Das Dilemma des Dokumentarischen umfasst Fragen der Inszenierung von "Realität", Authentifizierungsstrategien und das Verhältnis der Abbildenden zum Abgebildeten. Die Diskussion der Verzahnungen von Fiktion und Dokument eröffnet den Blick auf grundlegende Welt- und Repräsentationsverhältnisse, auf die sich darin abzeichnenden politischen Fragestellungen und das "vernachlässigte gesellschaftliche Material", wie es der Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn nennt. Der kleinste gemeinsame Nenner der Fiktionalisierung ist immer noch das Medium selbst. Das UdK-Seminar "Documentary Dilemmas" von Madeleine Bernstorff will einige grundlegende Einblicke in einen wesentlichen Teil der Geschichte des Mediums, nämlich in die Dokumentarfilmgeschichte vermitteln: vom frühen Non-Fiction-Film, den Dokumentationen der Avantgarde über das Direct Cinema, Beiträgen aus der frühen Fernsehgeschichte bis hin zum "New Documentary".
Zum Auftakt präsentiert die Kamerafrau Sophie Maintigneux eine Lecture, in der sie anhand von Ausschnitten aus einigen von ihr gedrehten Dokumentarfilmen Themen wie Intuition, Neugierde, (Kamera-)Standpunkt und Haltung diskutiert. (7.6.)
Von der Avantgardestudie MANHATTA (Paul Strand, 1921) zu Buñuels Blick auf den Tod in LAS HURDES (1932), über zwei britische Alltagsbeobachtungen von Ruby Grierson und Humphrey Jennings, beeinflusst vom "mass observation movement", Helen Levitts Studie der East Harlemer Straßen als Theater (IN THE STREET, 1948) bis zum ersten afrikanischen Film, der im französischen Exil gedreht werden musste (AFRIQUE SUR SEINE, 1957), geht das nächste Programm. (14.6.)
Peter Weiss findet in ENLIGT LAG (Im Namen des Gesetzes) im Jugendgefängnis Bilder für eine Zwangssituation, ohne Gesichter zu zeigen, und Vera Chytilova gibt den Mädchen in PYTEL BLECH (Ein Sack Flöhe, 1962) Raum für ihr Kichern. Ula Stöckl befragt die Glücksvorstellungen 18-jähriger Abiturientinnen (SONNABEND 17H, 1966), und Les Blank begibt sich empathisch in ein Hippie-Love-In (GOD RESPECTS US WHEN WE WORK, BUT HE LOVES US WHEN WE DANCE, 1968), wohingegen Thomas Struck und Hellmuth Costard das Filmen als kommunikativen Akt betreiben (DER WARME PUNKT, 1969). (21.6.)
Schließlich wirft Peter Nestlers VON GRIECHENLAND (1965) einen prophetischen Blick auf die spätere Militärdiktatur, in LA REPRISE DU TRAVAIL AUX USINES WONDER kristallisiert sich in einer einzigen Plansequenz das Gefüge aus Streikenden, Arbeitgebern und Gewerkschaften im Mai 1968, Gisela Tuchtenhagen arrangiert mit WAS ICH VON MARIA WEISS ein sensibles Porträt eines spanischen "Gastarbeiter"-Mädchens (1972) und DER MANN MIT DER ROTEN NELKE (1974/75) von Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen begleitet die zwei letzten Talkshows von Dietmar Schönherr. (28.6.) (Madeleine Bernstorff)