"Seine Helden sind Kolonialisten, die sich tödlich am kolonialisierten Land entzünden, und Kolonisierte, die sich tödlich an ihren Kolonialherren infizieren. Die Bewegung seiner Filme entsteht durch die Reibung zwischen der Innenwelt seiner Helden und der Außenwelt, zwischen dem Ich und der kolonialen Distanz. 'Wir liefern Träume', sagte Lean über seine Industrie, die nie vollständige Aufhebung der Widersprüche." (Georg Seeßlen) BRIDGE ON THE RIVER KWAI (Die Brücke am Kwai, GB 1958), der mit ungeahnten Schauwerten prunkt, aber auch als Streitobjekt taugt. Streitbar, weil vieldeutig, ist vor allem die Hauptfigur: Oberst Nicholson (meisterlich gespielt von Alec Guinness), der als britischer Kriegsgefangener in einem japanischen Gefangenenlager in Burma eine für die Japaner strategisch wichtige Brücke über den Fluss Kwai mitbauen soll. Nach anfänglicher Weigerung stürzt er sich schließlich doch in die Arbeit, als das Arbeitskommando aus japanischen in britische Hände gegeben wird. Der Bau der Brücke wird zu seinem Lebenswerk, das es zu verteidigen gilt, selbst gegen eine alliierte Truppe, die die Brücke sprengen will. Streitpunkt war, inwieweit die Figur des Oberst eine Verherrlichung unbedingter militärischer Pflichterfüllung oder einen kritischen Kommentar zur absurden Sinnlosigkeit des Krieges darstellt. (Erneut zu erörtern am 19.& 26.12. & 1.1.) Ein gutes Mittel gegen die im Dezember zu erwartenden winterlichen Schneestürme sind das gleißende Sonnenlicht und die spektakulären Breitwand-Wüstenpanoramen in David Leans mit sieben Oscars ausgezeichnetem Film LAWRENCE OF ARABIA (1962). Lean entwirft hier eine subjektive Zusammenfassung der historischen Ereignisse im Leben von T.E. Lawrence, der als Amateurarchäologe und britischer Leutnant und Geheimagent am Aufstand der Araber gegen das Osmanische Reich während des Ersten Weltkriegs maßgeblich beteiligt war. Peter O'Toole in der Rolle des Lawrence wandelt sich vom jungen, in Kairo stationierten Leutnant zum siegreichen Wüsten-Feldherrn, vom britischen Hauptquartier mit Geld und Waffen ausgerüstet und von seinen arabischen Verbündeten schließlich wie ein Gott verehrt, bevor sein Traum vom geeinten Arabien dramatisch scheitert. Lean hat der Versuchung widerstanden, aus dem Stoff ein glattes Heldengemälde zu machen. Sein Lawrence bleibt mysteriös, ein immer wieder von den Dämonen der Nacht gehetzter Individualist, dessen seelische Zustände sich in den gigantischen Wüstenlandschaften widerzuspiegeln scheinen. (22., 28. & 30.12.) Ähnlich emblematisch wie die Wüstenlandschaften mit LAWRENCE OF ARABIA, sind die Bilder von sich auftürmenden Schneemassen und klirrender Kälte untrennbar mit DOKTOR ZHIVAGO (1965) verbunden. Omar Sharif, der in LAWRENCE OF ARABIA eben noch den brüderlichen Freund und Wegbegleiter des Titelhelden spielte, rückt in die Rolle des Protagonisten auf. Im zaristischen Moskau wächst Jurij Schiwago bei der großbürgerlichen Familie Gromeko auf und studiert Medizin. Er heiratet Tonja, die Tochter seiner Pflegeeltern, die er jedoch nicht liebt. Zufällig kreuzen sich seine Wege immer wieder mit denen der schönen Lara (Julie Christie), die mit dem Revolutionär Pascha verheiratet ist. Während des Ersten Weltkrieges treffen sich die beiden in einem Lazarett wieder und verlieben sich ineinander. Doch die Oktoberrevolution reißt sie auseinander. Im Gegensatz zur literarischen Vorlage von Boris Pasternak konzentriert sich Lean in seiner Verfilmung vor allem auf die dramatischen Lebensschicksale der Hauptpersonen, für die er monumentale Stimmungsbilder findet. DOCTOR ZHIVAGO gehört zu den größten Kassenerfolgen der 60er Jahre und hat wie kaum ein anderer Fil die gängigen Vorstellungen vom "alten Russland" geprägt und verfestigt. (12. & 25.12.) Die Idee zu RYAN'S DAUGHTER (1970) lieferte der britische Schriftsteller Robert Bolt, mit dem David Lean bereits an den Drehbüchern zu LAWRENCE OF ARABIA und DOKTOR ZHIVAGO gearbeitet hatte. Auch hier stehen historische Abläufe einer privaten Liebesgeschichte im Weg: In der Zeit der irischen Rebellion gegen England im Jahr 1916 verlieben sich eine irische Lehrersfrau und ein englischer Offizier. Der Ehebruch wird zum politischen Ereignis. Die Dreharbeiten zu Leans groß angelegtem Melodram fanden fast ausschließlich an der irischen Westküste statt und zogen sich über drei Jahre hin. (14.12.) RYAN'S DAUGHTER konnte in keiner Weise an den kommerziellen Erfolg von DOKTOR ZHIVAGO anschließen und führte dazu, dass sich Lean für längere Zeit aus dem Filmgeschäft zurückzog. Erst 14 Jahre später präsentierte er seinen letzten Film: A PASSAGE TO INDIA (1984), eine – im Sinne der Romanvorlage von E.M. Forster – böse ironische Studie über die Borniertheit der britischen "Herrenrasse". Der Film spielt im Indien der 20er Jahre. Die junge Engländerin Adela Quested reist gemeinsam mit ihrer zukünftigen Schwiegermutter nach Indien zu ihrem Bräutigam. Die beiden sind voller Neugierde auf das Land und seine Menschen, müssen aber erkennen, dass die englische Kolonialbourgeoisie keinen Kontakt zur indischen Bevölkerung duldet. Als Adela trotzdem mit einem indischen Arzt einen Ausflug aufs Land unternimmt, kommt es zu einem skandalträchtigen Zwischenfall. "Reisebericht und Psychogramm, Spektakel und Kammerspiel: In A PASSAGE TO INDIA beweist sich David Lean noch einmal als einer der letzten Meister des großen Erzählkinos." (H.-Ch. Blumenberg) (23. & 29.12. )