Im französischen Nachkriegsfilm gibt es unbestreitbare, heute teils vergessene Meisterwerke. Es sind Verfilmungen von Klassikern der Literatur, von Stoffen aus Mythologie und Legende, aber auch Rückblicke auf Krieg und Widerstandsbewegung und realistische Gegenwartsdramen. Zu den schönsten französischen Filmen dieser Zeit gehört LE SILENCE EST D'OR (Schweigen ist Gold, René Clair 1946), ein brillantes, leicht und elegant inszeniertes Liebesdrama aus dem Milieu der ersten Filmproduktion um 1900 mit vielen satirischen Elementen und Maurice Chevalier in der Hauptrolle. LA BATAILLE DU RAIL (Die Schienenschlacht, René Clément 1945) ist eine Hommage an die französische Widerstandsbewegung zur Zeit der deutschen Besetzung und der Versuch, zum Stil eines französischen Neorealismus zu finden. LE DIABLE AU CORPS (Der Teufel im Leib, Claude Autant-Lara 1947) mit Gérard Philipe in der Hauptrolle basiert auf einem Roman von Raymond Radiguet, der eine tragische Liebesgeschichte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs erzählt. Herausragend im Panorama des französischen Nachkriegsfilms sind ferner Jean Cocteaus ORPHEE (1950, im Deutschland der Nachkriegsjahre ekstatisch gefeiert, der Ruf dieses Films hat sich bis heute erhalten, auch wegen der Darsteller Maria Casarès und Jean Marais) sowie Jacques Tatis DIE FERIEN DES MONSIEUR HULOT (1953), das Beispiel eines bizarren, aber einzigartigen und unvergesslichen kinematografischen Humors – und eine Satire auf das französische Kleinbürgertum. Max Ophüls und Robert Bresson sind weitere markante Figuren aus der französischen Filmgeschichte, strenge Stilisten, ja Ästheten und raffinierte Erzähler, die eine eigene Spur im französischen Kino hinterließen. Wir zeigen zwei Ophüls-Filme, LA RONDE (Der Reigen, nach Arthur Schnitzler, 1950) und LOLA MONTES (1955, in dem eine Phalanx berühmter Darsteller auftritt, darunter Peter Ustinov und Oskar Werner). Von Robert Bresson zeigen wir zwei frühe Filme, DIE DAMEN VOM BOIS DE BOULOGNE (1945, Bressons Erstlingsfilm) und EIN ZUM TODE VERURTEILTER IST ENTFLOHEN (1956), in dem sich der asketische, visuell konzentrierte Stil Bressons zum ersten Mal voll entfalten konnte. Im Arsenal-Programm dieses Monats sind übrigens noch weitere Bresson-Filme zu entdecken. Im französischen Kino der 60er Jahre haben noch andere Regisseure ihren festen Platz, so Jacques Demy (der Autor von Musicals, die Alltagssprache mit Musik und Poesie verbinden, wir zeigen die berühmten REGENSCHIRME VON CHERBOURG, 1964) und Jean Pierre Melville, er drehte den Gangsterfilm LE SAMOURAI (1967), der seinen Hauptdarsteller Alain Delon wie eine Ikone präsentiert. Auch dem Ethnologen und Dokumentarfilmer Jean Rouch widmen wir ein Programm, er wirkte bahnbrechend im Bereich des unabhängigen und dokumentarischen Kinos und spielte eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Nouvelle Vague. Diese trat Ende der 50er Jahre ins Leben mit den ersten Werken einer neuen Generation von Regisseuren, die zumeist von der Kritik herkamen, zu ihnen gehörten Claude Chabrol, François Truffaut, Jacques Rivette, Jean Luc Godard, Agnès Varda und Alain Resnais. Es vollzog sich durch ihr gemeinsames Auftreten nicht nur ein Generationenwechsel im französischen Film ("Papas Kino ist tot", lautete der Slogan der Nouvelle Vague), sondern auch eine Revolutionierung filmischer Ästhetik und filmischen Erzählens, die weitreichende Auswirkungen auch außerhalb Frankreichs hatte. Wir zeigen einige der wichtigsten Werke dieser Epoche, darunter Truffauts LES 400 COUPS (1959) und Godards A BOUT DE SOUFFLE (Außer Atem, 1960 mit Jean-Pierre Belmondo) sowie zwei Filme von Alain Resnais, HIROSHIMA MON AMOUR (1959) und DAS LETZTE JAHR IN MARIENBAD (1961), die mehr als alle anderen das Kino revolutionierten. Schließlich folgen einige Beispiele späterer Strömungen aus den 60er Jahren – ein Film, stellvertretend für viele, von Eric Rohmer (MEINE NACHT BEI MAUD, 1969) sowie der berühmte, scharfe und kritische Dokumentarfilm LE CHAGRIN ET LA PITIE (Titel der autorisierten deutschen Fassung "Das Haus nebenan") von Marcel Ophuls, der zum ersten Mal das Thema der Kollaboration im okkupierten Frankreich behandelte (1969). Eine Zusammenstellung von Dokumentarfilmen vom Mai 68, die auch in dieses Kapitel gehört, folgt im Juni. In diesem Monat haben wir in der Magical History Tour einen gewissen Anteil deutsch synchronisierter Fassungen. Dies ist nicht unser Prinzip, weil wir untertitelte Originalfassungen natürlich präferieren. Vielfach aber sind diese nicht mehr existent oder in der Beschaffung sehr teuer. Vor die Wahl gestellt, bestimmte wichtige Filme überhaupt nicht oder nur in deutscher Fassung zu zeigen, entscheiden wir uns in diesem Fall für das letztere. (Übrigens gibt es auch Zuschauer, die den deutschen Synchronisationen fremdsprachiger Filme einen Wert als Zeitdokument zuschreiben.)