bilden und präsentieren.
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