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Rossellinis Filme können aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit kaum zu einem geschlossenen Œuvre zusammengefasst werden. Im Mittelpunkt seiner Beschäftigung stand jedoch immer die Auseinandersetzung mit Fragen der "Realität", der "Wirklichkeit", und die Suche nach dem Menschen in einer fremden, befremdlichen Welt. Wir eröffnen die Retrospektive der Filme von Rossellini, die nicht nur seine Kino-, sondern auch zahlreiche Fernsehfilme umfasst, mit dem als Meisterwerk gefeierten ROMA CITTA APERTA (Rom, offene Stadt, 1945). Noch während der NS-Besatzung Italiens geplant und nach der Befreiung mit bescheidensten technischen und finanziellen Mitteln gedreht, kann Rossellinis Dramatisierung des Partisanenkampfes als neorealistisches Grundmodell angesehen werden: ein "armes", dokumentarisch anmutendes Kino, durch das der "Reichtum" menschlicher Erfahrung umso prägnanter wird. (2. & 9.5.) Im Vorfeld des 100. Geburtstag ihres Vaters begann Isabella Rossellini mit der Arbeit an ihrer ganz persönlichen Liebeserklärung an ihren Vater: Basierend auf einem Drehbuch von Isabella Rossellini drehte Guy Maddin MY DAD IS 100 YEARS OLD (2005), in dem Isabella Rossellini nicht nur ihre Mutter Ingrid Bergman, sondern mit Federico Fellini, Alfred Hitchcock, Charles Chaplin und David O. Selznick weitere Ikonen der Filmgeschichte selbst verkörpert. Als Interviewpartnerin ist Isabella Rossellini in IL ETAIT UNE FOIS … ROME VILLE OUVERTE (2006) von Marie Genin und Serge July zu sehen. Anhand von wenig bekannten Archivaufnahmen, Ausschnitten und zahlreichen Interviews mit den verschiedenen Mitgliedern der Rossellini-Familie, aber auch mit François Truffaut, Federico Fellini, Vittorio Mussolini und Anna Magnani entsteht eine aufschlussreiche Chronik der Dreharbeiten von ROMA CITTA APERTA. (2.5.) Rossellinis abendfüllendes Regiedebüt ist der semidokumentarische Spielfilm LA NAVE BIANCA (1941, Das weiße Schiff), der erste Film seiner Kriegsfilmtrilogie, die vom Marineministerium in Auftrag gegeben wurden und dennoch wenig propagandistische Züge trägt. Ein Kampfschiff, auf dem der junge Matrose Basso Dienst tut, wird von einem Torpedo getroffen. Schwer verwundet wird er auf ein Lazarettschiff überführt, wo er von einer Krankenschwester und ehemaligen Brieffreundin liebevoll gepflegt wird. Lange Passagen im ersten Teil des Films beschreiben, wie im dunklen Inneren des Schiffs Matrosen anonyme Hebel und Knöpfe bedienen, deren Funktion ihnen so abstrakt bleibt wie der vermeintliche Feind auf See. Für Rossellini brachte LA NAVE BIANCA "die gnadenlose Grausamkeit der Maschine gegenüber dem Menschen zum Ausdruck." Als Vorfilm läuft einer der wenigen erhaltenen frühen Kurzfilme von Rossellini: FANTASIA SOTTOMARINA (1939). (3.5.) UN PILOTA RITORNA (Ein Pilot kehrt zurück, 1942) erzählt die Geschichte des Fliegerleutnants Rossati, der in einem Kriegsgefangenenlager in Griechenland interniert ist. Rossati gelingt die Flucht mit einem englischen Bomber zurück nach Italien. Dabei wird Rossati von der italienischen Luftabwehr unter Beschuss genommen und entgeht nur knapp dem Tod. Kaum in Italien gelandet, erfährt er, dass Griechenland kapituliert hat und er sein Leben vollkommen unnötig aufs Spiel gesetzt hat. Wie in einem Brennglas zeigt Rossellinis elliptischer, lakonischer Film die Absurdität des Krieges. (4.5.) Nach seinen ersten beiden Kriegsfilmen, die See- und Luftkrieg thematisierten, beschreibt Rossellini in seinem letzten "Propagandafilm" L'UOMO DALLA CROCE (1943, Der Mann mit dem Kreuz) den Landkrieg in Russland. Auch hier finden die Kampfszenen in weiter Ferne statt: Die italienischen Truppen können die russischen Ziele, kleine Punkte am Horizont, kaum erahnen. Und wieder geraten die Protagonisten des Films zwischen die Fronten. In einem ärmlichen Holzhaus mitten in der Frontlinie begegnen sich Russen und Italiener. Doch die sich abzeichnende Verständigung in diesem unwirtlichen Refugium hat in der Kriegsrealität keine Chance. (6.5.) Die Dreharbeiten zu DESIDERIO (1943–45) wurden aufgrund der Kriegsereignisse mehrfach unterbrochen. Obwohl die Arbeit am Film bereits im Sommer 1943 begann, konnten dessen letzte Szenen erst nach dem Waffenstillstand von Co-Regisseur Marcello Pagliero abgedreht werden, der auch für die Endfertigung des Films verantwortlich zeichnete. Ungeachtet der Kriegswirren wird der Krieg mit keinem Wort in der Handlung des Films erwähnt. Die Kriegshandlung spielt sich vielmehr innerhalb einer Familie ab: Eine "verlorene Tochter" stößt bei ihrer Familie auf eine Mauer aus Vorurteilen und unverhohlenem Hass; sie nimmt sich das Leben. Das fatalistische Drama weist interessante Parallelen zu Luchino Viscontis einflussreichem neorealistischen Meilenstein Ossessione auf. (8.5.) Nach ROMA CITTA APERTA ist Rossellinis PAISA (1946) der zweite Teil seiner Nachkriegstrilogie. In sechs Episoden wird an Originalschauplätzen und fast ausschließlich mit Laiendarstellern die Befreiung Italiens vom Faschismus bzw. von der deutschen Besatzungsmacht beschrieben. Dabei konzentriert sich Rossellini nicht auf zentrale Kampfhandlungen, sondern auf die Randzonen des Krieges und die privaten Kriegsschauplätze auf Sizilien, in Neapel, Rom, Florenz, der Toskana und der Poebene. (10.5.) Es ist eine besondere Ehre und Freude, den bedeutenden Rossellini-Biografen und Filmwissenschaftler Tag Gallagher im Arsenal zu begrüßen, der auf Einladung der Deutschen Film- und Fernsehakademie im Mai in Berlin ist. Am 12.5. spricht er (auf englisch) über Leben und Werk von Roberto Rossellini und stellt zwei seiner Filme über den Regisseur vor: seinen Filmessay über IL MESSIA und FRANCESCO: A NEW REALITY (2006) über FRANCESCO GIULLARE DI DIO. L'AMORE (1947, Die Liebe), ein Film, mit dem sich Rossellini vom dokumentarischen Stil seiner Nachkriegtrilogie abwendet, besteht aus zwei Episoden, in denen jeweils Anna Magnani die Hauptrolle spielt. Der erste Teil basiert auf Jean Cocteaus Einakter "La voix humaine": einer minutiösen Aufzeichnung von drei Telefongesprächen, die Anna Magnani mit ihrem Ex-Geliebten, einen Tag vor dessen Hochzeit mit einer jüngeren Frau, führt. In einem abgedunkelten Hotelzimmer auf einem großen Bett liegend, absolviert Magnani eine darstellerische Tour de Force. Der zweite Teil IL MIRACOLO (Das Wunder) beruht auf einer Geschichte von Federico Fellini, der nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch die Rolle eines Schäfers spielt, den die Außenseiterin Anna Magnani für den Heiligen Joseph hält. "Beide Geschichten behandeln das Thema, dass allen Werken ihres Regisseurs gemein ist: die Idee der Einsamkeit, einer vorübergehenden oder endgültigen Vereinsamung, zu der in Rossellinis Welt jedes Wesen durch seine Anwesenheit auf Erden sich auf irgendeine Weise immer verurteilt findet." (Eric Rohmer) (13.5.) "In LA MACCHINA AMMAZZACATTIVI (1948, Die Maschine, die die Bösen tötet) sind meine Pilgerzüge an die Küste Amalfis verarbeitet, wo arme Teufel leben. Es sind Verrückte, Sonnentrunkene. Aber sie verfügen über eine Kraft, die nur die wenigsten von uns besitzen – die Kraft der Fantasie." (Roberto Rossellini) Die Komödie, ein Genre, in dem Rossellini nur äußerst selten gearbeitet hat, handelt von einem Fotografen in einem kleinen süditalienischen Dorf, der entdeckt, dass er durch das erneute Fotografieren eines Fotos den darauf Abgebildeten sterben lassen kann. Auf diese Weise will er in seinem Dort Gerechtigkeit walten lassen und dem Bösen Einhalt gebieten. "Vielleicht mein originellster Film." (R.R.) (14.5.) STROMBOLI, TERRA DI DIO (1949), bekanntermaßen die erste Zusammenarbeit zwischen Rossellini und Ingrid Bergman, wurde nach seiner Premiere in Italien kritisiert, abgelehnt und zum Teil boykottiert. Der Skandal, den Ingrid Bergmans und Rossellinis Beziehung verursacht hatte, dürfte an dieser Haltung des Publikums nicht ganz unschuldig gewesen sein. Die dramatische Geschichte einer jungen Lettin, die einem Fischer auf die öde Vulkaninsel folgt und dort am Unverständnis der Inselbewohner und schließlich auch ihres Mannes verzweifelt, gehört zu den großen Melodramen der Filmgeschichte. (16.5.) Wiederum in Zusammenarbeit mit Federico Fellini am Drehbuch entstand FRANCESCO GIULLARE DI DIO (1950, Franziskus, der Gaukler Gottes), der elf Episoden aus dem Legenden-Zyklus "Fioretti di San Francesco" um den Heiligen Franz von Assisi und seine Mönchsbrüder schildert. "Die Mönche sind unbefangen fröhlich und zärtlich miteinander, ohne dass das betulich oder wie Glückspropaganda wirkt. Gerade die Mönche sind mehr noch als alle anderen 'Helden' Rossellinis von einer Unruhe durchdrungen, dauernd laufen und springen sie; nur ist ihre Unruhe eine heitere, produktive, ein unschuldiger Glaube, der sie in Bewegung hält – sicher die irdischsten Mönche der Filmgeschichte." (Rainer Gansera) (17.5.) EUROPE '51 (Europa '51, 1952) ist das rätselhaft kühle Melodram um eine Frau (Ingrid Bergman), die glaubt, am Tod ihres elfjährigen Sohnes mitschuldig zu sein und darüber in eine schwere Krise gerät. Verzweifelt versucht sie ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben, wird jedoch von ihrem Ehemann zum Schluss in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Rossellinis Parabel auf den sozialen und gesellschaftlichen Zustand Europas sechs Jahre nach Ende des Zweiteb Weltkriegs ist laut Eric Rohmer der Versuch des Regisseurs, "allein durch die Kraft dessen, was er dem Auge bietet: Blick, Haltung, das psychische Sein dieser Frau und derer um sie herum, die Existenz der Seele selbst zu beweisen." (19.5.) DOV'E LA LIBERTA (1952, Wo ist die Freiheit?) kann als Variation auf EUROPA '51 verstanden werden. Der Friseur Salvatore hat vor 22 Jahren den Liebhaber seiner Frau umgebracht und als Gefängnisinsasse weder den Aufstieg und Untergang des italienischen Faschismus noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Als er entlassen wird, muss er einen neuen Platz in einer ihm unbekannten Welt finden. Die Nachkriegsgesellschaft präsentiert sich ihm in aller Bosheit und Rücksichtslosigkeit. Völlig entmutig will er wieder zurück ins Gefängnis. Die dunkle Satire beruht auf einer Originalidee von Rossellini, die Hauptrolle spielt der berühmte italienische Komiker Totò. (21.5.) GIOVANNA D'ARCO AL ROGO (1954, Jeanne d'Arc auf dem Scheiterhaufen) ist die Aufzeichnung einer Theaterinszenierung Rossellinis am Teatro San Carlo in Neapel. Die Titelrolle spielt Ingrid Bergman. Rossellini wollte mit diesem Film "eine Theatererfahrung festhalten, die mich leidenschaftlich begeistert hat. Auf dem Gebiet habe ich keine Erfahrung, keine Vergangenheit, alles war neu." Den Journalisten, die ihn mit dem Vorwurf des abgefilmten Theaters konfrontierten, erwiderte er: "Es ist Kino, und ich behaupte sogar, dass das Neorealismus ist in dem Sinn, wie ich ihn immer verstanden habe." Jahre später versuchte Truffaut, das damalige Unverständnis zu erklären: "20 Jahre Kino voller Anspielungen und Ellipsen, etliche tausend Filme, die alle nur durch ihre Beziehung zueinander existieren, bewirken, dass so ein elementarer Film wie GIOVANNA D’ARCO AL ROGO uns wie ein gefährliches und abstraktes Unternehmen der Avantgarde vorkommt." (23.5.) Acht Jahre nach DEUTSCHLAND IM JAHRE NULL kehrte Rossellini 1954 nach Deutschland zurück, um Stefan Zweigs Novelle ANGST zu verfilmen. Im Zuge der Dreharbeiten entstand sowohl eine deutsche wie auch eine englische Fassung. Rossellini transponiert die bei Zweig in den 10er Jahren spielende Handlung in das Deutschland des Wirtschaftswunders. Irene ist mit einem bedeutenden Wissenschaftler verheiratet, hat jedoch ein flüchtiges Verhältnis mit einem jungen Mann, weswegen sie erpresst wird. Als sich ihr der Eindruck vermittelt, ihr Mann steckt hinter der Erpressung, denkt sie an Selbstmord. "Insgesamt ist der Film von einer sehr undeutschen, präzisen, durchsichtigen Klarheit. Die mit starken grafischen Mitteln arbeitenden Bilder machen aus Zweigs Geschichte eine wissenschaftliche Versuchsanordnung." (Rudolf Thome) (25.5.) Rossellini hat sich während seiner gesamten Karriere immer wieder mit kurzen und mittellangen Beiträgen an so genannten "Omnibusfilmen" beteiligt. Wir zeigen eine Auswahl von drei dieser Kurzspielfilme. L'INVIDIA/ENVY (1951) ist die 5. Episode des Films Les Sept Péchés Capitaux und basiert auf Colettes berühmtem Roman "La Chatte", in dem eine junge Frau aus Eifersucht versucht, die Katze ihres Mannes umzubringen. Rossellinis erster Farbfilm NAPOLI '43 (1953, 15 min) entstand als 4. Teil des Omnibusfilms Amori di mezzo secolo. In einer Bombennacht in Neapel kommen sich ein Revuemädchen und ein italienischer Soldat näher. Als sie sich in Sicherheit wähnen, werden sie von einem neuen Angriff überrascht. Der Titel der französisch-italienischen Coproduktion RoGoPaG verdankt sich der Kombination der Anfangsbuchstaben der beteiligten Regisseure: Rossellini, Godard, Pasolini und Gregoretti. Rossellini steuerte den Film ILLIBATEZZA (Unbescholtenheit, 1962) bei, eine filmische Abhandlung des Ödipuskomplexes. (28.5.) Als "Gegenpol zum normalen Kino" bezeichnete Jean-Luc Godard INDIA, MATRI BHUMI (1957, Indien, Mutter Erde), dessen Bilder die Gedanken, die sie hervorrufen, ergänzen – "schön wie die Schöpfung der Welt." Das vielschichtige Filmgedicht verbindet Dokumentarfilmmaterial mit Spielfilmszenen und einem Reisebericht und verschmilzt so zu einer Meditation über Indien. Einer Einführung mit Bildern aus Bombay folgen vier Episoden über den indischen Alltag. (26.5.) Nach ROMA CITTA APERTA und PAISA dreht Rossellini im Herbst 1947 in Berlin den dritten Teil seiner Nachkriegstrilogie: DEUTSCHLAND IM JAHRE NULL (Germania Anno Zero, 1948). Der Film spielt kurz nach der deutschen Kapitulation im Sommer 1945. Der junge Edmund streift ziellos durch das völlig zerstörte Berlin. Fehlgeleitet von einer noch ganz der Nazi-Ideologie verhafteten Bemerkung über das "unwerte Leben" durch seinen Lehrer, vergiftet Edmund seinen kranken Vater. Als er das Ausmaß seiner Tat realisiert, stürzt er sich in den Tod. (29.5.) Die Retrospektive wird im Juni fortgesetzt. Anmerkung: Die Schreibweise der Titel orientiert sich an der in der Originalfassung des Films gesprochenen Sprache. Die Retrospektive steht unter der Schirmherrschaft des Ministero dei Beni e delle Attività Culturali – Direzione Generale Cinema und wird veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut Berlin, der Botschaft der Republik Italien und der Cineteca Nazionale – Centro Sperimentale di Cinematografia. Mit Unterstützung von RAI Teche, Cinecittà Holding, Mediaset Cinema Forever, Museo Nazionale del Cinema di Torino, Ripley’s Film und Vivo Film. Ein ganz besonderer Dank geht an Laura Argento, Stefania Falone und Tag Gallagher.

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