Im Doppelprogramm Juli/August überfliegt die Magical History Tour gleich eine ganze Reihe von Territorien – im Zeitraum 1945 bis in die frühen 1970er Jahre. Wir beginnen mit Italien und den Hauptwerken des Neorealismus – die hatten wir wegen der großen Rossellini-Retro im Mai und Juni zunächst auf später verschoben. Wir zeigen jetzt die epochalen Filme von Luchino Visconti (OSSESSIONE, 1942, und LA TERRA TREMA, 1948) und von Vittorio de Sica (FAHRRADDIEBE, 1948, UMBERTO D., 1951) sowie Filme von Giuseppe de Santis (ROM 11 UHR, 1952) und Luigi Zampa. Diese Regisseure begründeten zusammen mit Roberto Rossellini den Stil der neuen Wirklichkeitserfassung, der unter dem Namen "Neorealismo" um die Welt ging.
In den 50er und 60er Jahren traten die Regisseure Fellini, Antonioni und Pasolini mit Werken einer neuen, ganz eigenen Handschrift hervor; ausgehend vom neorealistischen "Wochenschaustil" entwickelten sie eine mehr introspektive, psychologisch forschende, aber auch satirische und sozialkritische Darstellungsweise. Durch ihre Filme blieb das italienische Kino führend in der Welt, von LA STRADA (Federico Fellini, 1954) über IL GRIDO (Michelangelo Antonioni, 1957) bis zu ACCATTONE und TEOREMA (Pier Paolo Pasolini, 1961 und 1968). Wir zeigen ferner italienische Filme aus den 60er und 70er Jahren von Bertolucci, Ermanno Olmi (IL POSTO, 61) und den Brüdern Taviani (PADRE PADRONE, 1977).
Die Geschichte des deutschen Nachkriegsfilms zerfällt in einen ostdeutschen und einen westdeutschen Teil – in Ostdeutschland und später der DDR waren es Slatan Dudow, Kurt Maetzig und Wolfgang Staudte, die sich um Porträtierung der Trümmerwelt und Analyse der Geschichte vom "parteilichen" Standpunkt bemühten, in Westdeutschland und der Bundesrepublik suchte vor allem Helmut Käutner in IN JENEN TAGEN die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Eine Wende gab es im (west)deutschen Film erst nach 1958 mit ersten Versuchen von Kurt Hoffmann und Bernhard Wicki und dem Aufkommen des "Neuen" oder "Jungen deutschen Films" (Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Ulrich Schamoni u.a.).
Wir zeigen außerdem noch Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub sowie von Ula Stöckl und den Film O.K. von Michael Verhoeven, der auf der Berlinale 1970 einen Skandal auslöste und 1971 zur Gründung des Internationalen Forums des Jungen Films führte. Fassbinder ist in diesem Kapitel nicht enthalten, weil im Rahmen der Rainer-Werner-Fassbinder-Retro alle seine Filme im Arsenal gezeigt wurden bzw. noch werden.
In den skandinavischen Ländern entstanden in den 50er und 60er Jahren vor allem die großen Filme von Carl Theodor Dreyer (wir zeigen ORDET und GERTRUD, 1955 und 1964), die zunächst wenig beachtet wurden, sich dann aber als Ikonen einer visionären neuen Filmkunst herausstellten; und (von den 50er Jahren bis zur Gegenwart) die Werke Ingmar Bergmans, die eine ganze Epoche bestimmten, von denen wir aber nur einige wenige zeigen können. Neben Ingmar Bergman darf auch ein anderer schwedischer Regisseur, Bo Widerberg, nicht vergessen werden.
Schließlich kam auch in Großbritannien, der Schweiz und Griechenland das Kino in den 50er und 60er sowie Anfang der 70er Jahre zu einer interessanten neuen Blüte. Wir zeigen Beispiele des "Free Cinema" aus dem Großbritannien der 50er Jahre sowie Werke von David Lean, Carol Reed, Robert Hamer, Stanley Kubrick und Richard Lester sowie den legendären Film MARE'S TAIL des Avantgardisten David Larcher. Aus der Schweiz läuft ein früher neorealistischer Film, DIE LETZTE CHANCE von Leopold Lindtberg (1945), ferner Filme von Alain Tanner und Daniel Schmid; aus Griechenland ANAPARASTASSI (Die Rekonstruktion, 1970), der erste Film von Theo Angelopoulus, und ein anderer für das griechische Kino wegweisender Film, ANNAS VERLOBUNG (1973) von Pantelis Voulgaris.